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Klassentreffen des Abiturjahrganges von 1952 im Staßfurter Dr. Frank-Gymnasium 60 Jahre nach dem Abitur bringen die Gedanken des Einen die Erinnerungen des Anderen hervor

Von Karolin Aertel 12.10.2012, 03:13

18 Ehemalige des einst mehr als 50 Schüler umfassenden Abiturjahrganges von 1952 trafen sich am Mittwoch in der Aula des Dr. Frank-Gymnasiums, um ihre Erinnerungen an die "Penne" aufzufrischen.

Staßfurt l Eine Schulzeit im Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die Kapitulation der Deutschen und die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik - die Absolventen des Abiturjahrganges von 1952 durchlebten in ihrer Kindheit und Jugend ein politisches Wechselbad. 60 Jahre nach ihrem Abschluss besuchten 18 der einst über 50 Absolventen ihre frühere Schule - das heutige Dr. Frank Gymnasium. In dem anmutend-historischen Ambiente der Schul-Aula kamen die Absolventen mit jungen Schülern ins Gespräch. Woran sie sich nach so langer Zeit noch erinnern, wollten die Schüler von ihnen wissen.

Die Erinnerungen, die dabei zu Tage kamen, waren vielfältig, aufschlussreich, bisweilen sogar schockierend. So erinnerten sich beinah alle an ein junges Mädchen aus der damaligen Wachtelstraße (heute Langestraße), dass kahlgeschoren im offenen Wagen in einem Käfig durch die Stadt gefahren wurde; vorweg der Fanfarenzug. An den Seiten des Wagens habe so etwas gestanden wie "wer so ein Schandfleck, wie ich ist, gehört in Deutschland auf den Misthaufen". Der Grund: Das Mädchen hatte eine Liebschaft mit einem polnischen Fremdarbeiter, die damals auf den Bauerhöfen in und um Staßfurt arbeiten mussten. Wie später bekannt wurde, sei der Vater des Mädchens in ein Konzentrationslager gekommen. Die Familie habe Kellermann geheißen, meinen sie.

Hanno Knoppe erinnert sich daran, dass er als Kind an der Panzerfaust ausgebildet worden war. "Man hat von uns erwartet, dass wir in der Berliner Straße sitzen und die feindlichen Truppen unter Beschuss nehmen", erzählt er. Doch soweit sei es glücklicherweise nicht gekommen, denn wenn er sich recht erinnere, habe ein Herr Adam am 12. April 1945 weiße Laken an das Fenster gehängt. "Es ist möglich, dass der Herr Adam dadurch Staßfurt gerettet hat", erzählt er und verweist darauf, dass wenige Tage vorher Halberstadt in einer ähnlichen Situation war und in Schutt und Asche gelegt wurde. "Das Schicksal hätte uns auch geblüht. Wir waren besorgt, weil Staßfurt ja eine Lazarettstadt war."

Karl-Heinz Hartung erinnerte sich derweil an die Ankunft der Schotten, die mit den Amerikanern kamen: " Die logierten im Bahnhofshotel und wir waren so neugierig. Keiner hatte ja vorher Männer in Röcken gesehen."

"Das war eine Zeit, in der ein Perserteppich gegen einen Sack Kohle getauscht wurde"

Elenor Rudolph (geborene Pielert) erinnert sich daran, dass sie als Schülerin Unmengen an Heilkräutern sammeln mussten und dass viele Menschen die Kohle von Güterwagen geklaut haben. "Das war eine Zeit, in der ein Perserteppich gegen einen Sack Kohle getauscht wurde."

Hans Georg Knoche erinnert sich daran, dass er Rüben verziehen musste: "Sie müssen sich vorstellen, man hat eine Reihe zu verziehen deren Ende nicht in Sicht war und dafür gab es dann eine Mark am Ende des Tages. Erwachsene mussten täglich zwei Reihen verziehen und bekamen dafür zwei Mark", erzählt er. Dass vor allem auch Altpapier gesammelt werden musste, daran denkt Alfred Trippo zurück, dessen Vater eine Druckerei in Staßfurt besaß.

"Es kamen Fragen in der Prüfung ran von Themen, die wir nie gelernt hatten"

Auch an den ein oder anderen Lehrer erinnerten die Absolventen sich, ebenso wie an die Tatsache, dass sie der erste Jahrgang waren, der gewissermaßen ein Zentralabitur ablegen musste. In den Fächern Deutsch, Mathe und Russisch habe es einheitliche Fragen gegeben, die auch die Lehrer nicht kannten, was zur Folge hatte, dass eine 3,4 die beste Note war. "Es gab ja keinen einheitlichen Lehrplan, ganz im Gegenteil, die wechselten jährlich. Es kamen Fragen von Themen in der Prüfung ran, die wir nie gelernt hatten", erinnert sich Sibylle Bries (geborene Crampe).

Und so reihte sich Erinnerung an Erinnerung. Die Gedanken des Einen brachten die Gedanken des Anderen hervor und aus dem Klassentreffen wurde eine Geschichtsstunde, die gut und gerne noch hätte Stunden dauern können. Jedoch stand auch noch ein Rundgang durch das Schulgebäude auf dem Programm, was das kollektive Zurückblicken zumindest in der Aula beendete.