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Linkspartei-Chef Bernd Riexinger fordert im Volksstimme-Interview einen Spitzensteuersatz von über 70 Prozent "Manche Vorschläge Gabriels sind wortwörtlich von uns übernommen"

09.08.2012, 03:15

Sachsen-Anhalt war einen Tag lang eine Station der dreiwöchigen Sommertour von Bernd Riexinger. Mit dem im Juni gewählten Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke hat Volksstimme-Redakteur Tom Koch in Halberstadt gesprochen.

Volksstimme: Herr Riexinger, Sie haben hinter verschlossenen Türen mit dem Vorstand der Harzsparkasse gesprochen. Sind das Ihre natürlichen Verbündeten angesichts der Linke-Programmforderung, Banken zu verstaatlichen?

Bernd Riexinger: Zunächst mal: wir wollen nicht alle Banken verstaatlichen, sondern den Bankensektor unter öffentlich-rechtliche Kontrolle stellen. Aber Sie haben schon recht. Ich finde alle Sparkassen-Direktoren müssten die Linke wählen, und das sage ich im vollsten Ernst, weil wir als Linke am konsequentesten von den Privatbanken fordern, das zu tun, was die öffentlichen Sparkassen und die genossenschaftlichen Volksbanken tun.

Volksstimme: Was genau werfen Sie den deutschen Großbanken vor?

Riexinger: Die Banken sollten nicht mit Kundengeldern auf den internationalen Spekulationsmärkten agieren. Sie sollen sich auf ihr ureigenstes Geschäft besinnen: den Zahlungsverkehr sicherstellen, Kunden mit Girokonten und Krediten ausstatten, die Wirtschaft fördern.

Volksstimme: Im Kreise Ihrer Genossen in Halberstadt haben Sie erklärt, gegenüber SPD-Chef Sigmar Gabriel werden Sie keinen Plagiatsvorwurf erheben. Wie ist das gemeint?

Riexinger: Wir begrüßen den Kurswechsel der SPD in der Frage der Bankenrettung. Auch wenn Gabriels Vorschläge dafür allein nicht ausreichen werden, so begrüßen wir als Linke diesen Sinneswandel. Schließlich war es das Bündnis aus SPD und Grünen, die gemeinsam mit CDU und FDP für die Liberalisierung der Finanzmärkte verantwortlich sind. Und auch unter der Merkel-Regierung hat die SPD bislang alle ihre Vorschläge brav mitgetragen.

Volksstimme: Worin besteht dabei nun das Plagiat?

Riexinger: Manche Vorschläge von Sigmar Gabriel zur Bankenregulierung sind wortwörtlich aus unseren Papieren übernommen, das werfe ich ihm aber gar nicht vor.

Volksstimme: Sondern?

Riexinger: Wir nehmen ihn ganz einfach beim Wort. Wir als Linke sind bereit, gemeinsam mit der SPD das Verbot von Spekulationsgeschäften, von sogenanntem Hochfrequenzhandel, die Begrenzung von Dispo-Zinsen auf maximal fünf Prozent über dem Leitzins der Europäischen Zentralbank durchzusetzen und dabei auch das Sterben einzelner Banken in Kauf zu nehmen. Wir werden im Bundestag solche Vorschläge einbringen und dabei austesten, ob die SPD zu den Worten ihres Vorsitzenden steht.

Volksstimme: Klingen da etwa schon Zweifel durch?

Riexinger: Wir haben bei der SPD zu oft erlebt, dass Sie links blinkt, um dann doch rechts abzubiegen. Das ist weder eine seriöse noch eine verlässliche Politik. Die Bankenfrage, das wird der Echtheitstest für die Sozialdemokratie.

