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Robert Köstlin hat sich im November von fließendem Wasser, Strom und festen vier Wänden getrennt. Von Julia Bruns Wohnen im Tipi: Wernigeröder lebt wie Indianer

27.02.2013, 01:17

Robert Köstlin hat ganz bewusst feste vier Wände gegen ein Zelt getauscht. Der Wernigeröder lebt seit vier Monaten in einem Tipi am Waldrand und verzichtet auf fließend warmes Wasser, Kühlschrank, Dusche und Fernseher. Dafür kann der 31-Jährige unter dem winterlichen Sternenhimmel baden.

Wernigerode l Kleine Flammen züngeln im Lagerfeuer. Das Licht im Zelt ist gedämpft, einige Kerzen lodern. Es ist angenehm warm, obwohl draußen die Schneeflocken tanzen. Robert Köstlin sitzt neben der Feuerschale auf seinem Bett und wärmt sich die Hände. Der Wernigeröder lebt seit November dauerhaft in einem Tipi.

"Ich wollte in mein neues Leben mit der vollen Härte des Winters einsteigen, um auszutesten, wie gut ich zurechtkomme", sagt er. "Es ist erst einmal ein Test, deshalb steht das Tipi noch stadtnah." Wo genau das ist, möchte Köstlin nicht verraten. Denn lange soll sein transportables Eigenheim dort nicht mehr stehen. Wenn es so weiterläuft, sagt er, will er schon im Frühjahr irgendwo tief in den Harzer Wäldern sein Zelt aufschlagen.

"Dieses reguläre Tratschleben hat mich einfach gelangweilt."

Weil er den Kontakt zur Natur gesucht hat, ist er vor einem Jahr auf die Idee gekommen, aus der bequemen Wohnung in ein Tipi zu ziehen. "Ich wollte den Tag-Nacht-Rhythmus intensiver spüren", sagt der gelernte Mediendesigner. "Dieses reguläre Tratsch-Leben, in dem wir von den Massenmedien beeinflusst werden, das hat mich einfach gelangweilt."

Seit er im Tipi residiert, sei er ständig beschäftigt, arbeite viel mit den Händen. Holz muss gesammelt, für das Feuer gehackt, Wasser aus dem Brunnen geholt, für das Abwaschen erwärmt und das Lagerfeuer am Lodern gehalten werden. "Es dreht sich im Winter alles um die Wärmequelle", erklärt er. Ein Feuer anzünden, das kann er mittlerweile mit Leichtigkeit. Ob Kleidung, Geschirr oder Lebensmittel - im Tipi ist alles nur in Maßen vorhanden.

"Wenn ich einkaufe, lasse ich die Packungen gleich im Supermarkt."

"Ich habe keinen Platz für hunderte Teller, Tassen, Pullover, Hosen und Lebensmittel", erklärt Robert Köstlin. "Was ich an Nahrung kaufe, muss ich entweder haltbar machen oder verzehren." Umweltverträglichkeit spielt für ihn eine große Rolle. Zähne putzt er mit biologisch abbaubarer Zahnpasta, er wäscht sich mit Kernseife. Das Geschirr spült er mit Zitronenwasser.

Müll versucht er, weitgehend zu vermeiden. Köstlin: "Wenn ich einkaufe, lasse ich die Schachteln und Folien gleich im Supermarkt, packe dort alles in Behälter um." Ein kleines Geschäft wird draußen verrichtet. Ansonsten, so sagt er, kann er auch bei Bekannten, die in der Nähe wohnen, eine Toilette benutzen. Einzig die Waschmaschine seiner Familie locke ihn ab und an zurück in die Zivilisation. "Im Frühjahr schaffe ich mir aber ein Waschbrett an", sagt er entschieden.

Mit wilden Tieren hatte Robert Köstlin bisher noch keine Probleme. Ab und an komme ein Bussard zu Besuch. "Der setzt sich auf das Tipi, fliegt irgendwann wieder davon. Mäuse bleiben dem Zelt fern." Der Sandboden im Innenraum schreckt sie wahrscheinlich ab, meint er. Auch Insekten können sich im Sand nicht einnisten. Später wolle er einen Holzboden im Zelt einbauen.

