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Torsten Müller und Peter Fuhrmann putzen, zeichnen und stellen 1000 Jahre alte Beweise sicher Knochen, die Stadtgeschichte erzählen

Von Anke Hoffmeister 09.08.2012, 05:17

Gut zwei Wochen hatten Torsten Müller und Peter Fuhrmann Zeit, um Funde auf dem Areal des ehemaligen Elbparks zu sichern und für die Nachwelt zu erhalten. Die Fachmänner in Fragen der Archäologie fanden hier etwa 1000 Jahre alte Gräber.

Tangermünde l "Das ist ein schöner Befund", sagt Torsten Müller. Vor ihm auf der Erde ist ein Skelett zu erkennen und neben dessen Kopf ein runder Gegenstand. Der Grabungsleiter erklärt: "Hier handelt es sich um ein Mädchen, zwischen sieben und 14 Jahre alt, weil die Milchzähne bereits zum Teil weg sind. Ihr Skelett ist vollständig erhalten." Das Gefäß neben ihrem Kopf sei bereits beschädigt mit ins Grab gelegt worden. Doch das Bild, was sich dem Fachmann so bietet, sei eindeutig auf slawische Zeit festzulegen.

Torsten Müller und Grabungsarbeiter Peter Fuhrmann werden die Knochen Stück für Stück aufnehmen. Das Gefäß wird mit der Erde im Inneren zur Untersuchung mitgenommen. Denn selbst die kleinsten und feinsten Partikel könnten weitere Aufschlüsse über Zeit und Inhalt liefern.

Die Überreste des Mädchens sind nicht die einzigen Knochen, die die beiden Männer in der Hünerdorfer Straße gefunden haben. Ein halber Meter Erdreich bedeckte weitere etwa 1000 Jahre alte Knochen.

Im Mai (Volksstimme berichtete) waren Arbeiter auf einen Schädelknochen gestoßen. Erst wurde die Kriminalpolizei informiert. Dann kam die Archäologie zum Zuge. Torsten Müller, der zu diesem Zeitpunkt noch die Arbeiten in der Langen Fischerstraße betreute, nahm sich einen halben Tag frei, um den Fund zu begutachten. Und er stellte mit Bestimmtheit fest, dass es kein Schädel der Gegenwart, sondern ein viel älterer Fund ist.

Nach einem Vororttermin mit dem Bauherren Volker Schubert und Archäologe Dr. Thomas Weber vom Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie bekamen die Archäologen grünes Licht. "14 Tage haben wir jetzt Zeit, um all das hier zu untersuchen", berichtet Torsten Müller. "Ein großer Dank geht an den Bauherren, dass er uns das ohne Zögern ermöglicht."

Grabungsarbeiter Peter Fuhrmann hat in dieser Zeit ein weiteres, fast vollständig erhaltenes Skelett nahe dem Fußweg freigeputzt, fotografiert, eingemessen, gezeichnet und letztendlich auch aufgenommen. "Höchstwahrscheinlich ist es aus dem frühen Mittelalter", sagt er. Zur Zeit können er und Torsten Müller nur Vermutungen anstellen, aus welcher Zeit die Funde stammen. Hätte das Skelett mit dem wunderbar erhaltenen Unterkiefer beispielsweise einen grün gefärbten Kiefer, "dann wüssten wir, dass wir hier noch eine Münze finden würden", erklärt Fuhrmann. Doch der Kiefer ist nicht grün. Die Münze wurde den Toten früher unter die Zunge gelegt - ein sogenannter Zehrpfennig als Eintrittskarte in den Himmel.

Fest steht, dass all die gefundenen Knochen christlich bestattet wurden - in Ost-West-Richtung. "Es ist also eine normale mittelalterliche Bestattung." "Ganz grob gesagt, liegen sie hier vielleicht seit 1000 oder auch 1200 Jahren", vermutet Torsten Müller.

Der Schädelknochen, den Torsten Müller zu Beginn der Grabungsarbeiten von der Polizei erhalten hatte, ist von zahlreichen unterschiedlich großen Löchern, auch Ansätzen von Löchern durchzogen. Zunächst hatte der Fachmann vermutet, dass diese mit einer medizinischen Methode aus dem Mittelalter, der Trepanation, zu erklären wären.

Erst ein Anthropologe, den Torsten Müller jüngst während einer Tagung mit diesem Schädel konfrontierte, hatte eine völlig andere Begründung für die Löcher: Knochenfraß durch Syphilis. Der Schädel, so hatte Torsten Müller bereits bei einem früheren Termin erklärt, gehörte zum Skelett einer Frau, die im Alter von 25 bis 35 Jahren gestorben war.

Während Müller und Fuhrmann die archäologischen Funde für die Nachwelt dokumentieren werden, ist Petra Hoffmann, Leiterin der Tangermünder Stadtführerkinder, regelrecht erfreut darüber, dass zum Ende der Arbeiten auf dem großen Areal doch noch Knochen gefunden wurden. "Über die Jahrhunderte war der Friedhof des Dorfes Carlbau in völlige Vergessenheit geraten", erzählt sie. Während ihrer Forschungen zu Tangermünde war die Lehrerin auf das Wendendorf Carlbau gestoßen. Carlbau und auch das Hünerdorf waren in einer Zeit entstanden, als slawische Stämme hier lebten. Herausgefunden hat sie auch, dass die Bewohner von Carlbau 1716 die Kirche in der Stadt besuchten, die Kinder gemeinsam mit den Tangermündern die Schule absolvierten. Einen eigenen Friedhof besaßen sie da schon seit Jahrhunderten.

"Wir gehen davon aus, dass unsere Funde Teil dieses Friedhofs sind", sagte Torsten Müller. Genau werde sich das aber nie sagen lassen. Dazu müsste das gesamte Areal aufgenommen werden. "Doch auch das hier ist wieder ein Stück Stadtgeschichte, das sich mit vielen anderen kleinen Puzzleteilen zu einem Gesamtbild zusammenfügt."