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Bürgerarbeit: Freilegung des Unseburger Walls und Aufarbeitung des "Heiligen Landgrabens"

Von Franziska Richter 11.04.2012, 05:19

Sie schaufeln, sieben Erde, streichen Bänke oder heben Gräben aus- die Bürgerarbeit in der Gemeinde Bördeaue ist seit Oktober im vollen Gange. Ein Besuch vor Ort.

Unseburg/Tarthun l Yvonne Pollack und Frank Mertge hocken am Unseburger Wall, kurz vor dem Eingang des alten Tonnengewölbes. Sie durchsiebt die Erde, die sie hier nach und nach abträgt, er schüttelt eine Schaufel nach der anderen in die Schubkarre. Diese werden hinter dem Wall aufgeschüttet, wo weitere Arbeiter Sand durch ein großes Sieb geben. In dem Unseburger Wall, dem letzten Relikt der alten Unseburg, wurden bereits vor Jahrzehnten bei Ausgrabungen historische Funde gemacht, die jetzt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle liegen.

Hoffen auf archäologische Fundstücke im Tonnengewölbe

"Wir hoffen etwas zu finden", schaut Yvonne Pollack lächelnd auf das kleine Sieb in ihrer Hand. Archäologische Besonderheiten könnten in dem langen Tonnengewölbe durchaus noch möglich sein. Seit März ist sie mit den Männern hier draußen. Erst schlugen sie das Dickicht herunter und machten das Gelände bis hinter zum alten Friedhof begehbar, jetzt legen sie das Tonnengewölbe frei. Stein für Stein, Erdschicht für Erdschicht, tragen Yvonne und Kollegen mit der ehrenamtlichen Hilfe der Archäologin Anja Kolbitz ab. Sie werden das komplette Gewölbe freilegen und für die Öffentlichkeit begehbar machen. Das Landesamt für Denkmalschutz begleitet die Arbeiten.

Für Unseburg sind derzeit sechs Mann in der Bürgerarbeit. In Tarthun sind es sieben. Das Programm ist hier am 1. Oktober 2011 angelaufen, wird drei Jahre bis zum 30. September 2014 laufen. Während die Personalkosten durch das Bundesprogramm "Bürgerarbeit", finanziert durch den Europäischen Sozialfond (ESF), getragen werden, übernimmt die Gemeinde die Kosten für das Material.

Sinn und Zweck der Bürgerarbeit ist die Tourismusförderung, die Aufwertung der Region. Mittelpunkt dieser touristischen Aufwertung ist die Wasserburg Egeln, von der aus Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der gesamten Egelner Mulde geleitet werden sollen. Daher liegt ringsherum im Gebiet der Schwerpunkt auf dem Thema "Mittelalter" - Ausgrabungen, historische Grabensysteme, Mittelalterspielplätze und mehr.

Die "Unseburg" wird wieder hochgezogen

Nach diesen Arbeiten soll die "Unseburg" nachgebildet werden. An der Ecke Clara-Zetkin-Straße und Rudolf-Breitscheid-Straße werden drei der sechs jetzt am Wall aktiven Bürgerarbeiter einen begehbaren, mittelalterlichen Spielplatz errichten, der Treffpunkt für Familien und Anwohner werden soll. Wie die Unseburg genau ausgesehen hat, das kann auch Anja Kolbitz nur vermuten. Daher ist auch hier das Wissen von alteingesessenen Bürger gefragt.

Nächste Station der Bürgerarbeit: der Tarthuner Wöhl. Der Auenwald kurz vor Tarthun wurde einst vom sogenannten "Heiligen Landgraben" umgeben, der das Gelände mit Wasser versorgte, bevor das Grabensystem verlandete. Auch zwei Wassermühlen werden die Bürgerarbeiter bauen. Diese sollen an die Ausläufe des Grabens gesetzt werden und das Wasser hindurchplätschern lassen. Das Wasser werde dann bis zur Egelner Wasserburg geführt, so dass, wenn alles fertig ist, das Grabensystem vom Tarthuner Wöhl bis zur Wasserburg reiche. Diese Verbindung über das Wasser zur mittelalterlichen Burg entspricht dann auch dem Konzept der touristischen Zusammenführung von Wasserburg und Bördeaue.

Dass der "Heilige Landgraben" überhaupt existierte, weiß Bürgermeister Peter Fries von einem Anruf eines Mannes aus Westdeutschland. Der habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das Grabensystem zwischen Wasserburg und Tarthun vor rund 300 Jahren noch intakt war.

Nachdem die vier für den Landgraben eingesetzten Bürgerarbeiter auch hier den alten Graben von Holz und Dickicht befreit haben, bringen die Männer Manfred Sullbach und Harald Didtl die Senke wieder in Grabenform, während zwei Damen die Vorarbeiten mit Harke und Rechen tun. Janette Busse ist eine von ihnen.

