1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Die EU plant, die Verbraucher mit überflüssigen Warnhinweisen zu traktieren

Gastbeitrag von Lüder Gehrken, Vorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und des Centrums für Europäische Politik Die EU plant, die Verbraucher mit überflüssigen Warnhinweisen zu traktieren

10.03.2010, 05:19

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 09.03.2010 23:00:00
Sendhil Mullainathan ist Wirtschaftsprofessor in Harvard, einer der renommiertesten Universitäten in den USA. Bekannt wurde er durch ein Experiment: Er schickte 70000 Werbebriefe an die Kunden einer Bank. In diesen Briefen hieß es: "Glückwunsch! Sie haben Anspruch auf einen Sonderzins für einen neuen Kredit."

Die Briefe wichen jedoch voneinander ab: Unterschiedlichen Empfängern wurden verschiedene Zinssätze genannt, niedrige und hohe. Außerdem war auf der Hälfte der Briefe das Foto eines Mannes abgedruckt, auf der anderen Hälfte das Foto einer Frau. Ergebnis: Das Foto der Frau steigerte das Interesse der männlichen Kunden an dem Kreditangebot im gleichen Umfang wie ein um fünf Prozent niedrigerer Zins. Frau reagierte dagegen kaum auf das Männerfoto.

Die Feministinnen und Feministen unter uns werden sagen, sie hätten ja schon immer gewusst, wie Männer gestrickt sind.

Dennoch stellt sich die Frage, wie aussagekräftig dieses Experiment ist. Denn zum einen ist die Reaktion auf einen Werbebrief nur ein unverbindlicher erster Schritt. Bevor jemand einen überteuerten Kredit tatsächlich aufnimmt, wird er genauer hinsehen.

Zum anderen hat Mullainathan sein Experiment merkwürdigerweise im unterentwickelten Schwarz-Afrika durchgeführt. Könnte es sein, dass die Menschen in Nordamerika oder Europa dank besserer Schulbildung etwas genauer darüber im Bilde sind, wie hoch das aktuelle Zinsniveau ist? Und daher den Werbetrick durchschauen würden?

Mullainathan gehört einer jungen Forschungsrichtung an, die sich "Behavioral Economics" nennt, zu deutsch "Verhaltens- ökonomie".

Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Feststellung, dass Menschen oft "irrational" handeln. Eine epochal neue Erkenntnis? Nun ja, für viele Ökonomen schon. Denn im Standardansatz der Wirtschaftswissenschaft ging man bisher davon aus, dass alle Menschen stets rational handeln. Ziemlich weltfremd, oder?

Nun also die Einsicht, dass es doch anders ist. Unsere politische Kaste aber griff die vermeintlich neue Erkenntnis der Verhaltensökonomen sogleich auf, will jetzt die Bürger vor sich selbst beschützen.

Den Vorreiter spielt die Europäische Union. Sie entwickelt gerade eine "neue verbraucherpolitische Strategie": Verbraucher seien "desorientiert" und handelten oft nicht nach ihren "wahren" Interessen. Daher will die EU ihnen den Weg zum Glück weisen.

Was das bedeutet, zeichnet sich im Lebensmittelbereich bereits ab. Die EU-Kommission will einen aufrüttelnden Warnhinweis auf "ungesunden" Lebensmitteln. Allen Ernstes wird bereits diskutiert, ob auch Apfelsaft wegen seines Fruchtzuckergehaltes einen Warnhinweis bekommen muss. Im Europäischen Parlament wird gar eine EU-Steuer auf "ungesunde" Lebensmittel gefordert, und zwar als "Erziehungsmaßnahme".

Verhaltensökonomen sprechen beschönigend von "liberalem Paternalismus". Tatsächlich geht es um Bevormundung durch Bürokraten.

Früher einmal hatte die EU das "Konzept des mündigen Verbrauchers" entwickelt: Jeder Bürger weiß am besten, was er will; und selbst wenn er es nicht genau weiß, gibt es niemanden, der es besser wüsste als er.

Indem die EU nunmehr das "Konzept des mündigen Verbrauchers" verwirft, hält sie ihn zwangsläufig für unmündig.

Ihr Ziel wird diese Politik nicht erreichen: Wem bis heute verborgen geblieben ist, dass Chips dick machen, dürfte intellektuell auch kaum in der Lage sein, sich von Warnhinweisen beeindrucken zu lassen. Übergewicht hängt vom gesamten Lebensstil ab, nicht von einzelnen Lebensmitteln. Und der ändert sich nicht durch Warnhinweise.

Die staatliche Beeinflussung beim Lebensmittelkauf ist nur ein Schritt auf dem Weg zu einer immer umfassenderen Bevormundung der Bürger. Wann wird sich die Politik "süchtige" Internetsurfer vorknöpfen? Wann gegen "schädliche" Fernsehgewohnheiten vorgehen? Mit der Begründung, man müsse die Bürger vor sich selbst schützen, lässt sich letztlich jeder staatliche Eingriff in die individuelle Freiheit rechtfertigen.

Wer die Menschen als Verbraucher für unmündig hält, muss sie erst recht als Wähler für unmündig halten. Wann also werden Bürokraten uns "desorientierten" Wählern den Weg weisen, welche Partei wir wählen sollten?