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Landtagspräsident Gürth will die Arbeit des Landtags transparenter machen "Interessenkollisionen erkennen"

27.01.2014, 01:30

Landtagspräsident Detlef Gürth dringt auf neue Transparenzregeln. Es geht um die Offenlegung von Nebentätigkeiten oder ein Lobbyisten-Register. Mit dem 51-jährigen CDU-Politiker sprach Michael Bock.

Volksstimme: Herr Landtagspräsident, immer wieder gibt es Kritik, wenn Ex-Politiker übergangslos in die Wirtschaft wechseln. Nun gibt es die Forderung nach einer Karenzzeit, einer gewissen Schamfrist also. Wie sehen Sie das?

Detlef Gürth: Über eine Karenzzeit von sechs bis zwölf Monaten kann man diskutieren. Der Wechsel eines früheren Politikers in die Wirtschaft sollte aber nicht jahrelang blockiert werden. Denn: Wer ist dann noch bereit, politische Verantwortung zu übernehmen, wenn ein Berufsleben unmittelbar danach nicht mehr möglich ist?

Außerdem: Aktive Politiker wären in ihren Entscheidungen weniger unabhängig, wenn sie keine berufliche Alternative hätten. Sie wären ihren Parteivorständen quasi ausgeliefert. Die entscheidende Frage für mich ist vielmehr, ob jemand in seiner Zeit als aktiver Politiker Entscheidungen zugunsten seines späteren Arbeitgebers getroffen hat. Da muss Transparenz hergestellt werden.

"Es wird über ein Lobbyisten-Register nachgedacht."

Volksstimme: Derzeit diskutieren Abgeordnete aller Fraktionen eine Parlamentsreform für Sachsen-Anhalt. Auch da geht es um mehr Transparenz. Was sind Ihre Vorstellungen?

Gürth: Wir brauchen neue Transparenzregeln, die ins Abgeordnetengesetz aufgenommen werden sollten. Die Menschen wollen zu Recht wissen, vor welchem Hintergrund Parlamentarier ihre Entscheidungen treffen. Es soll erstens künftig für alle Bürger erkennbar sein, für wen ein Abgeordneter neben seiner Mandatsausübung noch arbeitet - gegen Bezahlung oder auch ehrenamtlich. So werden Interessenkollisionen ersichtlich.

Zweitens: Es sollte erkennbar sein, wie viel Zeit beziehungsweise Aufwand für Mandatsausübung oder Nebenbeschäftigung verwendet wird und ob die Mandatsausübung im Mittelpunkt steht.

Drittens: Auch wenn es noch keinen Fall im Land gab, steht die Frage: Sollten wir Nebeneinkünfte ohne adäquate Gegenleistungen untersagen? Es gab in Deutschland solche strittigen Fälle schon.

Und viertens: Es wird über ein Lobbyisten-Register nachgedacht. Dadurch könnte für alle Bürger transparent gemacht werden, wer wie oft versucht, auf Entscheidungen im Landtag Einfluss zu nehmen. Die Ergebnisse könnten stets aktualisiert und für jedermann im Internet veröffentlicht werden.

Volksstimme: Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wollen SPD und Grüne durchsetzen, dass alle Nebenverdienste von Parlamentariern auf Euro und Cent offengelegt werden. Könnte das auch ein Modell für Sachsen-Anhalt sein?

Gürth: Ich kann verstehen, dass Bürger und Medien wissen wollen, was die Abgeordneten eventuell auch neben dem Mandat verdienen. Es gibt Länder, da stehen alle Einkommensteuererklärungen im Internet. Hier nicht. Damit würde ein gewisser Voyeurismus befriedigt. Meiner Meinung nach bringt das aber keinen wirklichen Transparenzgewinn.

"Verstöße gegen die Offenlegung dürfen nicht folgenlos bleiben."

Vielmehr würde eine solche Offenlegung vor allem Selbständige abschrecken, in die Politik zu gehen. Davon sind aber nicht gerade zu viele in den Parlamenten. Sie müssten wirtschaftliche Nachteile befürchten. Wer seine Einkünfte offenlegen muss, hat gegenüber seinen Konkurrenten Wettbewerbsnachteile. Was machen Sie mit Familienangehörigen und anderen Gesellschaftern?

Volksstimme: Wie sollte reagiert werden, wenn Abgeordnete die angestrebten Transparenzregeln nicht befolgen?

Gürth: Verstöße dürfen nicht folgenlos bleiben. Dann müsste es Sanktionen geben.

Volksstimme: Wie könnten diese aussehen?

Gürth: Vorstellbar wäre eine Art Bußgeld. Auf jeden Fall müsste die Strafe finanziell wehtun.

Volksstimme: Sachsen-Anhalts Landtag gehört, bezogen auf die Einwohnerzahl, zu den größten in Deutschland. Auch darüber wird derzeit diskutiert. Wird das Parlament im Zuge einer Reform verkleinert?

Gürth: Erst einmal: Der Landtag kostet jeden Bürger umgerechnet 1,36 Euro im Monat. Verglichen mit der GEZ ist das nichts.

Aber: Es geht auch um die Frage der Glaubwürdigkeit. Wenn vielen anderen im Land Reformen zugemutet werden, ist auch die Größe des Parlaments ein aktuelles Thema. Die Kunst besteht darin, das richtige Maß zu finden. Ich sage auch: Wir brauchen ein arbeitsfähiges Parlament, um die Regierung noch ausreichend kontrollieren zu können. Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Zahl der Abgeordneten in den zurückliegenden Jahren bereits von 99 auf 91 reduziert worden ist.

Volksstimme: Sie haben vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Zahl der Grundmandate auf 83 zu reduzieren. Bleiben Sie dabei?

Gürth: Das war nicht mein Vorschlag. Ich hatte bestätigt, dass wir bei 83 bis 87 in einem guten Mittel und unterhalb Brandenburg und Thüringen liegen würden. Die Diskussion läuft derzeit in den Landtagsfraktionen. Es wäre unseriös, jetzt eine konkrete Zahl zu nennen. Entweder gelingt es uns, über eine Änderung des Wahlrechts die Zahl der Ausgleichs- und Überhangmandate zurückzuführen (derzeit sind das 14, so dass die tatsächliche Abgeordnetenzahl im Land 105 beträgt. d. Red.). Ist in diesem Punkt eine Einigung der Fraktionen nicht möglich, wird über die Reduzierung der Grundmandate gesprochen werden.

"Transparenzregeln werden spätestens ab 2016 gelten."

Volksstimme: Seit kurzem befasst sich eine Arbeitsgruppe des Ältestenrats mit der Parlamentsreform. Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?

Gürth: Bis Ende Juni sollen Vorschläge erarbeitet sein. Im Juli soll es einen ersten Bericht über die Ergebnisse geben.

Volksstimme: Und wann ist mit deren Umsetzung zu rechnen?

Gürth: Ich bin mir ganz sicher, dass neue Transparenzregeln spätestens ab der neuen Legislaturperiode, also ab 2016, gelten werden. Beim Thema Parlamentsgröße ist der Zeitplan noch offen. Derzeit wird diskutiert, ob durch Änderung des Wahlrechts oder der Mandatszahl eine Reduzierung in einem oder in zwei Schritten erfolgen soll.