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Sperrgebiet Colbitz-Letzlinger-Heide Kieler zeigen die Bundeswehr an

Immer häufiger hat die Bundeswehr Ärger mit Pilzsammlern, Touristen oder
Kriegsgegnern. Im vergangenen Jahr gab es 310 "Verletzungen" des
Sicherheitsbereiches in der Heide. Im Mai waren es schon 100. Die
"Grenzüberschreitungen" bleiben nicht folgenlos und sorgen auch für
Streit.

20.06.2014, 01:22

Magdeburg l Angela Krause und Andreas Janke aus Kiel sind auf dem Weg nach Hause. Sie kommen gerade aus dem Urlaub und nehmen auf der Bundesstraße 189 im Kreisverkehr die falsche Abfahrt. Der Wald wird immer dichter und die 55-Jährigen merken, dass dies nicht die richtige Straße sein kann. Der Beamte aus Schleswig-Holstein, der bis 1992 selbst zwölf Jahre als Zeitsoldat in der Truppe gedient hat, erinnert sich: "Wir sind in einen Weg eingebogen. Dort fuhren wir bis zur nächsten Gabelung, weil ich mit dem Wohnmobil nicht rückwärts auf die viel befahrene Straße zurückstoßen wollte."

Es ist zu diesem Zeitpunkt etwa 20.20 Uhr. Es dämmert. "Wir sahen plötzlich eine alte Ruine der Sowjetarmee und fotografierten eine davon", sagt der Kieler. Solche Gelegenheit habe man schließlich selten.

"Wir sind doch hier nicht in Kandahar, sondern irgendwo in der Börde." - Andreas Janke aus Kiel

Während Janke an einer Einfahrt auf der Kreisstraße sein Navigationsgerät neu programmiert, begibt sich seine Begleiterin zu einer nahegelegenen Tower-Ruine um auch dort Fotos zu machen. Die Sperrgebiets-Schilder haben die beiden Kieler offensichtlich nicht für voll genommen. Ein schwerer Fehler, wie sich später herausstellen wird.

Der Wachdienst der Bundeswehr erscheint, setzt Angela Krause fest. Sie soll sich ausweisen und die Aufnahmen löschen. "Ich habe nicht protestiert, auch nicht gegen das Löschen der Bilder", sagt sie.

Dennoch muss sie etwa eine Stunde lang neben dem Geländewagen der Wache stehen bleiben.

"Ich durfte nicht zu ihr und sie nicht zu mir", sagt Janke. Eine Militärstreife trifft ein und nimmt den Kamera-Chip an sich, weil das Löschen wegen nicht ausreichender Akku-Leistung nicht mehr funktioniert. Obwohl das Paar Reserve-Akkus dabei hat, muss es zur 22 Kilometer entfernten Kaserne in Letzlingen folgen.

"Da wurden eindeutig die Kompetenzen überschritten." - Rechtsanwalt Mario Taebel

"Dort stand meine Begleiterin mehr als eine Stunde bis etwa 22.30 Uhr nur mit einem kurzärmligen T-Shirt und Jeans bekleidet bei zwölf Grad Celsius Außentemperatur vor dem Wachlokal. Im hellen Licht unter der Laterne hatte sie zwei Bewaffnete an ihrer Seite", erinnert sich Janke.

In dieser Situation stehen laut seiner Erinnerung eine ganze Reihe Soldaten am Wachgebäude herum. Janke: "Diese Zurschaustellung endete erst gegen 23 Uhr mit dem Eintreffen der Polizei." Bis dahin hatte der Kieler seiner Lebensgefährtin nicht einmal eine Jacke bringen dürfen.

Erst als die Beamten des Polizeirevieres Salzwedel an der Kaserne eintreffen, geht alles ganz schnell. "Wir haben einen Platzverweis ausgesprochen", bestätigt Polizeisprecher Frank Semisch. Der Rest sei Sache der Bundeswehr.

Dem Paar droht nun zumindest ein Ordnungsgeld. Die Bundeswehr wiederum wollen Angela Krause und Andreas Janke wegen Nötigung und Freiheitsberaubung anzeigen. Der Anwalt des Paares Mario Taebel ist überzeugt: "Da wurden eindeutig die Kompetenzen überschritten. Hier hat man das nötige Augenmaß verloren, zumal meine Mandanten sich kooperativ gezeigt haben."

