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Kahlschlag von Obstbäumen Einst gefördert, nun abgesägt

Alte Obstbäume fallen derzeit im Nordosten Tangerhüttes der Säge zum Opfer. Zwischen Buch und Schelldorf sorgt der Landkreis für Kahlschlag. Zwischen Schelldorf und Grieben lässt die Einheitsgemeinde Totholz beseitigen, was wiederum beim Nabu und bei Ortsbürgermeisterin Rita Platte für Entsetzen sorgt.

Von Rudi-Michael Wienecke 18.02.2015, 02:24

Schelldorf/Grieben l Sie trugen herrschaftliche Namen wie "Freiherr von Berlepsch", "Kaiser Wilhelm" oder "Köstliche von Charneu". Nun sind sie nur noch Brennholz - die einstigen alten Apfel- und Birnbäume, welche die Kreisstraße zwischen Buch und Grieben zierten. Im Zuge der Beseitigung der Hochwasserschäden lässt der Landkreis Stendal diesen Abschnitt sanieren. Die historischen Obstgehölze, zwölf alten Sorten zugehörig, teilweise 60 Jahre und älter, standen dem Vorhaben allem Anschein nach im Wege. Uta Neuhäuser, Leiterin des Bucher Zentrums für Ökologie, Natur- und Umweltschutz (Zönu), standen dagegen beim Anblick der Baumleichen links und rechts der Fahrbahn die Tränen in den Augen. Sie hätte sich gewünscht, dass wenigstens der eine oder andere vitale Baum gerettet worden wäre.

Die "Straße der alten Obstsorten" wurde kürzer

Noch vor zehn Jahren standen die Gehölze ganz oben auf der Prioritätenliste, erinnert sich die Biologin. Im Rahmen des Förderprogrammes "Regionen Aktiv" wurde die "Straße der alten Obstsorten" in beiden Altmarkkreisen mit Steuergeldern gefördert. Fachleute sahen sich jeden einzelnen Baum an, bestimmten die Sorte. Radtouristen erfreuten sich an der Allee, die in einer Broschüre erwähnt wird, und sie genossen im Sommer auch die eine oder andere Frucht.

Nun ist die "Straße der alten Obstsorten" kürzer geworden. Nachdem die Kettensägen mit dem Segen der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises ihre Arbeit getan haben, sind die damaligen Fördergelder auch dahin. Neuhäuser hätte sich gewünscht, dass die Verantwortlichen vor dem Kahlschlag das Zönu, damals Träger des Projektes, mit ins Boot geholt hätten. Eventuell wäre es so möglich gewesen, die eine oder andere genetische Ressource durch das Schneiden von Reisern noch erhalten zu können.

Zu ändern sei nun nichts mehr, "wir müssen nach vorne schauen", meint die Zönu-Chefin. Nach vorne schauen heißt für sie, dass zwischen Buch und Schelldorf nach dem Straßenbau wieder eine neue Obstallee entstehen müsse. Neuhäuser hofft, dass die Fachleute dann wenigstens bei der Sortenauswahl ein Wort mitzureden haben.

Während gestern schwere Technik zwischen Schelldorf und Buch noch die Überreste von "Williams Christ", "Boskoop" und Co beseitigte, lärmten die Sägen bereits zwischen Schelldorf und Grieben. Auch diese Gemeindestraße gehört zur "Straße der alten Obstsorten", auch hier ist jeder einzelne Baum kartiert. Einmal mit der Technik vor Ort, beseitigten die Mitarbeiter des Landkreises auf diesem Abschnitt Totholz, das aus Sicht des Naturschutzes aber ebenfalls eine große ökologische Bedeutung besitzt.

Vor Ort zeigte sich gestern neben Uta Neuhäuser auch die Griebener Ortsbürgermeisterin Rita Platte entsetzt über diese Aktion. Sie warf Einheitsgemeindebürgermeister Andreas Brohm vorschnelles und eigenmächtiges Handeln vor, denn Brohm hatte den Auftrag im Namen der Einheitsgemeinde, in diesem Falle Träger der Straßenbaulast, erteilen lassen. Weder das Zönu, noch die Ortschaft Grieben seien vorher in Kenntnis gesetzt worden.

Dies hätte aber geschehen müssen, so Platte. Sie verweist auf einen Vertrag zwischen der damaligen Gemeinde Grieben und dem Zönu. Aus dem Papier geht hervor, dass Grieben ausschließlich dem Zönu die Nutzung und die Pflege dieser Allee übertragen hatte. Die Einrichtung sei in der Vergangenheit auch ihrer vertraglichen Pflicht gerecht geworden. Mit Augenmaß wären Totholz beseitigt und neue Bäume gepflanzt worden. Übrigens profitierten auch die Kinder der Griebener Tagesstätte von dieser Kooperation. Sie erhielten kostenlosen Apfelsaft.

Für das Eingreifen der Kommune habe es keinen Grund gegeben, so Platte, die sogar von Vertragsbruch spricht. Schließlich sei die Einheitsgemeinde Tangerhütte Rechtsnachfolger der Gemeinde Grieben.

Bürgermeister räumt Fehler ein

Laut Brohm habe auch in diesem Falle die Einwilligung der unteren Naturschutzbehörde vorgelegen. Er verwies darauf, dass wirklich nur das Nötigste heruntergeschnitten wurde, und begründete das Eingreifen der Kommune mit ihrer Verkehrssicherungspflicht. "Wie trete ich Eltern gegenüber, deren Kind bei Sturm von einem herabstürzenden Ast erschlagen wurde?", nannte er das schlimmst mögliche Beispiel. Darüber hinaus hätten in der Vergangenheit auch heruntergefallene Äste die Räumung der Gräben beziehungsweise Bankette behindert.

Gleichzeitig räumte der Bürgermeister allerdings ein, dass es ein Fehler war, Zönu und die Ortschaft nicht mit ins Boot zu holen. Die Zeit hätte im Nacken gesessen, schließlich sei der Landkreis gerade vor Ort gewesen, so dass man diese Kapazitäten kostenoptimal nutzen konnte.

Als nächstes sollen zwischen Schelldorf und Grieben wieder Straßenbegrenzungspfähle gesetzt werden. Im Zuge der Beseitigung der Hochwasserschäden habe die Kommune auch für diese Straße die Sanierung beantragt. Ein Förderbescheid liege noch nicht vor.