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Der Magdeburger Politik-Professor Wolfgang Renzsch im Gespräch mit der Volksstimme: Ein tiefer Graben teilt die Partei "Die Linke" in eine Ost- und eine Westpartei

10.02.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 09.02.2010 23:00:00
Die Partei "Die Linke" ist tief gespalten in Ost und West, weshalb sie bislang jede Programmdebatte verweigert, meint der Magdeburger Politologe Wolfgang Renzsch. Mit ihm sprach Jens Schmidt. Volksstimme: Herr Professor Renzsch, ist die Linke eine gesamtdeutsche Partei? Wolfgang Renzsch: Nein, und das wird sie meiner Auffassung nach auch nicht werden. Dazu sind die Unterschiede zwischen Ost und West zu groß. Volksstimme: Welche Unterschiede sehen Sie? Renzsch: Im Osten ist die Linke im Grunde die alte PDS. In ihr finden wir im Wesentlichen drei Gruppen: alte DDR-Nostalgiker, einen kleinen Teil Dogmatiker – wie etwa Sarah Wagenknecht – und eine relativ große Gruppe von Pragmatikern. Teile der PDS waren vor einigen Jahren dabei, sich im Interesse einer Regierungsbeteiligung zu "sozialdemokratisieren". Sie standen kurz vor ihrem "Bad Godesberg" – also jenem historischen Parteitag, auf dem die SPD einst 1959 sich vom Programm einer sozialistischen Arbeiterpartei verabschiedete und sich zu einer Volkspartei entwickelte. Dieser Weg wurde aber mittlerweile wieder abgebrochen. Volksstimme: Warum kann die gesamtdeutsche Linke diesen Weg nicht weitergehen? Renzsch: Die westdeutsche Linke, also die alte WASG, ist ganz anders strukturiert. Sie besteht zu einem großen Teil aus enttäuschten Gewerkschaftern, die in einem traditionellen Denken der 60er und 70er Jahre stehen geblieben sind. Sie wollen an einer Zeit ungebremsten Wachstums und nationalstaatlicher Begrenzung festhalten; sie weigern sich, Konsequenzen aus der Globalisierung und dem demografischen Wandel zu ziehen. Dafür bekommen sie zwar viel emotionale Zustimmung, doch diese Rezepte verstoßen oft schon gegen die vier Grundrechenarten. Ein Vertreter dieser Strömung ist Klaus Ernst, der einer der beiden Vorsitzenden werden soll. Außerdem finden wir in der West-Linken noch frustrierte Sozialdemokraten, Alt-Linke und einen Haufen Chaoten, die nach der Devise ‚Sektierer aller Länder, spaltet euch’, die Partei aufreiben. Volksstimme: Warum haben sich dann PDS und WASG Ihrer Meinung nach vereint? Renzsch: Aus rein wahltaktischen Gründen. Da sind zwei Parteien zusammengekommen, die eigentlich nicht zusammengehören. Die PDS-Ost besteht zu einem erheblichen Teil aus regierungswilligen, pragmatisch-moderaten Personen – diesen Typ Politiker aber findet man in der WASG kaum. Lafontaine konnte diesen tiefen Widerspruch mit seinem Charisma übertünchen. Tatsächlich aber teilt ein tiefer Graben Ost und West. Daher hat die Linke ja auch jede Programmdebatte bislang verweigert, denn damit wären die tiefen Unterschiede deutlich geworden. Deutlich wurden die Spannungen bei der rot-roten Koalitionsbildung in Brandenburg: die Linke vor Ort stimmte einem pragmatischen Koalitionsvertrag zu – Lafontaine jedoch versuchte ihn zu verhindern. Fazit: Die Ost-Linken wollen eher pragmatische Politik machen und keine ideologischen Eiertänze aufführen. Volksstimme: Gysi macht den Westverbänden erhebliche Zugeständnisse, hievt West-Linke auf hohe Positionen, entmachtete den starken Ost-Linken Bartsch. Kann er die wilden Westler so zähmen? Renzsch: Gysis Rolle ist für mich momentan schwer durchschaubar. Dass er Bartsch auf Druck Lafontaines opferte – das ist durchaus möglich. Aber welchen Sinn macht das? Volksstimme: Welche Zukunft prognostizieren Sie für die Linke? Renzsch: Als gesamtdeutsche Partei hat die Linke als Protestpartei eine nur geringe Überlebenschance. Sie kann aber im Osten eine durchaus erfolgreiche Zukunft vor sich haben, wenn sie sich hier als pragmatische Partei etabliert und jenseits von bloßem Protest in erster Linie ostdeutsche Interessen vertritt. Sie kann eine Art CSU des Ostens werden, eine strukturkonservative Partei ist sie. Der Linken als westdeutscher Protestpartei gebe ich keine große Chance. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie es bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht schafft, in den Landtag einzuziehen.