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Sylva Nordt (45) leidet seit Jahren an einer Multiplen Chemischen Sensibilität (MCS), die ein alltägliches Leben unmöglich macht Wenn die Umwelt den Menschen angreift

Von Andreas Pinkert 23.07.2011, 06:27

Es sind alltägliche Dinge, die das Leben schöner machen: wohlriechendes Parfüm und Weichspüler, helle Tapetenfarben oder Lufterfrischer für Wohnräume. Sylva Nordt machen diese Dinge krank. Für die Calbenserin bedeuten sie regelrechte Qualen. Sie leidet an der seltenen Umwelterkrankung MCS, einer chemischen Sensibilität.

Calbe. Die Wohnung von Sylva Nordt in der Großen Mühlenbreite mag für einen gesunden Menschen befremdlich wirken. Der Fußboden ist mit einer starken Aluminiumfolie ausgelegt. Mit dünner Aluminiumfolie sind Schränke, Bett, Sofa, Laptop, Fernseher und weitere Einrichtungsgegenstände beklebt. "Damit schaffe ich mir einen Schutz gegenüber chemischen Ausdünstungen", sagt Sylva Nordt. Die Calbenserin weiß, das dies aus der Not geboren ist und nur ein grobes Provisorium sein kann.

"Ich suche Menschen, die meine Krankheit ernst nehmen"

Zu DDR-Zeiten hat die gelernte Chemiefacharbeiterin in der chemischen Industrie gearbeitet, zuletzt in Calbe. Nach der Wende hat ihr Körper begonnen, gegen sie zu arbeiten. Über die Jahre hat sie an Gewicht verloren und verträgt nur noch wenige Nahrungsmittel. Die 45-Jährige leidet an der seltenen Umwelterkrankung MCS (Multiple Chemische Sensibilität).

Unter dem Einfluss von Chemikalien in der Umwelt spielt das Immunsystem verrückt. Weiße Blutkörperchen werden vermehrt gebildet, Antikörper greifen ohne Vorwarnung den eigenen Organismus an, die Konzentration hormonähnlicher Substanzen gerät aus dem Gleichgewicht, die Reinigungs- und Abwehrmechanismen funktionieren nicht mehr. Die MCS-Auslöser verhindern die Funktion der Enzyme, die die Umweltgifte normalerweise ausscheiden. Die Krankheit hat sie sichtlich gezeichnet.

Die Liste der Beschwerden von Sylva Nordt ist lang: Von Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, extreme Wetterfühligkeit über grippeähnliche Symptome bis hin zu Schlafstörungen und Magen-Darm-Beschwerden gibt es kaum einen gesunden Freiraum. "Typisch für diese Krankheit ist, dass einzelne Beschwerden häufig gleichzeitig auftreten", sagt die allein lebende Mutter einer studierenden Tochter. Die Schulmedizin könne nichts ausrichten, weil ihre Krankheit zu selten sei.

Ihr allgemeiner Zustand verschlechtert sich zunehmend. Die wissenschaftlichen Erklärungsmodelle und Therapieansätze sind vielfältig. Linderung versprechen eine Wohnraumsanierung, Entgiftungen oder Bio-Nahrung. "Doch vor allem sind es Menschen, die einen ernst nehmen, die Krankheit respektieren und einem helfen", sagt die Calbenserin, die seit Jahren auch psychisch unter MCS leidet.

"Meine Patienten bezeichnen sich selbst oft als soziale Leichen"

Seit rund zwei Jahren verträgt sie keine Heizungsluft mehr, die auch im strengsten Winter maximal nur eine halbe Stunde angestellt bleibt. Wenn die Temperatur in ihrer Wohnung kaum die 14 Grad-Marke erreicht, wärmt sich Sylva Nordt in der kalten Jahreszeit nur ihre Hände an den warmen Heizungsrohren.

Der renommierte Umweltmediziner Dr. Klaus-Dietrich Runow behandelt seit über 20 Jahren Patienten mit Allergien und ausgeprägten Überempfindlichkeitsreaktionen auf Chemikalien. Er kennt die Symptome. Mit seinem 1989 erbauten, ersten Institut für Umweltkrankheiten im nordhessischen Wolfhagen gilt er als einer der Pioniere der Umweltmedizin in Deutschland. "Es ist hilfreich, wenn sich jeder überlegt, ob der Gebrauch von Parfüm, Rasierwasser, Weichspüler und anderem wirklich notwendig ist", sagt der Autor zahlreicher Bücher auf Volksstimme-Nachfrage. Einige seiner Patienten bezeichneten sich selbst als "soziale Leichen", weil sie nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen können. Ein Besuch von Kino, Theater und sogar Arztpraxen sei oft aufgrund der Parfümbelastung nicht möglich. "Und das schlägt dann wieder auf die Psyche. Ein Teufelskreis", sagt Runow. Durch einen weitestgehenden Verzicht auf Duftstoffe könne die Belastung umweltkranker Menschen eingeschränkt werden. "Grundsätzlich ist mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber chemikaliensensiblen Menschen notwendig", sagt der Umweltmediziner, der darauf verweist, dass MCS in der internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD 10) registriert ist. "Oft kommen aber Patienten zu mir, die bisher einfach nur Psychopharmaka verschrieben bekommen haben", sagt Runow, der eine ausführliche Ausgangsuntersuchung und Analyse für eine spätere Therapie für elementar hält.

Für Sylva Nordt gehen alle diese Therapiemaßnahmen oder Kosten für lange Fahrten zu Experten ins Geld. Geld, das sie nicht aufbringen kann und für das auch Krankenkassen nicht aufkommen. Von Freunden und Bekannten hat sie sich bereits Geld geborgt, teilweise hat sie es noch nicht zurückzahlen können. Seit Jahren ist sie wegen ihrer Erkrankung erwerbsunfähig. In der Umweltklinik hat sie Hilfe durch spezielle Entgiftungen erhalten. "Diese Dingen lindern die Erkrankung erheblich", sagt Nordt.

"Kontakt mit Menschen fast nur über Telefon und Internet"

Je länger sie unter ihrer Krankheit leidet, desto mehr verliert sie ihren Lebensmut. "Wird diese Chemikalienintoleranz nicht angemessen behandelt, kann das Immunsystem vollständig zusammenbrechen", sagt Nordt resigniert. Durch ihre Erkrankung rutscht die allein lebende Frau immer mehr in die soziale Isolation. "Oft besteht der Kontakt zur Außenwelt nur noch über Internet oder Telefon." Unterstützung erhält sie von ihrer Tochter, ihren Eltern und wenigen Freunden. Es ist eine schier ausweglose Situation.

Wie soll es weitergehen? "Ich weiß es einfach nicht", sagt Sylva Nordt niedergeschlagen. Große Hoffnungen sieht sie in einer fachgerechten Sanierung ihrer Wohnung mit chemisch unbelastetem Putz oder Fliesen. Sie sucht Hilfe, in welcher Form, sei egal. "Spenden für eine regelmäßige Entgiftung oder für eine Sanierung würden mir helfen", sagt Sylva Nordt. Über Menschen, die sie unterstützen oder über einen Austausch mit einem weiteren Betroffenen würde sie sich freuen. Manchmal helfe es schon, einfach über MCS zu sprechen. Telefon: (039291)53902 oder SNordt@t-online.de.