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Der Landesverband für die Rehabilitation der Aphasiker feiert 10-jähriges Jubiläum Wenn sich die Worte im Labyrinth verlieren

Von Martin Anselm 22.12.2014, 01:13

Sprachlos sein, sein Gegenüber nicht oder nicht genau verstehen können. Welch eine schlimme Lage, wenn die für das Miteinander von Menschen so wichtige Sprachfähigkeit verloren geht oder schwer beeinträchtigt ist. Ein Unfall oder ein Schlaganfall - Aphasie, wie diese schwere Beeinträchtigung genannt wird, kann viele Ursachen haben. Betroffene wollen in einem Selbsthilfeverband ihre Lebenslage und das Verständnis dafür verbessern.

Burg/Genthin l "Menschen, die unter Aphasie leiden haben Probleme beim Sprechen, beim Verstehen von Gesagtem und beim Lesen und Schreiben. Daher fällt es ihnen schwer, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Andere geistige Fähigkeiten wie das Gedächtnis, das Denken oder die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, sind dagegen häufig erhalten", sagt Katrin Milkun. Sie ist Vorsitzende des Landesverbandes für die Rehabilitation der Aphasiker, wie Betroffene dieser beträchtlichen Gesundheitseinschränkung genannt werden.

Auf zehn Jahre seines Bestehens kann der Verband zurückblicken. Jetzt trafen sich Mitglieder und Mitstreiter zu einer Jubiläumsveranstaltung, um Bilanz zu ziehen, um sich gegenseitig zu bestärken. Und es kann jeden treffen.

Ein Betroffener ist der frühere Pfarrer in Schartau und Burg Ferdinand Schultze. Mit 40 Jahren erlitt er einen Schlaganfall. Die Sprache verloren, das Verstehen können unendlich schwer. Für den Geistlichen und vierfachen verheirateten Familienvater war das eine Katastrophe. Doch er stellt sich. Über viele Jahre hinweg hat er durch mehrere Reha-Maßnahmen zum Teil seine Beweglichkeit und auch seine Sprache wiedergefunden.

"Ich hatte damals gerade mein Testament gemacht, als ich kurze Zeit später einen Schlaganfall bekam, also gerade richtig", berichtete Ferdinand Schultze. Sein größtes Handicap ist zur Zeit noch, dass er Worte nur ungenügend lesen kann. Sein sehnlichster Wunsch ist es, wieder einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu können.

Uli Wittstock, der durch die Veranstaltung führte, ist Radiojournalist und Dozent der Hochschule Magdeburg-Stendal. Auch er kennt sich aus mit Aphasie. Nach einem Radunfall vor etwa zehn Jahren musste er sie selbst durchstehen, zum Glück für ihn nur kurzzeitig. Doch die Erfahrung prägt.

Jürgen Warnecke ist Steuerberater in Magdeburg und leidet an Aphasie und fährt seit Jahren unfallfrei mit seinem PKW. Bei einer Ummeldung seines Fahrzeugs wurden von der zuständigen Kfz-Zulassungsstelle seine geistigen Fähigkeiten angezweifelt. Mehrere medizinische Gutachten und fahrtechnische Überprüfungen belegen, dass er sehr wohl in der Lage ist, ein Auto zu führen und die Sprachlosigkeit nicht mit einer geistigen Behinderung gleichzusetzen ist.

Der Vermögensberater Mario Kastens aus dem Salzlandkreis ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bei Renovierungsarbeiten seines gerade gekauften Hauses verspürte er starke Kopfschmerzen und konnte nach kurzer Zeit nicht mehr sprechen. Seine Frau rief sofort den Notarzt. Auf ihr Drängen wurde er sofort mit dem Rettungshubschrauber in das Uniklinikum Magdeburg gebracht.

"Ich wünsche mir, dass viele Menschen Aphasie verstehen lernen, deshalb sitze ich heute hier, um dies weiterzugeben", sagte Mario Kastens.

Anett Koch war Lehrerin für Physik, Mathematik und Informatik am Gymnasium in Wolmirstedt und hat eine Tochter. Nach heftigen Kopfschmerzen rief sie den Notarzt und in der Klinik wurde eine Aneurysmenblutung festgestellt. Danach konnte sie weder sprechen noch lesen oder schreiben. Erst nach mehreren Aufenthalten in der Rehaklinik fand sie diese wichtigen Kommunikationsmittel wieder und würde gern wieder als Lehrerin arbeiten.

Ronald aus dem Jerichower Land, der nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, ist Meister im Straßenbau und Meliorationstechniker (Be- oder Entwässerung). Nach mehreren Schlaganfällen im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt konnte er nach einer Herztransplantation und weiteren Hirnschlägen weder lesen noch schreiben, aber einigermaßen sprechen, berichtet Ronald. Er wünscht sich, dass es in der heutigen Zeit nicht immer alles so schnell geht und sich die Menschen einen Moment Zeit nehmen, um ihn zu verstehen.

"Noch immer bin ich beeindruckt von eurem Leben und das wir hinein schauen durften. Mit euch lerne ich immer wieder neu wie spannend und vielseitig Kommunikation sein kann. Und das oft auch ohne die treffenden Worte zu finden", sagte Gudrun Schultze aus Gerwisch, Vorstandsmitglied und Leiterin einer Selbsthilfegruppe, an die Aphasie-Betroffenen: "Sicher möchten wir alle perfekt sein, aber kommt es wirklich darauf an? Ich lerne so viel von euch, muss mich ja auch immer wieder neu bemühen zu verstehen und mich aus zu drücken. Ihr habt alle meine Bewunderung und Wertschätzung dafür, wie ihr das Leben meistert".