Jahrhundertflut im Hinterland Mehrere Siele gestern geöffnet: Anwohner hoffen jetzt auf schnelle Entspannung
Schönebeck/ Barby/ Calbe (dw/ok). Die Flusspegel an Elbe und Saale fallen. Das Umland der Gewässer ist jetzt aber von starkem Drängwasser betroffen. Die Flüsse drücken auf die Deiche und damit auf das Land dahinter. Von den Äckern und Wiesen fließt Oberflächenwasser ab. Der ohnehin hoch stehende Grundwasserspiegel verschärft die Situation.
Die Nerven bei den Betroffenen liegen blank. Vor allem in den Orten um Barby und Calbe (Volksstimme berichtete). So blank, dass es jetzt zu einem traurigen Zwischenfall kam, der ausgerechnet Christian Jung, Flussbereichsleiter im Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) Sachsen-Anhalt, traf. Er wurde von einem Anwohner tätlich angegriffen, der dann auch noch seinen Schäferhund auf ihn hetzte (siehe Titelseite Volksstimme).
Aber was treibt Menschen zu solchen Taten? Ein Blick auf die Schwerpunkte der jetzigen Hochwasser-Schutzmaßnahmen in der Region Schönebeck zeigt es. Zwischen Calbe und Barby hat sich das Wasser, das auf den Feldern steht, zu einer großen Fläche zusammengeschlossen. Ganze Orte sind von den Wassermassen bedroht. In Glinde und Pömmelte ist der Barbyer Landgraben randvoll. Wasser staut sich wie auch in anderen Orten auf, weil Elbsiele geschlossen werden mussten, damit der Fluss nicht in das Land drückt. In Pömmelte laufen deshalb der Burgwallgraben und der Burgwallteich voll. "Das Dorf drohte im wahrsten Wortsinn unterzugehen", sagt Christian Jung. Damit das nicht passiert, wurde ein sogenannter Polderdamm errichtet, damit von außen kein Wasser nach Pömmelte nachfließen und das Nass im Ort rausgepumpt werden kann.
In Tornitz wurde eine Straße durchstochen, damit Oberflächenwasser in den Kiessee geleitet werden kann. Eine Million Kubikmeter Wasser konnten so von Barby und Glinde ferngehalten werden. Gleiches passierte auch an der Holländermühle Barby und dem dortigen Kiessee. Außerdem fuhren Feuerwehr und Verwaltung in Tornitz den Landgraben ab und stellten fest, dass noch Wasser in den "Barbyer Colphus" kann. Lediglich Stauungen, die den Durchlauf behindern, müssten sofort geräumt werden. Schnelle und kurzfristige Entscheidungen, die in Zusammenarbeit der Krisenstäbe und des LHW vor Ort getroffen werden. Und die die Bürger "verstehen".
Anderes bleibt dagegen unverständlich, oft aufgeheizt durch Laienmeinungen, denen sich Experten schwerlich mit ihren Argumenten stellen können. Das Beispiel Langes Siel und Landgraben in Glinde macht das deutlich. Das Siel nördlich von Glinde entwässert das Land zwischen Tornitz und Glinde. Wegen des hohen Elbpegels musste das Siel geschlossen werden. Mit dem Effekt, dass der Landgraben sich staute und sein Wasser rasant die noch trockenen Flächen im Raum Pömmelte und Glinde überflutet. "Das ist aber seit Freitag, 11.16 Uhr, wieder geöffnet", so Jung gestern. Rund 1,6 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließen nun zurück in die Elbe. Auch das Pömmelter Siel ist geöffnet.
Die Lage in Tornitz/Werkleitz und Calbe verschlimmerte sich, so dass Bürger anboten, Pumpen zu besorgen und den Stau im Landgraben abzupumpen. Das LHW stimmte allerdings dem Pumpplänen nicht zu. Die Begründung: zu viele Erschütterungen für die Deiche, keine geeigneten Pumporte und zu wenig Leistung in den Pumpen. Barbys Bürgermeister Jens Strube sprach deshalb in der Volksstimme auch von einem eher "psychologischen Effekt", den man mit den Pumpen hätte erreichen können, als von einem Nutzen.
Christian Jung untermauert das und begründet die Entscheidung seiner Behörde. Die Experten im LHW rechneten damit, dass rund fünf Kubikmeter Wasser in der Sekunde angefallen wären. Man hätte bei der Leistung der Pumpen nicht zwei, wie geplant, sondern 50 gebraucht. "Das ist so, als ob man beide Wasserhähne aufdreht, die Badewanne vollaufen lässt und versucht, alles mit einem Teelöffel auszuschöpfen", benutzt Christian Jung ein eindrucksvolles Bild.