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Kernkraftwerk bei Stendal Erinnerung an das abgerissene Niedergörne

1974 begann der Bau des Kernkraftwerks (KKW III) bei Stendal. Um dieses
Vorhaben realisieren zu können, musste das Dorf Niedergörne an der Elbe
weichen. Für die KKW-Serie sprach die Volksstimme mit dem ehemaligen
Pfarrer der Kirchengemeinde Niedergörne.

Von Doreen Schulze 26.07.2014, 03:13

Arneburg/Stendal l Um das Kernkraftwerk (KKW III) bei Stendal errichten zu können, begannen am 1. Oktober 1975 die Abbrucharbeiten des Dorfes Niedergörne. Nicht nur Wohnhäuser, die Verkaufsstelle, die Schmiede und das Herrenhaus wurden im Zuge dessen abgerissen, auch die Kirche, ein Backsteinbau aus dem 12. Jahrhundert, die beiden unteren Turmgeschosse waren aus Feldstein, musste den Kernkraftswerksplänen weichen.

Hermdieter Möhring war von 1960 bis 2000 Pfarrer des Pfarrbereichs Hohenberg-Krusemark. Er betreute in dieser Funktion auch die Kirchengemeinde Niedergörne. Alle 14 Tage richtet er dort den Gottesdienst aus, stets im Wechsel mit Dalchau. "Es waren nur wenige Gottesdienstbesucher. Frau Friebe spielte die Orgel", berichtete Möhring. Im Winter blieb die Kirche geschlossen. Die Gemeinde versammelte sich im Gemeideraum des Pfarrhauses. Dort fand auch wöchentlich der Konfirmandenunterricht statt.

Während seiner Tätigkeit als Pfarrer in Niedergörne erlebte Möhring auch den Abbau der Kirche und die dazu vorbereitenden Maßnahmen. "Zunächst waren es nur Gerüchte, die man hörte und die besagten, dass der Ort abgebrochen werden sollte", erinnerte sich Hermdieter Möhring, Pfarrer i. R. und heute in Plätz zu Hause, im Volksstimme-Gespräch. Zunächst kamen Leute, die Bodenproben entnahmen. Durch den Kontakt zu den Niedergörnern erfuhr der Pastor von den Plänen, das Dorf abzutragen. Möhring kann sich erinnern, wohin die Schätze des Niedergörner Gotteshauses - Wappen, Glocke, Orgel und weitere historische Gegenstände - gebracht wurden.

Schon zu Jahresbeginn 1975 erfolgten erste Maßnahmen, die wertvollen Gegenstände der Kirche in anderen Kirchengemeinden unterzubringen. Am 19. Februar 1975 wurde die Orgel ausgebaut. Sie wurde in einen Ort des Pfarrbereichs Nebelin in der Prignitz gebracht. Der Kontakt kam durch die Niedergörner Organistin zustande. "Frau Friebes Bruder war Pfarrer in Nebelin. Dort wurde eine Orgel gebraucht", schilderte Möhring.

Am 29. April 1975 wurde die alte Schule, bislang Eigentum der Kirche, und das Pfarrhaus "verkauft". Wie Möhring erläuterte, erfolgte für die Ländereien der Kirche in Niedergörne eine Inanspruchnahme durch den Staat, das heißt, dass die Kirche eine Entschädigung vom Staat erhielt.

Der letzte Gottesdienst in Niedergörne fand am 17. August 1975 statt. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dies ein besonderer Gottesdienst war", erzählte Möhring. Keine vier Wochen später wurde die Glocke aus dem Turm geholt. Die Bronzeglocke in Tulpenform wies eine Inschrift in gotischen Minuskeln auf, umsäumt von einem Lilienfries. Möhring maß damals die Glocke aus. Ursprünglich sollte sie in ein Dorf in der Wische gebracht werden. "Aber sie passte dort nicht zwischen die Balken", erzählte der Plätzer. Schließlich wurde die Glocke am 10. September 1975 fortgeschafft. "Ich glaube sie kam nach Erxleben. Ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher", berichtete Möhring. Die Transportkosten wurden vom Werk übernommen.

Die Reste eines 1973 im Kirchturm gefundenen Barockaltars kamen in die Krusemarker Kirche, ebenso der Abendmahlskelch. Weil sich dort die Pfarrstelle befand kamen auch die Kirchenbücher, ab 1697 sind Aufzeichnungen vorhanden, nach Krusemark.

Auch in der Kirche St. Georg in Arneburg hängt ein Relikt aus Niedergörne. Es handelt sich dabei um ein Allianzwappen von 1755 anlässlich der Eheschließung von Adam Friedrich Christoph von Görne mit Maria Luise Charlotte Wolldeck aus Arneburg. "Aufgrund der Anfrage des damaligen Arnebuger Pfarrers Haase kam dieses Wappen nach Arneburg", erläuterte Möhring.

Schließlich erfolgte die Umbettung der Grabstellen. Sie wurden dorthin verbracht, wohin es die Angehörigen wünschten, wie sich der Pfarrer i. R. erinnert.

Im ersten Quartal des Jahres 1976 wurde die Kirche gesprengt. Rund 800 Jahre stand sie zuvor in Niedergörne. Wie Möhring in Aufzeichnungen fand, wurden die Obergeschosses des Turmes vermutlich im 15. Jahrhundert erneuert. Von 1713 bis 1741 erfolgten größere Reparaturen am Gotteshaus. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Innere der Kirche instand gesetzt. Die Niedergörner Kirche gehörte zu den wenigen in der Altmark, die ein Gratkuppelgewölbe aufweisen.

Wer ebenfalls Erinnerung an den Abbruch Niedergörnes beziehungsweise an den Kraftwerksbau mitteilen möchte, melde sich bitte unter Telefon 03931/68 90 41.