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Elbbrücken in Magdeburg stundenlang gesperrt Eine ganze Stadt im Ausnahmezustand

3300 Polizisten aus ganz Deutschland haben am Sonnabend die Stadt in
eine Festung verwandelt. Zeitweise waren sämtliche Brücken gesperrt, um
ein Aufeinandertreffen von Demonstranten zu verhindern. Das massive
Aufgebot zeigte Wirkung, auch auf die Infrastruktur.

Von Matthias Fricke 20.01.2014, 02:30

Magdeburg. Es ist Mittagszeit, als sich in Magdeburg der Verkehr auf der Bundesstraße 1 bis weit in den Westen der Stadt zurückstaut. Straßenbahnen fahren teilweise nicht mehr. Züge der Bahn kommen erst aus Richtung Süden nicht mehr an. Später sind wegen Blockaden auf der Strecke und Brandanschlägen auch andere Verbindungen betroffen.

Der Magdeburger Holger Wolter ist einer unter vielen, die am Nordbrückenzug an der Polizeiabsperrung stehen. Er wohnt auf dem Werder, war gerade im Westen der Stadt einkaufen und möchte nun nach Hause. Er schimpft: "Das kann doch wohl nicht wahr sein. Hier stehen Leute im Stau, die Kinder im Auto haben und verderbliche Einkäufe."

"Es kann nicht sein, dass ein paar hundert Leute die ganze Stadt lahmlegen können."
Lutz Trümper, Oberbürgermeister

Ein ähnliches Bild bietet sich auch an der Strombrücke im Stadtzentrum. Eine Frau kommt auf die Polizisten zugelaufen. "Mein Sohn hatte gerade einen Sportunfall und muss zur Uniklinik", sagt sie. Die Beamten aus Sachsen lassen die Frau dennoch nicht durch. Die Brücken bleiben dicht. Zwei zufällig in der Nähe stehende Magdeburger Polizisten geben der Mutter den Tipp, ein in der Nähe befindliches Krankenhaus im Osten der Stadt aufzusuchen. Sie kehrt mit ihrem Wagen um. Auch alle anderen müssen die große Umleitung über die Autobahnbrücke ganz im Norden der Stadt nehmen oder über Schönebeck im Salzlandkreis fahren.

Unverständnis und Wut herrschen nicht nur bei den Autofahrern. Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) ist angesichts zahlreicher bei ihm eingehender Beschwerden fassungslos: "Es kann nicht sein, dass ein paar hundert Leute die ganze Stadt lahmlegen können. Das geht wirklich zu weit. Es müsste eine feste Demonstrationsroute festgelegt werden können und daran haben sich alle zu halten. Leider habe ich keinen Einfluss darauf, aber die Landespolitik sollte sich mit dem Problem beschäftigen."

Erst nach mehreren Stunden gibt die Polizei am Nachmittag die drei Brücken in Magdeburg wieder frei. Dann steht fest, dass die Rechtsradikalen gar nicht im Osten der Stadt, sondern im Süden marschieren sollen. Romy Gürtler, Sprecherin der Bundespolizei: "Die Bahn hat nach den Blockaden auf der Eisenbahnbrücke einen Sonderzug in den Süden der Stadt eingesetzt."

Das Katz- und Mausspiel mit der Polizei geht weiter, kreuz und quer durch die Stadt. Gesamteinsatzleiter Tom-Oliver Langhans erklärt später: "Es gab sehr viele Spontandemonstrationen und veränderte Marschrouten, so dass es für uns ein sehr schweres Agieren war." Zu den Brückensperrungen sagte er, dass dies noch einer internen Auswertung bedürfe.

Am Neustädter und am Sudenburger Bahnhof gibt es die schwersten Zusammenstöße von Gegendemonstranten des Aufmarsches und der Polizei. "Hier gab es auch die meisten durch Steinwürfe und Flaschen verletzten Polizisten", sagt später Polizeisprecherin Beatrix Mertens. Die zersplitterten Gruppen liefern sich ein Katz- und Mausspiel mit der Polizei.

Zum Zeitpunkt der ersten Zusammenstöße ist der Rechtenaufmarsch im südlichen Stadtteil Reform in der Schilfbreite noch gar nicht gestartet.

Als sie sich doch gegen 15.30 Uhr formieren, steht der Aufzug nach nur wenigen Minuten. Eine friedliche Sitzblockade ist im Weg. Unter ihnen ist auch Linke-Landesvorsitzende Birke Bull. Die Beamten entschließen sich, die etwa 40 Demonstranten sitzen zu lassen und die Neonazis an ihnen vorbeizuführen. Es gibt dort keine Ausschreitungen. Auch während des gesamten Marsches gibt es vom Straßenrand aus immer wieder Protestrufe und Pfeifkonzerte. Erst nach Einbruch der Dunkelheit ist alles vorbei.