Es gab nach seiner Meinung keinen Grund das Paar so lange festzuhalten.

Andreas Janke zeigt sich stinksauer darüber, dass eine "ganz ohne Zweifel ungefährliche und noch nicht einmal verbal aggressive Frau so behandelt wurde." Der Mann wolle sein in den 90er Jahren erhaltenes Ehrenkreuz der Bundeswehr samt Verleihungsurkunde an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zurückschicken.

"Hier liegt noch Fundmunition vieler Jahrzehnte herum." - Hauptmann Thomas Herzog

Die Leitung des Gefechtsübungszentrums Altmark will sich angesichts des laufenden Verfahrens nicht zu dem konkreten Fall äußern.

Jedoch gebe es nach Angaben von Presseoffizier Hauptmann Thomas Herzog eine ganze Reihe solcher Verstöße gegen das Betretungsverbot des Truppenübungsplatzes. Allein im vergangenen Jahr erstattete die Truppe 310 Anzeigen wegen solcher illegalen Eindringlinge. In diesem Jahr waren es bis Mai mehr als hundert.

"Das Betreten dieses Sicherheitsbereiches ist übrigens auch sehr gefährlich, nicht nur wegen der schweren gepanzerten Fahrzeuge im Gelände. Hier liegt noch Fundmunition vieler Jahrzehnte herum, obwohl es bereits eine Oberflächenräumung gab", erklärt der Hauptmann.

Das gelte auch für die Ruinen der ehemaligen GUS-Truppen (Nachfolger der Sowjetarmee), die von dem Kieler Ehepaar fotografiert worden waren. An dieser Stelle hatte die Flugabwehrbrigade bis Mitte der 90er Jahre ihre Kaserne. Der Tower diente damals als Beobachtungsstand für Panzerübungen.

Generell werde beim Antreffen von Unbefugten im Sperrgebiet durch den Wachdienst der Bundeswehr die Polizei hinzugezogen und dieser übergeben. Die Bandbreite der Verstöße reiche von Randalierern, die mutwillig die Einrichtungen des Übungsplatzes zerstören wollen, bis zum verirrten Pilzsammler oder Fahrradfahrer. Auch Munitionssammler befinden sich darunter.

"In diesen Fällen erstatten wir natürlich Strafanzeige genauso wie bei den Sachbeschädigungen", sagt Herzog. Oft seien es auch unbedarfte Touristen, die offensichtlich die Schilder entlang des Übungsplatzes ignorieren und dem Wachdienst oder Soldaten das Leben schwer machen. Herzog: "Vor einigen Jahren hatten wir einen Radfahrer mitten im Sperrgebiet völlig dehydriert aufgefunden, weil dieser bei 35 Grad Celsius sich in dem großen Areal verfuhr und kein Wasser dabei hatte." Dabei seien die großen Schilder in einem Abstand von etwa 50 Metern nicht zu übersehen. Die Verbotsschilder sollten laut Vorschrift so angebracht sein, dass sie mindestens an allen Zufahrten einer Liegenschaft angebracht sind.

Auf den Truppenübungsplätzen Klietz und Altengrabow trete das Problem der Überschreitungen nicht so massiv auf. Nach Angaben von Oberstleutnant Roman Jähnel liege es vermutlich auch daran, dass dort scharf geschossen wird. Vor allem Pilzsammler würden sich dennoch "immer mal wieder" über die Verbote hinwegsetzen.

"Die Schilder sollten auf keinen Fall einfach ignoriert werden." - Rechtsanwalt Ronni Krug

Der Magdeburger Rechtsanwalt Ronni Krug rät: "Die Verbotsschilder sollten auf keinen Fall einfach ignoriert werden." Die Bundeswehr habe das Hausrecht auf dem Gelände. "Man begeht Hausfriedensbruch, wenn man das Gelände betritt, auch wenn es nicht umzäunt ist", so Krug. Neben dem Bußgeld könne auch eine Strafanzeige die Folge sein. Allerdings müssen Feldjäger und beauftragter Wachdienst die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel und Zwangsmaßnahmen beachten. Krug: "Da das bloße Betreten eines Grundstücks nur eine geringfügige Störung darstellt, dürfte ein Platzverweis und eine Personalienfeststellung zum Beispiel in diesem Fall völlig ausreichend sein."