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  7. "Diese Schneelüge gibt\'s überall auf der Welt"

Weltweit anerkannte Expertin Carmen de Jong informierte sich über Harzer Wintersportprojekte "Diese Schneelüge gibt\'s überall auf der Welt"

Von Tom Koch 30.07.2012, 03:25

Kritik an den Planungen für die Wintersportprojekte auf dem Wurm- und dem Winterberg äußert Carmen de Jong. Die Wissenschaftlerin gilt als Expertin für Skitourismus und ausgewiesene Kritikerin von Kunstschneeproduktion in den Gebirgen.

Wernigerode/Braunlage l Kann Kunstschnee den geplanten Skigebieten von Braunlage und Schierke dazu verhelfen, dieses Tourismusangebot wirtschaftlich zu betreiben?

Die Expertin redet im Volksstimme-Gespräch nicht lang um den heißen Brei herum, Carmen de Jong sagt: "Es ist ein Alptraum für uns Wissenschaftler, dass hier im Harz ein alpines Winterangebot erzwungen werden soll." De Jong, Professorin für Geographie, gilt weltweit als Expertin für Skitourismus und leidenschaftliche Kritikerin von Kunstschnee. Das hat sie bereits ihre Stelle als Wissenschaftliche Leiterin des Hochgebirgs-Instituts an der französischen Universität von Savoyen gekostet.

Sie warnt angesichts des Klimawandels vor den ökologischen wie ökonomischen Folgen der ständig wachsenden Kunstschneeproduktion. In den Alpen habe sich von 2005 bis 2011 die mit Kunstschnee bedeckte Fläche verdoppelt, der extreme Wasserbedarf dafür sorge bereits für Wassermangel in einigen Alpentälern, haben ihre Forschungen gezeigt.

Eingeladen von Christian Reinboth (Wernigerode) und Friedhart Knolle (Goslar) hat sich de Jong drei Tage lang in Braunlage und Schierke mit den Wintersportprojekten vertraut gemacht. Der Harz weise im Winter Temperaturen von 7Grad über dem Mittel der Alpen auf, dazu die geringe Gebirgshöhe und relativ hohe Luftfeuchte, das stelle besondere klimatische Herausforderungen an die Kunstschneeproduktion dar. Ihrer Einschätzung nach koste der Unterhalt des erweiterten Wurmberg-Skigebietes pro Saison rund eine Million Euro. Ob dieser Aufwand allein über Skipass-Verkäufe refinanziert werden könne - bei weiter steigenden Strom- und Wasserkosten - sei mehr als fraglich.

Genauso gibt Carmen de Jong zu bedenken, dass der Klimawandel unmittelbare Auswirkungen auf das Minimum an sogenannten Schneetagen habe. 120, mindestens aber 100Tage müsse das alpine Wintersportangebot nutzbar sein, um es wirtschaftlich betreiben zu können. Der Blick ins Sauerland zeige, dort sei mit Hilfe von Schneekanonen die Zahl der Schneetage von zuvor60 auf maximal 80Tage erhöht worden. De Jong: "Das ist noch deutlich von den wirtschaftlich notwendigen 100Tagen entfernt."

Auch im Harz, so ihre Einschätzung, werden Speicherbecken und die Wasserentnahme aus der Bode langfristige negative Folgen haben: "Alpiner Wintersport hat im Harz keine Zukunft. Er ist auch keine Ergänzung, sondern wird langfristig den Sommertourismus vernichten."

Der Schweizer Ort Davos erziele 60Prozent seiner Tourismuseinnahmen im Winterhalbjahr, ihrer Einschätzung nach werde sich das Sommer-Winterverhältnis auf 50zu50 verändern. De Jong: "Der Sommertourismus gibt nicht soviel Profit, dafür sind auch weniger hohe Investitionen als für den Winter notwendig."

Apropos Investitionen: Rund 16Millionen Euro sollen am Wurmberg, mindestens 30Millionen Euro in die Schierker Projekte investiert werden - ein enormer Druck auf die Wintersport-Industrie, ist sich die Wissenschaftlerin sicher. Ob auch dann wegen zu geringen Wasserpegels in der Bode auf den Betrieb von Schneekanonen verzichtet werde, wenn bis zu 10000Skifahrer an einem Tag "vor den Pisten stehen"? Nicht nur de Jong plagen in dieser Frage Zweifel, auch Christian Reinboth fürchtet, dass wirtschaftliche Interessen gegenüber ökologischen Belangen obsiegen werden.

Im Harz hat die Tourismusexpertin mehrfach gehört, Hotel-Investoren würden ihr Engagement in Schierke von Wintersportangeboten abhängig machen. Carmen de Jong: "Diese Schneelüge gibt es überall auf der Welt."