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Euthanasie und Zwangssterilisation Schweres Erbe im kollektiven Hinterkopf

Von Frank Eckert 04.09.2009, 05:01

Stendal. Von jenen Scheußlichkeiten, die das nationalsozialistische Regime installierte und als schweres geschichtliches Erbe hinterließ, besetzen die Gesetze zur Euthanasie und Zwangssterilisation so unrühmliche wie hohe Spitzenränge. Aussortiert, des Lebens unwürdig durch andere bestimmt, wurden Behinderte, Menschen mit psychischen Krankheiten oder auch nur dessen verdächtig zwischen 1933 und 1945 auf den Rand der Gesellschaft abgekippt, vor der Öffentlichkeit weggesperrt – ja entsorgt.

Die Ausstellung " Justiz im Nationalsozialismus " am Landgericht Stendal lässt diese niederträchtigen Schandtaten vor den Besucheraugen lebendig werden, und so erschüttern diese Bilder das innere Gleichgewicht und rütteln an dem Gleichmut und der Gleichgültigkeit als Ausgrenzungsmerkmal auch in der heutigen Zeit. " Es ist immer wieder erschreckend, wie manch einer heutzutage zwar die Taten in ihrer Konsequenz von damals nicht gutheißt, aber gleichzeitig meint, dass sie durchaus ihren Sinn für sogenannte erbliche Reinheit gehabt hätten ", berichtet Dr. Ute Hoffmann, die Leiterin der Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie Bernburg.

Vereinzelt sitzt die Propaganda von damals im kollektiven Hinterkopf und wirkt nach. So muss die Expertin aufklären und strahlt dabei sachliche Ruhe aus. Im Stendaler Johanniter-Krankenhaus oder in der Psychiatrie Uchtspringe wirkten beim organisierten Wegsperren vor 65 bis vor über 75 Jahren leitende Ärzte mit, die ihre " Patienten " zwangssterilisieren ließen ; zwar nach gerichtlichen Urteilen, jedoch auf unrechtmäßiger Grundlage. Von der Fortpfl anzungseuthanasie ging das System zu einer Lebens-, also Tötungseuthanasie über. Wie jetzt in Stendal spricht Ute Hoffmann besonders gern mit Jugendlichen über dieses Kapitel deutscher Unrechtsgeschichte. Noch heute existiere, sagt die Historikerin, ein enormes Desinteresse an Zwangssterilisation im Dritten Reich. Sie will es aufbrechen. " Erst in den letzten Jahren fi ndet man das Thema überhaupt in den Schulbüchern. "

In den Geschichtsbüchern der DDR wie der Bundesrepublik ist darüber mehr geschwiegen als aufgeklärt worden. Erst 2007 wurde das Erbgesundheitsgesetz nach 74 Jahren durch den Bundestag geächtet. Das Klima dafür war längst reif. " Damals wurden die Behinderten aussortiert, heute leben sie unter uns im betreuten Wohnen ", benennt die Historikerin Hoffmann den Wandel im Umgang.