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Berliner Charité will gegen kulturelle Barrieren angehen Die seelische Not türkischer "Importbräute"

17.02.2010, 08:52

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 16.02.2010 23:00:00
Von Isabel Fannrich- Lautenschläger

Yasemin Aydin (Name geändert) wurde nach einem Suizidversuch mit Tabletten in die Notfallambulanz eingeliefert. Die 27-jährige Frau aus der Türkei befand sich in einer für "Importbräute" nicht ungewöhnlichen, scheinbar ausweglosen Situation: Ihre Ehe drohte zu scheitern, die Schwiegerfamilie akzeptierte die Angeheiratete nicht, und ihrer eigenen Familie wollte sie keine Schande bereiten.

"Suizidversuche sind bei jungen türkischen Frauen in Deutschland fast doppelt so häufig wie bei gleichaltrigen Einheimischen." Bei diesem Befund stützt sich Meryam Schouler-Ocak, Oberärztin der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St.-Hedwig-Krankenhaus, auf Studien sowie auf ihre eigene Erfahrung in der Notfallstation. Weil die Dunkelziffer noch höher liegt, überlegte die Leiterin des Berliner Bündnisses gegen Depression, wie den Frauen in Not zu helfen ist. Ansätze dazu liefert eine dreijährige Studie, die 2009 an der Charité in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Hamburg-Eppendorf startete. Die Untersuchung soll die Ursachen der ausgeführten und versuchten Selbsttötungen klären und die Situation der Frauen verbessern helfen.

Erste Ergebnisse zeigten, dass die Probleme junger und älterer Frauen mit türkischem Migrationshintergrund sich deutlich unterscheiden. "Frauen unter 35 Jahren leiden vor allem unter dem Identitätsproblem: Bin ich Türkin oder Deutsche?", erläutert Schouler-Ocak. Sie müssen etwa den elterlich-autoritären sowie religiösen Anforderungen genügen und sollen sich keinen deutschen Mann suchen. "Beim Thema Jungfräulichkeit kann sich die Situation krisenhaft zuspitzen", schildert die Ärztin. "Dann scheint Suizid für die Betroffenen manchmal der einzige Ausweg zu sein."

Besondere Sorgen plagen jene Frauen, die nach Deutschland zwangsverheiratet worden sind. Sie sehnen sich häufig nach ihrer Heimat. Frühere Träume und Erwartungen stehen in krassem Gegensatz zur hiesigen Realität. Wie bei Yasemin Aydin: Vor sieben Jahren hatte die mittellose Familie ihre 20-jährige Tochter nach Deutschland verheiratet, ohne den Ehemann wirklich zu kennen. Erst in Berlin merkte Yasemin, dass ihr Mann alko- holabhängig war. Selbst als ihr Mann anfing, sie zu schlagen, hagelte es Vorwürfe von seiner Familie, ihn nicht vom Alkohol abgebracht zu haben.

Häusliche Gewalt erleben der Studie zufolge insbesondere die Frauen zwischen 35 und 55 Jahren als großes Problem. Andere Schwierigkeiten beschäftigen dagegen die Frauen im Alter über 55 Jahren: Sie wünschen sich eine große Familie, leiden aber unter Vereinsamung.

Ob die Frauen in ihrer Notsituation einen Ansprechpartner finden, ist der Studie zufolge die zentrale Frage. "Wir müssen gegen kulturelle Barrieren angehen", betont Schouler-Ocak. Um dies zu überwinden, plant die Charité eine Aufklärungs-Offensive in den deutschen und türkischsprachigen Medien. Fast 200 "Schlüsselpersonen" der türkischen Gemeinschaft sollen als Multiplikatoren ausgebildet werden und Vereine und Beratungsstellen, Cafés und Hochzeitssalons aufsuchen. Dort können sie Frauen über Hilfsmöglichkeiten wie eine eigens eingerichtete Hotline beim Berliner Krisendienst aufklären.

Die Wirkung dieser Arbeit sollen die Frauen in Berlin selbst beurteilen. Dann werde sich zeigen, ob sich etwas ändert für Frauen wie Yasemin Aydin. Deren Entschluss steht fest: Sie will sich von ihrem Mann trennen. Ihre Familie in der Türkei weiß davon noch nichts.(epd)