Die Filmkamera ist ihm auf den Fersen

Der niederländische Filmemacher Marijn Poels begleitet den Stendaler Otto Nawrocki (90) bei der Leichtathletik-WM der Senioren in Brasilien. Für die Volksstimme berichtet er aktuell.

Stendal/PortoAlegre (nk) l "Die Reise war lang und die fünf Stunden Zeitunterschied waren anstrengend für mich", sagt Otto Nawrocki. Am Mittwoch ist der 90-jährige Stendaler Leichtathlet im brasilianischen Porto Alegre angekommen. Hier ist es wie im Frühling, es sind 25 Grad.

Nawrocki hatte drei Tage Zeit, sich zu akklimatisieren und seinen Biorhythmus wiederzufinden, bevor die Wettkämpfe begannen. Seine Selbsteinschätzung: "Die Beine sind zu 85 Prozent fit und ich konzentriere mich auf meinen ersten Lauf am Samstag."

Wie bereitet er sich vor? Jeden Morgen vor dem Frühstück macht Otto Nawrocki 20 Liegestütze und 20 Kniebeuge im Hotelzimmer, so wie er das auch in Stendal jeden Tag tut. Am Nachmittag macht er einen Lauf durch die brasilianische Stadt, isst ausreichend und versucht, einen mentalen Fokus zu entwickeln. Nawrocki scheint in sich zu ruhen. "Das einzig Ungewöhnliche", sagt er, "ist die Kamera von Dokumentarfilmer Marijn Poels, die mich immer und überall verfolgt. Von morgens bis abends." Aber Nawrocki ist bereit, er sagt: "Ich erlebe jetzt meinen Traum, hier über den Großen Teich."

Am Sonnabend um 11 Uhr war sein erster Wettkampf, der Hundert-Meter-Lauf. In der Nacht zu Sonntag sendet Marijn Poels dazu eine kurze Mail: "Otto ist heute Zweiter geworden im 100-Meter-Sprint." Am heutigen Montag tritt Nawrocki im Kugelstoßen an und morgen im 200-Meter-Sprint.

Marijn Poels selbst ist beeindruckt von dem sportlichen Senior: "Er ist nicht nur körperlich stark, sondern hat auch einen riesigen starken Willen. Ich hab noch nie jemanden in diesem Alter so kämpferisch erlebt. Er ist unerschöpflich, und das interessiert mich als Dokumentarfilmer."

Für die Antwort auf die Frage, wo Nawrocki seine unerschöpfliche Energie herholt, hat Poels noch Zeit, um das herauszufinden. Der Dokumentarfilm mit dem Titel "Unerschöpflich" soll im Mai 2014 fertig sein.

Otto Nawrocki, geboren 1923, lebt in Stendal, war 65 Jahre verheiratet, hat acht Kinder zusammen mit seiner Frau Gertrud großgezogen, die vor drei Jahren gestorben ist. "Otto Nawrocki ist ein kleiner Mann mit großen Geschichten", sagt Poels, "er kann stundenlang über die Jahre, die er im zweiten Weltkrieg erlebte, und über die vier Jahrzehnte in der DDR sprechen. Otto ist keinesfalls der Prototyp Opa." Im Alter von achtzig Jahren begann er mit der Leichtathletik, wo er bis heute erfolgreich ist und schon einige Preise mit nach Hause gebracht hat. Die Teilnahme an der Leichtathletik-WM der Senioren im brasilianischen Porto Alegre ist, wie er sagt: "Mein letztes großes Sportereignis."