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Diakoniewerk Wilhelmshof Joachim Arnold: "Wir beten jeden Tag für Inga"

Das Verschwinden der kleinen Inga aus Schönebeck hat im Diakoniewerk Wilhelmshof für große Betroffenheit gesorgt. Die vergangenen Wochen waren für die Bewohner mit großen Einschnitten verbunden.

Von Christian Bark 10.06.2015, 03:24

Wilhelmshof l Ein Blick auf die Webseite des Diakoniewerks in Wilhelmshof verrät schon, spurlos sind die letzten Wochen nicht an der Einrichtung für Behinderten- und Suchthilfe vorübergegangen. Mit einem Klick gelangt der Webseitenbesucher auf "Unser Gebet für Inga". "Wir bitten für die Arbeit der Polizei, dass Du (also Gott) ihnen Kräfte und Durchhaltevermögen schenkst, und auch, dass ihre Arbeit dazu führt, dass der Verbleib von Inga aufgeklärt wird", ist dort zu lesen. Wünsche und Hoffnungen, dass das fünfjährige Mädchen aus Schönebeck, das am 2. Mai spurlos im Wald bei Wilhelmshof verschwunden ist, bald und möglichst gesund wieder auftauchen möge.

Kräfte und Durchhaltevermögen brauchten seitdem nicht nur die Verwandten des Mädchens sowie die Polizeikräfte, auch die Bewohner und Mitarbeiter auf Wilhelmshof hatten und haben an dem Fall "zu knabbern", wie Diakoniewerkleiter Joachim Arnold das Erlebte schildert. "Da standen vor einigen Wochen die Übertragungswagen der Medien", verweist Arnold auf eine Wiese vor dem Hof. Für die Fragen und Belange der Ermittlungsbehörden hatten sich das Personal und Bewohner zur Verfügung halten müssen. Das sei schon eine große Beeinträchtigung gewesen, andererseits hätten die Polizisten die Leute vor dem ganzen Medientrubel geschützt. "Wenn Fragen waren, habe ich immer auf die Pressestelle der Polizei verwiesen", sagt Arnold.

"Mir war klar, dass wir den Eltern zur Seite stehen mussten." - Joachim Arnold, Einrichtungsleiter

An dem Tag, als Inga verschwand, hatte er das Mädchen noch gesehen, erinnert sich Arnold. "Sie hat uns beim Fußballspielen beobachtet und mit Pusteblumen gespielt." Am späten Nachmittag habe er sich dann zurückgezogen und Ingas Familie mit ihren Bekannten, die zuvor schon gute Verbindungen zur Einrichtung hatten, allein.

Am Sonntag hatten Arnold und seine Mitarbeiter vom Verschwinden Ingas gehört. Während des Sonntagsgottesdienstes hätten sie das Mädchen in ihr Gebet eingeschlossen, auch die Eltern der Fünfjährigen seien in der Kapelle dabei gewesen. "Mir war klar, dass wir den Eltern zur Seite stehen mussten", sagt der Einrichtungsleiter. Seitdem werde jeden Sonntag im Gottesdienst sowie bei der täglichen Morgenandacht an das Mädchen erinnert. "Wir beten jeden Tag für Inga", sagt Joachim Arnold. Obwohl es schwer vorstellbar sei, könne er nicht ausschließen, dass doch einer der Einrichtungsbewohner mit Ingas Verschwinden zu tun haben könnte. "Sollte sich herausstellen, dass doch jemand aus Wilhelmshof etwas mit dem Fall zu tun hat, könnte das einen tiefen Einschnitt in unsere Kultur bedeuten", beschreibt Arnold seine Angst davor, dass das Gesamtkonzept des Diakoniewerks in Frage gestellt werden könnte.

"Der Suchthilfebereich wurde unter Generalverdacht gestellt." - Joachim Arnold

Anfang Mai wurden die Einrichtungsangehörigen von einem Seelsorger betreut. Auch heute werde das Geschehene in Gesprächen aufgearbeitet. "Viele Menschen, die hier leben, hat das traumatisiert", erklärt Arnold. Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse seien durch uniformierte Polizisten und den Gedanken an ein Gewaltverbrechen wieder wach geworden. "Gerade der Suchthilfebereich wurde unter Generalverdacht gestellt", beschreibt Arnold seine Eindrücke. Trotzdem habe er Verständnis dafür gehabt.