Volksstimme: Längst nicht mehr nur im Osten wird die Frage der hoch verschuldeten kommunalen Haushalte zur besonderen Herausforderung in den Rathäusern. Wie lautet Ihr Vorschlag für einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Riexinger: Der Reichtum von wenigen führt zur Armut von vielen. Unsere Vorschläge sind bekannt: Höhere Reichensteuern sind der wichtigste Baustein für eine langfristige Bewältigung der europäischen Banken- und Wirtschaftskrise. Wer neues Wachstum will, muss den überflüssigen Reichtum in den Händen weniger abpumpen und in die Realwirtschaft umleiten. Dazu brauchen wir eine Millionärssteuer und einen Spitzensteuersatz von deutlich über 70 Prozent.

Volksstimme: Das hilft dann automatisch den klammen Gemeinden?

Riexinger: Am Ende schon, weil der Handlungsspielraum steigt. Wir schlagen aber auch vor, dass die Gemeinden eine Gemeindewohlsteuer erheben können, mit denen sich Firmen entsprechend konkreter objektiver Kriterien adäquat an den Ausgaben ihrer Heimatgemeinde zu beteiligen haben. Gewerbesteuern sind dazu nicht geeignet, sie unterliegen zu großen Schwankungen. Gerade in den Jahren, wenn sie nicht so sprudeln, steigen in den Gemeinden dann die Sozialausgaben.

Volksstimme: Knapp drei Wochen dauert Ihre Sommertour, die sie nicht ausschließlich, aber mit deutlichem Schwerpunkt durch den Osten der Republik führt, warum?

Riexinger: Ich habe im Juni auf dem Parteitag offen erklärt, dass ich den Osten kennenlernen will, weil ich da durchaus noch Nachholbedarf sehe. Ich will die ostdeutsche Lebenswirklichkeit kennenlernen.

Volksstimme: Nach zwei Dritteln Ihrer Tour, die Sie nach Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt geführt hat, worin bestehen innerhalb der Linken in Ost- und Westdeutschland die Gemeinsamkeiten?

Riexinger: Uns alle verbindet, dass wir an einer gesamtdeutschen und pluralistischen Linkspartei sehr interessiert sind. Ich habe den auch auf dem Bundesparteitag diskutierten Ost-West-Konflikt so nicht wahrgenommen. In meinen Gesprächen während der Sommertour habe ich erfahren, dass sich einzelne Kreisverbände aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt weitaus besser verstehen, als es manche innerhalb unserer Partei wahrhaben wollen. Manchmal erleben wir leider auch eine öffentliche Funktionärsdebatte, die nicht unbedingt die Wirklichkeit an der Parteibasis widerspiegelt. Auffallend war für mich darüber hinaus die überaus große Herzlichkeit, mit der ich begrüßt wurde und die Offen- und Aufgeschlossenheit der Menschen hier im Osten.

Volksstimme: Kommen wir zu den Unterschieden innerhalb der Linken: Was trennt Ihre Genossen in Ost und West?

Riexinger: Ich habe erlebt, dass unsere Mitglieder im Osten eine sehr starke Verankerung innerhalb der Bevölkerung haben, dass sie sich voller Verantwortung sehr aktiv in der Kommunalpolitik engagieren. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass wir bislang regelmäßig Wahlergebnisse von 20 bis 30Prozent erreichen konnten.

Volksstimme: Gibt es nach Ihrer Sommertour nun einen Kurswechsel an der Bundesspitze der Linkspartei?

Riexinger: Nun, eine Bundespartei funktioniert nun einmal anders als Kommunalpolitik. Da lässt sich nicht alles Erfolgreiche von der Basis auf die Berliner Ebene übertragen. Ich stehe jedoch dafür, dass wir eine gemeinsame Linie finden, um gegenseitig von den jeweiligen Stärken zu profitieren.

Volksstimme: Ist das Ihre Strategie für den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr?

Riexinger: Wir können nicht alle kommunalen Fragen im Bundestagswahlkampf aufgreifen. Wir sollten aber die Erzählweise unserer politischen Forderungen an die ganz persönlichen Lebenserfahrungen der Menschen anpassen. Und wir müssen dem Wähler unsere Eigenheiten vor allem gegenüber SPD und Grünen betonen.