Für sie ist die Bürgerarbeit eine Chance, Zeit zu überbrücken bis sie eine Festanstellung bekommen kann, denn im Moment hat sie noch keinen Führerschein, ist also nicht mobil. "Ich bin hier bis zum 30. September, solange ich meinen Führerschein mache. Danach fange ich direkt meine Ausbildung an", sagt die 22-jährige Tarthunerin. In der Zwischenzeit tue ihr die frische Luft gut, hier im Tarthuner Auenwald. "Ich wollte etwas draußen tun. Das macht mir Spaß", sagt sie.

Historischer Spielplatz mit Wackelsteg und Pendelschaukel

Weitere drei Kollegen von ihr werkeln derzeit in der alten Sporthalle. Dort bauen Joachim Seilz, Uwe Preuß und Oliver Borrman an einer Holzbank. "Hier in Tarthun soll auch ein historischer Spielplatz entstehen, mit Holzbänken, Wackellaufsteg, Schaukel und mehr", kündigt Peter Fries an. Die drei Männer geben sich ebenfalls erleichtert, eine Aufgabe zu haben, mal rauszukommen und länger als ein paar Monate wie in Zeit- oder Leiharbeit beschäftigt zu sein.

Bürgerarbeit als Alternative zum ersten Arbeitsmarkt

"Eine Arbeit zu finden, die vernünftig bezahlt wird, ist hier fast aussichtslos", sagt Oliver Borrmann über die Arbeitsmarktsituation für sich selbst. Daher sei er erstmal in das Programm Bürgerarbeit eingestiegen. Auch seine Kollegen fanden kaum Arbeit in der Region. Einer ist durch einen Bandscheibenvorfall nicht mehr voll belastbar, der andere hatte immer nur Ein-Euro-Jobs und kann daher keine längere Anstellung in seinem Lebenslauf vorweisen.

Mit dem fehlenden Führerschein von Janette Busse, der Arbeitsverletzung von Joachim Seilz oder dem Pech im Lebenslauf von Uwe Preuß zeigt sich genau das, was für viele Bürgerarbeiter Schicksal ist. "Es handelt sich um Kunden, die auf dem ersten Arbeitsmarkt leider keine Chance mehr haben", sagt Andrea Jahn, Fallmanagerin im Jobcenter Staßfurt. Einschränkungen bei Gesundheit, Mobilität, fehlende Abschlüsse, ein Pflegefall in der Familie oder große Lücken im Lebenslauf hindern manche Menschen am Finden einer Festanstellung, berichtet die Fallmanagerin aus ihrer Erfahrung.

Daher ist die Bürgerarbeit nicht nur eine Beschäftigungsart, es soll auch ein weiterer Versuch sein, Arbeitslose doch noch auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. "Daher beginnt die Bürgerarbeit immer mit der Aktivierungsphase. Dann wird eine Möglichkeit gesucht, die Kunden des Jobcenters doch noch zu vermitteln", sagt Andrea Jahn weiter. Jene, für die dies nicht möglich ist, werden in die Bürgerarbeit und dann auf die Arbeiten in ihrem Heimatort aufgeteilt.

"Die Bürgerabeiter werden dann über die ÖSEG (Ökologische Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH) angestellt für 30 Stunden die Woche. Weitere 10 Stunden üben sie am Computer, suchen nach Stellenangeboten und schreiben mit einem Coach Bewerbungen", erklärt Jahn weiter. Finde ein Bürgerarbeiter eine Anstellung, kann er die Bürgerarbeit sofort aufgeben, um einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. "Es gab einen Bürgerarbeiter aus Unseburg und einen aus Egeln, die während der Bürgerarbeit auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden", kann sich Antje Jahn entsinnen.

Aktuell sind 120 Bürgerarbeiter in der Egelner Mulde. Begonnen hat das Projekt mit 42 Leuten auf der Wasserburg (Volksstimme berichtete). Es folgten 21 Bürgerarbeiter in Kitas und Schulen und 29 in den Ortsteilen der Verbandsgemeinde, wie hier 13 in der Gemeinde Bördeaue. Bewirbt sich eine Gemeinde wie die Egelner Mulde um das ESF-finanzierte Bundesprogramm, müssen dort mindestens 500 Menschen als arbeitslos gemeldet sein.

"Die Bürgerarbeit wird von den Anwohnern wirklich gut angenommen. Auch die Zusammenarbeit mit Jobcenter und ÖSEG läuft super", sagt Bürgermeister Peter Fries. Als Bürgermeister kann er sich bereits jetzt für die getane Arbeit bedanken. "Auch ein großes Dankeschön an Anja Kolbitz für ihre professionelle Unterstützung am Unseburger Wall."