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Zwei Kulturen, ein Filmemacher: Heute Abend wird um 19 Uhr im Salzlandmuseum in Schönebeck eine neue Ausstellung eröffnet Kontraste erleben: Indien trifft Sachsen-Anhalt

Von Ulrich Meinhard 13.09.2012, 05:17

Einen Kontrast der Kulturen können Besucher einer Ausstellungseröffnung heute Abend im Salzlandmuseum in Schönebeck erleben. Der indische Filmemacher Ravi Shekhar präsentiert einen Streifen, der sowohl in Indien, als auch in Sachsen-Anhalt entstand.

Schönebeck l "Laptop und Beamer reagieren aufeinander. Das ist schon mal gut." Petra Koch, die Leiterin des Salzlandmuseums im Schönebecker Stadtteil Bad Salzelmen, ist guter Dinge. Die Technik wird zum Laufen gebracht an diesem Vorabend einer neuen Ausstellungseröffnung.

Zu der sind heute um 19 Uhr alle Menschen willkommen, die Interesse an der indischen Kultur haben sowie (und hier wird es spannend) miterleben wollen, wie sich der Kontrast zwischen dem Straßenbild dort und hier darstellt. Den Film hat Ravi Shekhar gedreht. Er beginnt mit einem Flusssufer und Plätzen voller Menschen. Geräusche von überall her. Farben, bunte Gewänder, Weihrauch in der Luft. Dann kommt der Schnitt: Eine weite, menschenleere Landschaft. Ein Auto fährt vorbei. Stille. Sachsen-Anhalt.

Wo sind die Menschen hin? Diese Frage hat sich Ravi Shekhar gestellt, als er im April in die Altmark kam. Die Kunststiftung Sachsen-Anhalt hatte den 53-Jährigen eingeladen und gewährte ihm ein halbjähriges Stipendium in Salzwedel.

Deutschland kannte der Inder bereits, allerdings den westlichen Teil. Der Osten war neu für ihn. Der Unterschied fällt dem Multimedia-Künstler auf, er meint: "Im Vergleich zu westdeutschen Städten gibt es hier noch Entwicklungsmöglichkeiten." Sehr viel größer aber ist der Unterschied zu Mumbai, der Millionenstadt am Ganges. Dort ist Ravi Shekhar zu Hause.

Gegenüber der Volksstimme beschreibt er es so: "In Deutschland, natürlich auch in den neuen Bundesländern, gibt es mehr Frieden, mehr Ruhe. Selbst kleine Städte, sogar Dörfer sind infrastrukturell sehr gut entwickelt. Alles scheint perfekt organisiert zu sein. Die Zuständigkeiten sind klar geregelt."

Beeindruckt hat ihn kürzlich bei einem Treffen von Unternehmern, dass jeder der Teilnehmer am Ende seinen Stuhl artig wieder in einen Nebenraum brachte. "Das würde in Indien nie passieren. Da gibt es Leute für niedere Arbeiten", stellt er fest.

Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass die Lebensbedingungen in Deutschland eindeutig besser sind: "Es gibt mehr Raum, mehr Kommunikation, mehr Reisemöglichkeiten. Aber die Menschen hier sind trauriger. Das Toleranzlevel ist niedrig. Die Inder sind toleranter. Vielleicht können ja beide Seiten voneinander lernen", hofft Ravi Shekhar.

Der Lernprozess scheint bereits im Gange zu sein. "Mein Eindruck ist auch, dass Indien immer westlicher wird und viele Menschen in Europa das östliche Denken annehmen", sagt der 53-Jährige. "Es ist egal, wo in der Welt ich meinen Facebook-Account bediene. Es gibt immer Antworten und Reaktionen", verweist er auf die weltumspannende Kommunikation via Internet.

