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Stasi-Häftling erinnert sich an die Misshandlungen in DDR-Gefängnissen "Wer gegen uns ist, den vernichten wir"

Mehr als 200.000 Menschen wurden in der DDR aus politischen Gründen
verurteilt. In den Stasi-Gefängnissen waren sie unsagbaren physischen
und psychischen Misshandlungen ausgesetzt, wie eine Ausstellung
dokumentiert, die heute in Magdeburg öffnet.

Von Wolfgang Schulz 28.01.2014, 01:25

Magdeburg l Schläge mit Gummiknüppeln und Holzschlagstöcken, üble Beschimpfungen, eine miserable Verpflegung und furchtbare hygienische Verhältnisse bestimmten den Alltag in den Strafvollzugsanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Das sagt Ralph-Peter Klingenberg. Der heute 57-jährige hat 1975/76 zunächst acht Monate in der Stasi-U-Haft am Magdeburger Moritzplatz und danach bis zu seinem Freikauf durch die Bundesrepublik fünf Monate im Gefängnis Cottbus zubringen müssen.

Wegen "staatsfeindlicher Hetze" war er von der DDR-Justiz zu zwei Jahren verurteilt worden. Der 18-Jährige hatte auf einem Flugblatt die Abschaffung des Schießbefehls, freie Wahlen und Pressefreiheit gefordert. "Lange Jahre konnte ich über meine Hafterlebnisse überhaupt nicht sprechen", sagte Klingenberg beim Besuch der Ausstellung "Gewalt hinter Gittern", die heute Abend in der Ratsdiele des Alten Rathauses in Magdeburg offiziell eröffnet wird. Bis 2008 habe er geschwiegen, alles Schlimme, das er erlebt hat, habe er zu verdrängen versucht.

Nirgendwo ist ein Mensch so ohnmächtig wie im Gefängnis

Erst durch ein mehrstündiges Interview mit einem Doktoranden, der die DDR-Haft wissenschaftlich untersucht, sei der Bann gebrochen worden. Heute sei er regelmäßig als Zeitzeuge in der Stasi-Gedenkstätte am Moritzplatz zu Gast. "Besonders gern berichte ich Jugendlichen über meine Erlebnisse. Sie wissen nicht sehr viel über diese Seite der DDR." Auch Geschichtslehrer seien sehr an seinen Berichten interessiert.

Was die Besucher solcher Zeitzeugengespräche dann zu hören bekommen, ist mitunter kaum zu glauben. "Nirgendwo ist ein Mensch so ohnmächtig wie im Gefängnis", heißt es in der Ausstellung. Die politischen Gefangenen in der DDR waren den Stasi-Wärtern schutzlos ausgeliefert. Mit Schikanen und Einschüchterungen, psychischen und physischen Misshandlungen sollten sie zu angepassten Mitstreitern des Sozialismus erzogen werden.

"Was Sozialismus ist, bestimmen wir, und wer sich gegen uns stellt, den vernichten wir", habe ein Vernehmer zu ihm, Klingenberg, gesagt. Und im Stasi-Knast hieß es: "Jeder Kinderschänder ist mehr wert als ihr Schweinehunde!" Bei einer solchen menschenverachtenden Behandlung sei an eine "Erziehung" überhaupt nicht zu denken gewesen. "Im Gegenteil", sagt Klingenberg, "man ist stumpfsinnig geworden, konnte sich eine Welt da draußen gar nicht mehr vorstellen."

Nur zwei Stasi-Wärter wurden für ihre Taten verurteilt

In der Ausstellung "Gewalt hinter Gittern - Gefangenenmisshandlung in der DDR" dokumentieren die Gedenkstätten Berlin-Hohenschönhausen und Bautzen erstmals die brutale Gewalt in DDR-Gefängnissen. Anhand exemplarischer Fälle in Wort und Bild bekommen die Opfer ein Gesicht, aber auch die Täter werden benannt. Klingenberg verwies in der Ausstellung auf einen seiner ehemaligen Peiniger, den Wachtmeister Hubert Schulze, genannt "Roter Terror". Der sei im Gefängnis Cottbus besonders brutal gewesen und habe immer nach Gründen für seine Prügelattacken gesucht. Leider sei Schulze aber nur der eine von insgesamt zwei Wärtern, die nach der Wende zu Haftstrafen verurteilt wurden. Er hat zwei Jahre und acht Monate ohne Bewährung erhalten. Tausende andere Stasi-Schergen seien ohne Strafe davongekommen. Die Ausstellung macht auch dieses Versagen des bundesdeutschen Rechtsstaates bei der Aufarbeitung deutlich.

Zur Eröffnung der Ausstellung, die öffentlich ist, sprechen heute ab 19 Uhr Oberbürgermeister Lutz Trümper, Hubertus Knabe (Hohenschönhausen) und Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Anschließend gibt es eine Podiumsdiskussion, an der auch Ralph-Peter Klingenberg teilnimmt.

Die Ausstellung im Alten Rathaus Magdeburg ist bis zum 27. Februar 2014 täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen.