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Leben mit Behinderung Daniel Oeltze: "Ich habe noch niemals aufgegeben"

Nach einem Badeunfall am Barleber See ist Daniel Oeltze querschnitsgelähmt. Jetzt lernt er wieder laufen.

Von Peter Ließmann 29.07.2015, 00:01

Magdeburg l Ein hübscher Hinterhof-Garten, Terrasse, Steingarten, Pavillon und mittendrin ein Swimmingpool. Frisches Wasser sprudelt darin, lädt an heißen Tagen zum erfrischenden Abkühlen ein. Das ist aber nicht nur die Aufgabe des Pools, er ist auch ein Therapiebecken. "Ich kann Daniel einfach nehmen und reinwerfen", sagt Holger Oeltze lachend. "Wir brauchen uns an keine Badezeiten halten und auch auf keine anderen Badegäste Rücksicht nehmen."

Zeitsprung. Der Sommer 2003 ist heiß. Daniel Oeltze geht am 9. August mit Freunden zum Barleber See baden. Eben noch machen sie am Strand ihre Späßchen. Daniel steht auf, läuft in den See, bis ihm das Wasser knapp bis zur Brust steht, setzt noch einmal zum Kopfsprung an - und im nächsten Augenblick ist sein Leben ein völlig anderes. "Ich weiß bis heute nicht, wie und was passiert ist", sagt Daniel Oeltze.

Er merkt sofort, dass er sich nicht mehr bewegen kann. "Ich bin noch auf dem Wasser zu einer Gruppe getrieben, die im See Volleyball gespielt haben. Die dachten, ich will sie veralbern." Dann merken auch Daniels Freunde, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Sie holen ihn kurz vor dem Ertrinken aus dem Wasser. Im Krankenhaus dann die Diagnose: Vierter Halswirbel komplett zertrümmert. Daniel wird acht Stunden lang von Spezialisten operiert. Am Ende dann die bittere Erkenntnis, dass Daniel querschnittsgelähmt ist - und das bis zum Hals. Auch innere Organe sind ausgefallen.

Leben im Rollstuhl nicht akzeptiert

Nicht nur für Daniel - er war gerade kurz davor, seine Ausbildung zum Automechatroniker erfolgreich abzuschließen - ist das ein schwerer Schock, auch für seine Eltern droht, die Welt zusammenzubrechen. "Meine Frau und ich sind nach Hause gefahren, konnten es erst überhaupt nicht glauben und haben dann in Ruhe überlegt, was zu tun ist", erinnert sich Holger Oeltze.

Die medizinische Prognose war für Daniel denkbar schlecht. "Die Ärzte haben uns gesagt, dass er sich vom Hals abwärts nie mehr bewegen kann", sagt Holger Oeltze. Ein kompletter Intensiv-Pflegefall. Daniel wird in eine Reha-Klinik in Plau am See gebracht. "Dort haben sie mich auf ein Leben im Rollstuhl vorbereitet. Das habe ich innerlich aber von Anfang an nicht akzeptiert. Ich wollte immer raus aus dem Rollstuhl", sagt Daniel Oeltze.

In der Klinik stellen die Ärzte dann fest, dass Daniel doch nicht komplett gelähmt ist. Und es passiert etwas: "Wie im Film, nur war es nicht sein kleiner Finger", erzählt Holger Oeltze weiter. Er bemerkt, dass sich Daniels kleiner Zeh bewegt. "Warst du das selbst, habe ich ihn gefragt, und er hat gesagt \\\'irgendwie schon`. Und ich dachte sofort, dass da doch noch was geht."

Vater gibt für Sohn das Geschäft auf

Und dann setzt sich etwas in Gang, das Vater und Sohn vereint: ein eiserner Wille. Sie fangen sofort mit dem Training an. Muskelaufbau, Gymnastik, Massagen. Erst wird Daniel vom Fachpersonal in der Reha-Klinik betreut und angeleitet, dann übernimmt sein Vater immer mehr diese Aufgabe. "Der Physiotherapeut hat mir gesagt: Haste zugesehen? Ab jetzt bis du dran." Und Holger Oeltze übernimmt, eignet sich die Therapie-Techniken an und baut zu Hause für Daniel selbst entwickelte Hilfsgeräte. Ein Reck und eine Funktionsliege wird besorgt, dazu eine Sprossenwand. Daniel muss mühsam viele körperliche Abläufe neu lernen, die für die meisten Menschen ganz normal sind.