Befragt nach seiner eigenen Weltsicht, führt Ravi Shekhar mehrfach das Wort "Silent" im Munde. In sich still werden, sagt er, sei wichtig für die seelische Entwicklung, für das Wohlgefühl in sich selbst. "Die Probleme, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, entstehen ja erst durch Gruppen und die darin enthaltene Gruppendynamik. In Indien kann man wunderbar allein leben. Es ist ein Land für Individualisten", erklärt der Filmemacher und wehrt ab: Nein, dass sei nicht sein Credo, das sei die Praxis. Dass es deshalb erstrebenswert sei, besser allein zu leben, sagt er nicht. Im Gegenteil. Ravi Shekhar äußert sich erfreut über die Menschen, die ihm in Sachsen-Anhalt begegnet und zu Freunden geworden sind.

Fremdenfeindlichkeit habe er nicht erlebt. "Ich war immer von Leuten umgeben, die freundlich waren und sich um mich bemüht haben", lässt er wissen.

Wenn er Ende September wieder in Indien ist, will er ein neues Filmprojekt in Angriff nehmen. Hinter der Kamera werde dann ein veränderter Ravi Shekhar stehen. "Ich werde einen indischen Film machen, aber mit dem Blick von hier", bringt er für sich zusammen, was sich für ihn aus beiden Kulturen zusammengefunden hat. "Ich habe mich sehr verändert in den sechs Monaten." Zum Positiven? "Auf jeden Fall. Darum bin ich immer bemüht. Schlechte Gewohnheiten nimmt man hingegen sehr schnell und ohne Mühe an."

Deutschland aus indischer Sicht hat übrigens sehr viel mit einem Mann zu tun, der hierzulande eher in Vergessenheit geraten ist. Die Rede ist von Friedrich Max Müller. Der Sprach- und Religionswissenschaftler erblickte 1832 in Dessau das Licht der Welt und gilt als bedeutender Begründer der Sanskrit-Forschung. So heißen die deutschen Goethe-Institute in Indien "Max Mueller Bhavan". Müller versuchte bereits im 19. Jahrhundert, den östlichen Geist zu verstehen und für die Europäer zugänglicher zu machen.

Damit schließt sich ein Kreis. In seinem Film befragte Ravi Shekhar Sachsen-Anhalter nach ihrer Motivation, fernöstliche Lebensgewohnheiten oder auch Weisheiten im eigenen Leben zu integrieren. Und wurde fündig. Für Ravi Shekhar leben die Menschen überall auf der Welt zwar in ihrem eigenen Kosmos, doch scheinen sie immer auf der Suche nach anderen Welten zu sein: die Voraussetzung für das Interesse am jeweils anderen.

Entspricht die indische Lebensrealität den Darstellungen, wie sie in dem erfolgreich gelaufenen Film "Slumdog Millionär" inszeniert wurden? "Die Realität ist noch härter", sagt Ravi Shekhar. Die Politik achte auf sich selbst, nicht auf die Menschen. Selbst wenn dort oben eine gute Idee geboren werde, komme sie nie, niemals unten an. Korruption und Kriminalität seien vorherrschend.

Ravi Shekhar wird heute Abend einen Teil seines Films dem Publikum präsentieren, ebenso Fotografien aus dem Slum von Mumbai. Der lag einst am Stadtrand und wurde inzwischen vom Bauboom umwachsen. Zuvor will der in Hohenerxleben wohnende Musiker und Schauspieler Vahid Shahidifar, er ist persischer Herkunft, auf der Santur musikalisch einstimmen mit "Liedern entlang der Seidenstraße". Musik also, die zwischen Persien und Indien hin und her schwingt und beide alten Kulturen miteinander verbindet.

Apropos verbindet: Wie kamen denn eigentlich alle Beteiligten zueinander? "Durch Dr. Gunnar Schellenberger, dem Vorsitzenden des Kulturausschusses im Landtag. Er hat uns alle miteinander vernetzt", sagt Manon Bursian, die Direktorin der Kunststiftung.