"Der Aufbau ist extrem wichtig", sagt er und deutet auf ein sogenanntes Lining, eine dünne Stoffhaut, die im Inneren für den Schornsteineffekt sorgt und den Rauch in die Lüftungsklappe an der Spitze des Tipis nach außen leitet. "Trotzdem lässt es sich nicht vermeiden, dass ich wie ein Köhler rieche", sagt er. "Wenn ich in den Supermarkt gehe, drehen sich deshalb viele Passanten um und schnuppern erst einmal." Er erkläre den Leuten dann freundlich, dass er es ist, der so nach Lagerfeuer rieche.

Ablehnend sei ihm bisher noch niemand gegenübergetreten. "Neugierige Spaziergänger kommen schon vorbei und gucken, wie ich lebe", sagt er. "Die meisten sind mir aber wohlgesonnen." Wie ein älterer Mann, den er vielsagend den "Bringer" nennt. "Er bringt mir Äpfel, Hölzer, Wurst oder Brot."

Seine Familie und Freunde haben beim Aufbau im November geholfen. Ein Wochenende haben sie gebraucht, bis das Zelt stand. "Meine Eltern und mein Bruder unterstützen mich da voll und ganz", sagt er. "Sie freuen sich, dass ich eine sinnvolle Aufgabe gefunden habe." Ein halbes Jahr Vorbereitung ging dem Aufbau voraus.

"Neugierige Spaziergänger kommen vorbei und gucken, wie ich lebe."

Sieben Meter misst das Zelt im Durchmesser. Ein extra schwerer, wetterbeständiger Baumwollstoff ist über dicke Holzstangen gespannt, aus denen das Gerüst besteht. An die Nähmaschine musste sich Robert Köstlin aber nicht setzen. "Den Stoff gibt es in verschiedenen Stärken extra für Tipis zu kaufen." Sein Schlafplatz ist auf einer Matratze, die auf Europaletten liegt. Um das Zelt außen herum verläuft ein kleiner Graben, der das Regenwasser auffängt. "Bisher ist selbst bei starkem Regen, Eis und Schneefall alles dicht und trocken im Zelt geblieben", so Köstlin. "Damit es bei heftigen Windböen nicht wegfliegt, habe ich das Zelt fest im Boden verankert", erklärt der Mann mit dem schwarzen Kinnbart.

"Ein Batterie-Radio ist wichtig für den Kontakt nach draußen."

So ganz hat Robert Köstlin der modernen Welt nicht abgeschworen. Denn ein batteriebetriebenes Radio sorgt für ein wenig Unterhaltung. Das sei ganz wichtig, "für den Kontakt nach außen", sagt er. "Ansonsten spiele ich Gitarre oder Didgeridoo, male oder schreibe." Ob ihm denn nicht ein Fernseher zum Leben fehle? "Nein, den hatte ich schon vorher nicht."

Bisher, so sagt Robert Köstlin, sei er sehr zufrieden mit seinem neuen Leben. Später könnte er sich durchaus vorstellen, dass er weitere Tipis aufbaut und dann naturnahe Projekte für Kinder organisiert. Er bietet schon jetzt für Familien und auch städtische Veranstaltungen seine Dienste als mobiler Animateur an. Von den Gagen bestreitet er seinen Lebensunterhalt.

Hinter seinem Tipi hat Robert Köstlin eine Außenbadewanne aufgestellt. 14 Eimer voll Wasser aus einem Brunnen muss der Harzer in die Wanne kippen, bis sie voll ist. Dann zündet er ein Feuer unter der Wanne an. "Etwa 20 Minuten dauert es, dann hat das Wasser die optimale Temperatur."

Das seien besonders schöne Momente für den Tipi-Bewohner: nachts in der dampfenden warmen Wanne unter dem Sternenhimmel, um ihn herum die verschneite Harzer Landschaft.