Holger Oeltze stimmt alles auf seinen Sohn ab. Und auch sein Leben. Seine Gaststätte gibt er auf und übernimmt die Rund-um-die-Uhr-Betreuung von Daniel. Daniels Mutter bleibt weiter berufstätig. "Wir haben finanziell alles in einen Topf geworfen und neu geordnet", sagt Holger Oeltze. Es wird ein neues Umfeld für Daniel geschaffen, zu Hause, aber auch mit einem Stamm von Ärzten und Therapeuten. Daneben muss die Familie den Umgang mit Krankenkassen und Ämtern lernen: "War nicht immer einfach, aber jetzt funktioniert es", sagt Holger Oeltze.

Und sie haben Erfolg. Daniels Lähmung kann zurückgedrängt werden. Er kann den Oberkörper wieder einigermaßen bewegen, auch die inneren Organe im Beckenbereich kann er wieder selbst beherrschen. Sogar am Reck stehen kann er wieder. Tag für Tag kämpft er sich mit der Hilfe seiner Familie in ein halbwegs normales Leben zurück. "Ganz normal wird es nicht mehr werden, aber ich will so weit kommen, dass ich die alltäglichen Dinge zu Hause wieder selber erledigen kann", sagt Daniel.

Herausforderung Laufen lernen

Dafür haben sich Vater und Sohn einen straffen Tagesablauf geschaffen, der mit eiserner Disziplin durchgehalten wird. Morgens um 5.30 Uhr beginnt ihr Trainings-Tag, abends um 22.30 Uhr ist er beendet. Der Bewegungsapparat von Daniel wird stimuliert, mit Krafttraining werden die Muskeln aufgebaut, mit speziellen Massagen die Nerven beruhigt.

"Wir mussten langsam die Spastik in den Griff bekommen." Das Problem dabei: Durch die Verletzung der Nervenbahnen im Rücken ist Daniel zum so genannten "Spastiker" geworden. Das heißt, seine Nerven und Muskeln bewegen sich, besonders in den Armen, unkontrolliert. "Das ist in meinem Fall natürlich etwas sehr Gutes, denn darauf kann ich aufbauen. Es ist Bewegung da, die ich an anderer Stelle nutzen kann." Schwierig ist dabei, die richtige Dosis von Medikamenten zu finden. "Nehme ich zu viel Beruhigungsmittel, dann ist natürlich der ganze Muskelapparat lahm gelegt, also auch in den Beinen. Nehme ich zu wenig, werden die unkontrollierten Bewegungen zu stark."

Seit einiger Zeit gehen sie Daniels größte Herausforderung an: Laufen lernen. Dabei ist das Ziel, dass Daniel selbst die Kontrolle über seine Beine bekommt. Dazu fahren Vater und Sohn mehrmals im Monat ins Mediclin-Reha-Zentrum in Plau am See, damit Daniel an einer hochmodernen Orthesen-Maschine seine Beine trainieren kann. "Ich habe der Klinik sowieso viel zu verdanken. Denn die haben mir im Grunde \\\'in den Hintern getreten\\\' und mich dazu bewegt, nicht aufzugeben", sagt Daniel Oeltze.

Wie lange es dauern wird, bis Daniel laufen kann, ist noch offen. "Ich habe ihm damals versprochen, dass er in 15 Jahren wieder laufen kann", erzählt Holger Oeltze. Das wäre 2018. "Und wenn es länger dauert, auch egal", meint Daniel. Eines sei für ihn aber klar: Aufgeben kommt nicht in Frage. "Ich habe noch niemals aufgegeben."

Und für diesen Durchhaltewillen möchte er andere Betroffene begeistern. Etwa mit seiner Internet-Seite www.inkompletter-querschnitt-lauf.de, auf der er von seinem Leben berichtet. Daniel kapselt sich auch nicht in eine geschlossene Welt ab, er bleibt dran am Leben. "Das ist aber nur mit einer tollen Familie und guten Freunden möglich", sagt er und ist für sein Umfeld, das ihn unterstützt und hält dankbar.

Übrigens: Der Swimmingpool im Garten ist für Daniel auch Tauchbecken, denn er taucht und schnorchelt gern.