Auch Hans-Joachim Kreisel musste sich den Fragen der Polizei stellen. Er kam 2012 nach Wilhelmshof, hatte hier Bewährungsarbeit zu leisten, weil er einst sein Haus angezündet hatte und die Flammen auf das Nachbarhaus überzugreifen drohten. Damals hatte er sich aufgrund familiärer Probleme das Leben nehmen wollen, wie er sagt. Seitdem lebt der inzwischen trockene Alkoholiker auf Wilhelmshof, kümmert sich um die Gänse und Rinder, die auf dem Hof zum Eigenbedarf gezüchtet und geschlachtet werden.

"Schlimm, mit dat Mädchen", schüttelt der 62-Jährige seinen Kopf. Als am Sonntag nach Ingas Verschwinden der Gottesdienst abgehalten wurde, hatte er den Kapellraum geschmückt und vom ganzen Herzen für die Fünfjährige mitgebetet, erinnert er sich. Dass jemand aus der Einrichtung dem Mädchen etwas angetan haben könnte, kann sich Kreisel nicht vorstellen. "Wir waren alle beknurrt gewesen", sagt er. Was wohl soviel heißt, wie bedrückt sein.

Mit der Befragung durch die Polizei sei er gut klar gekommen. Seine Tiere und seine große Leidenschaft, das Puzzeln, hätten ihm Ablenkung verschafft. Dabei hatte er Inga und die anderen Kinder am 2.Mai noch gesehen, ihnen zugewunken. Wilhelmshof ist für Kreisel ein Idyll, fast schon ein kleines Paradies. Es fiele ihm schwer zu glauben, dass an so einem Ort etwas Schreckliches passieren könnte.

"Sie ist gerade mal so alt wie mein jüngstes Enkelkind." - Hans-Joachim Kreisel, Bewohner

Die Suchmaßnahmen der Polizei hätten Kreisel und die anderen Wilhelmshofer schon auf Trapp gehalten. "Den haben sie regelrecht auseinandergefahren", verweist der 62-Jährige auf einen großen Heuhaufen nahe dem Gänsestall. Aber verstehen habe er den Aufwand schon können. "Sie ist gerade mal so alt wie mein jüngstes Enkelkind", sagt Kreisel. Er könne die Verzweiflung der Angehörigen des Mädchens nachempfinden.

Auch Betreuer Karsten Prozell hat kleine Kinder in Ingas Alter. Da schmerze es doppelt, wenn er sich vorstelle, dass eines seiner Lieben so spurlos verschwinden könnte. "Es muss aber weitergehen", sagt Prozell. Gemeinsam mit den Einrichtungsbewohnern Jürgen Weber und Heiko Mendorf sägt er gerade Baumstämme. Daraus sollen die Balken für ein Carport werden. "Hoffentlich wird Inga bald gefunden", bangt Heiko Mendorf um das Schicksal des Mädchens. Auch er würde ein Verbrechen keinem seiner Mitbewohner zutrauen. In den Medien habe er das Geschehen regelmäßig verfolgt. Ganz in der Nähe, wo Ingas Familie eigentlich einen unbeschwerten Abend hatte verleben wollen, hat Mendorf vor einigen Tagen sein Zelt aufgeschlagen. Er sei passionierter Camper, erklärt er, und Wilhelmshof eigne sich super zum Zelten.

"Wir legen das Ungewisse vertrauensvoll in Gottes Hände." - Joachim Arnold

Joachim Arnold zeigt die Stelle, wo die Familie gegrillt hatte. Dort soll übrigens bald schon das Carport stehen. In Wilhelmshof leben nach Aussagen Arnolds auch Kinder der Mitarbeiter. Da habe es nie Probleme gegeben.

Die Hoffnung, das Mädchen wohlbehalten zu finden, schwinden mit jedem Tag, das weiß auch Joachim Arnold. Trotzdem verliert er seinen Glauben an ein gutes Ende nicht: "Wir legen das Ungewisse vertrauensvoll in Gottes Hände." Ob Gebete da viel ausrichten können, weiß er nicht, aber soviel steht fest: "Wenn Inga tatsächlich wohlbehalten wieder auftaucht, feiern wir in Wilhelmshof einen großen Dankgottesdienst." Da sind sich Arnold und Kreisel einig.