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Erlebnisbericht eines Kampfschwimmers, Teil I Gesichter wie die Wasserfarbe der Elbe

Heinz Ulrich aus Calbe/Saale hat seit 1998 intensiv über das Kriegsende in Mitteldeutschland recherchiert. Ihm ist es gelungen, von einem der Kampfschwimmer, die als letzter Versuch eingesetzt wurden, um die Pontonbrücken der Amerikaner über die Elbe zu zerstören, einen Erlebnisbericht zu erhalten.

17.04.2015, 01:17

Walternienburg (pwi) l Im Frühjahr 1945 näherte sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende. In Berlin glaubten die Militärstrategen immer noch an den Endsieg. Deshalb stellte man noch die sogenannte Wenck-Armee auf, die Mitte April mit der Division "Scharnhorst" auf dem ostelbischen Raum gegen die Amerikaner kämpfen musste.

Die US-Truppen konnten bei Barby-Ronney und Breitenhagen-Tochheim zwei Pontonbrücken über die Elbe errichten. Die deutsche Wehrmacht hatte danach vergeblich versucht, diese Flussübergänge mit Hilfe aus den Resten der Luftwaffe und Treibminen zu zerstören. Als letzten Versuch sollten Kampfschwimmer eingesetzt werden. Der Obergefreite Burnus war einer von ihnen. Er erinnert sich:

"Es war März 1945, als wir unseren Einsatzbefehl erhielten. Unsere Einheit wurde in zwei Gruppen aufgeteilt: erste Gruppe Leutnant Frohus, Obermaat Karstaedt, Obergefreiter Burnus, zweite Gruppe Oberfeldwebel Prasse, Gefreiter Schwarzbach, Gefreiter Diehl. Beide Gruppen wurden nach Trappenkamp zum Marine-Arsenal abkommandiert.

Ein Kapitän zur See weihte uns in die Geheimnisse eines Torpedos ein, wie sie für uns Kampfschwimmer in den Einsatz kommen sollten. Der Torpedo war so austariert, dass er mit ein Kilogramm Auftrieb jede Bewegung im und unter Wasser mitmachte. Eine stählerne U-Schiene längs dem Torpedo war mit zwei Scherstiften gesichert, die an einem runden Handring verbunden waren. Wurden diese Scherstifte mittels der Handringe heraus gezogen, flog die U-Schiene fort und gab zwei Schlagbolzen frei, die den Auftriebskörper zerstörten.

Der Torpedo sank auf den Grund beziehungsweise an das Ziel des Einsatzes und dies in nur wenigen Sekunden. Am Torpedo waren seitlich Haltetaue angebracht, so dass der Kampfschwimmer mit in die Tiefe gezogen wurde, und so den Kontakt zu seinem Kampfmittel nicht verlor. Unten angekommen, wurde der Zünder betätigt, der sich daraufhin unter den Uhrzeitzünder schob. Durch Betätigung des Uhrzeitzünders war der Torpedo scharf. Er war auf sechs Stunden eingestellt, um nach Ablauf dieser Zeit zu explodieren.

Es war Mitte April 1945, als ein Lkw der "Organisation Tod" beladen und mit unseren für die Front gedachten Torpedos vor der Tür der Flensburger Kaserne erschien. Nur für den Einsatz vorgesehene Kleidung beziehungsweise Uniform, Taucheranzug, Tauchgeschirr, Flossen usw. wurden auf die Ladefläche des Lkw verstaut. Wir sechs Leute, sowie ein Mechaniker für unser Tauchgeschirr, stiegen ein und saßen links und rechts neben den Torpedos. Die Fahrt ging erst mal nach Süden, über Hamburg in Richtung Wittenberge.

Wir bezogen dann in Steckby an der Elbe unser Quartier. An der Elbe wurde der Lkw entladen. Die Torpedos brachten wir im Wald in eine sichere Deckung. Wir befanden uns in der deutschen Hauptkampflinie und wurden bei Familien untergebracht. Wir Kampfschwimmer hatten außer unseren Torpedos auch noch Waffen zur Verteidigung mitbekommen. Neben einem Karabiner wurde uns ein MG 42 auf den Lkw geladen. Für den Einsatz hatten wir eine Pistole der Marke Walther PP 7,45 mit Schalldämpfer.

Der Tag unseres Einsatzes stand bevor. Es war der 19. April 1945. Der Einsatzbefehl lautete, zwei Pontonbrücken der Amerikaner im Bereich Steckby - Dornburg, die über die Elbe geschlagen waren, mit unseren Torpedos zu sprengen. Dadurch sollte der Nachschub unterbrochen werden. Die zu durchschwimmene Strecke von einer Hauptkampflinie zur anderen betrug 17 Kilometer. Die Elbe hatte am 19. April 1945 eine Wassertemperatur von sechs Grad, sie floss mit einer Strömungsgeschwindigkeit von etwa fünf Kilometer pro Stunde dahin. Man hatte errechnet, dass wir die 17 Kilometer bis Tagesanbruch schaffen könnten. Es war ein außergewöhnlich gutes Wetter an diesem Tag. Jede Gruppe hatte eine intensive Einsatzbesprechung. Alle Einzelheiten wurden noch einmal durchgegangen.

Beide Ufer der Elbe waren vom Feind besetzt, so dass wir uns mit unseren Torpedos in diesem schmalen Niemandsland zu bewegen hatten. Kein Laut, keine Kommandos. Absolutes Verlassen auf den anderen. Jeder wusste, was bevorstand. Der Beginn des Einsatzes war auf 23 Uhr angesetzt. Um 22 Uhr waren wir am Ufer, hatten unseren Taucheranzug mit Tarnanzug angelegt.

Die Torpedos wurden in das Wasser geschoben und erst einmal festgemacht, damit sie nicht von selbst fortschwammen. Der Mond leuchtete die Nacht ziemlich hell aus. Wir benötigten jedenfalls kein Licht. Geschützdonner, Panzerketten-Gerassel und Maschinengewehrfeuer erfüllte die Nacht. Wir waren an der vordersten Front und legten unsere Tauchutensilien an, Tauchgerät, Flossen, Tarnmütze, Taucheruhr und Handschuhe. Vorher hatten wir unser Gesicht und die Hände mit verbranntem Papier und Butter als Tarnung eingerieben. Wir hatten uns der Wasserfarbe der Elbe angeglichen.

Uhrenvergleich als letzte Maßnahme. Es war genau 23 Uhr, als wir in das Wasser glitten. Wir trieben mit der Strömung, hatten den Torpedo gut in der Mitte des Stromes. Leutnant Frohus schwamm am Ende des Torpedos und glich seitliche Bewegungen aus. Wir hatten die Aufgabe, die zweite Pontonbrücke bei Barby zu sprengen. Das hieß, dass das zweite Einsatzkommando, bestehend aus Oberfeldwebel Prasse, Gefreiter Diehl und Gefreiter Schwarzbach, welches hinter uns gestartet war, die erste Brücke bei Breitenhagen zu sprengen hatte. Es war alles so berechnet, wenn die erste Brücke gesprengt war, sollten wir erst an die zweite Brücke herankommen." Fortsetzung folgt.