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Salzstock Gorleben Die letzte Fahrt in die Tiefe

Die einen sprechen von einer echten Zäsur in Gorleben, für die anderen
ist es nur eine Pause auf dem Weg zum atomaren Endlager: Am Dienstag
durften zum letzten Mal Besucher in das Erkundungsbergwerk im Salzstock
von Gorleben nahe der Landesgrenze Sachsen-Anhalts. Mit dabei:
Diplom-Geologe Christian Islinger, der die Besuchergruppen seit 1997
durch das unterirdische Labyrinth leitet.

Von Björn Vogt 01.10.2014, 01:06

Gorleben l Wie oft sich die Gittertüren des Notfahrstuhls, der in die Tiefen des Salzstocks von Gorleben führt, rasselnd hinter ihm geschlossen haben, vermag Christian Islinger nicht zu sagen. 200 Fahrten in die Tiefe macht er im Durchschnitt - pro Jahr. Der 52-jährige Diplom-Geologe mit dem unüberhörbar bayerischen Akzent hat seine langen grauen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hat seinen eigenen Helm und einen weißen Overall an. Die Besucher müssen sich in rote Anzüge zwängen, bekommen schwere Stiefel, Schutzhelme mit LED-Lämpchen und einen Sauerstoff-Selbstretter.

Die Fahrten in den Salzstock von Gorleben beginnen mit einem Ritual. Die Besucher stellen sich draußen für ein Gruppenfoto auf. "So, das war`s, nun können Sie sich wieder umziehen", sagt Islinger. Alle lachen. Er macht den Gag jedesmal, "und er funktioniert immer". Bei der obligatorischen Sicherheitseinweisung geht es zu wie in der Schule: Wer redet, wird von Islinger per Fingerzeig ermahnt. Alle müssen zuhören.

Wer in den Salzstock will, muss zahlreiche Sicherheitsbarrieren überwinden: Im weiträumig umzäunten Bereich warten die ersten Wachmänner, es folgt ein Tor, danach ein weiteres, gewaltiges Tor: die Nahtstelle in der kilometerlangen Schutzmauer. Jeder Besucher kann hier nur einzeln eintreten. Immerhin wurden in den vergangenen Jahren die Wasserkanonen rund um das Erkundungsbergwerk abgebaut - erste sichtbare "Abrüstung" im jahrzehntealten Atomstreit, in dessen symbolischem Zentrum Gorleben steht. Immer noch umkränzt messerscharfer Nato-Draht die hohe Betonmauer.

"Die martialische Präsentation dieses Standortes ist ein Riesenfehler", sagt Wolfram König. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) ist überraschend am Morgen in Gorleben aufgetaucht, um an der letzten, vom Betriebsrat organisierten Besucherführung teilzunehmen. König will Flagge zeigen - immerhin hat sein Haus angeordnet, die Befahrungen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit einzustellen. "Wir müssen dieses Geld aus mehreren Gründen einsparen", erläutert König: "Diese Fahrten kosten rund 500000 Euro pro Jahr. Gorleben ist kein Schaubergwerk, und die Fahrten sind wegen des Standortauswahlgesetzes nicht mehr nötig. Wir wollen kein Präjudiz für den Standort schaffen. Und der Offenhaltungsbetrieb muss auf vertretbare Kosten reduziert werden."

König will auch den festungsartigen Komplex auf einen "industriellen Maßstab" zurückbauen lassen - ohne Mauer, ohne Nato-Draht.

Die Öffentlichkeitsarbeiter in Gorleben verzeichnen seit 1983 fast 127000 Besucher. "Davon haben ab 1997 62250 Personen das Bergwerk befahren", erläutert Islinger. Für die Besucher sind die Fahrten kostenlos, auch das anschließende Mittagessen in der Kantine geht aufs Haus. Betriebsratsvorsitzender Peter Ward ist sauer: "Mit dem heutigen Tag werden die Befahrungsmöglichkeiten für Besucher des Bergwerkes eingestellt. Diese Entscheidung resultiert aus einer Festlegung zwischen dem Bundes- und dem Niedersächsischen Umweltministerium und dem BfS und wird als vertrauensbildende Maßnahme angesehen. Für uns als Betriebsrat ist das Ende der Besuchsmöglichkeiten das Gegenteil der immer wieder geforderten Transparenz und Offenheit."

Dann stapft die Gruppe die Treppe hoch, es geht durch den tunnelartigen "Übergang" zu Schacht 1. Wieder Sperren, doppelt gesicherte Türen.Aufgeregt drängen die geologisch interessierten Rentner aus Schleswig-Holstein in den winzigen Fahrstuhl, der sie in zwei Minuten auf 840 Meter Tiefe bringt. Die Gruppe hat sich vor einem Jahr für die Fahrt angemeldet und hatte Glück: Sie sind die definitiv letzten Besucher, die das Bergwerk zu sehen bekommen. Der Fahrstuhl muss dreimal fahren, bis alle unten sind.

Wenn der große Fahrstuhl für Salztransporte genutzt wird - was zur Zeit der Fall ist - dann heißt es zusammenrücken: Die Gäste werden in enge, übereinander gestapelte Käfige gedrängt. Im "Notfahrstuhl" kommt man sich - ungewollt - näher, inklusive Abenteuerstimmung. Unten angekommen, sind viele Besucher verblüfft über die Größe von Halle 1.

Fahles Licht empfängt die Besucher - und warme, salzig-dunstige Atmosphäre. Nach einer kurzen Erläuterung warten schicke gelbe Mercedes-Geländewagen auf die Gäste. Die Gefährte wurden hier unten in Einzelteilen angeliefert und wieder zusammengebaut, wie jede der teils riesigen Maschinen, die im Salz rumoren. Die Sicherheitstore öffnen sich automatisch, wenn Islinger an einem Seil zieht, was von der Decke baumelt.

Gestoppt wird an markanten Punkten wie dem Anhydrit-Austritt oder der Stelle, wo Erdöl seh- und riechbar zu Tage tritt. An einer Stelle hält die Gruppe länger: Die "Gorlebener Bank" ist eine Gesteinsformation, wo sich das Salzgebirge leicht verschiebt. Eine Messeinrichtung dokumentiert mechanisch die fortschreitende Bewegung von einem Zentimeter pro Jahr.

Begonnen wird die Besucherbefahrung traditionell über Tage mit einem Vortrag, Christian Islinger referiert kenntnisreich über die Entstehung der Steinsalz-Lagerstätten, die vor mehr als 250 Millionen Jahren in einem Flachwassermeer, dem sogenannten Zechsteinmeer, in weiten Teilen der Nordsee, Norddeutschlands und Polens entstanden. Wegen der höheren Plastizität und der geringeren Dichte im Vergleich zum umgebenden Sedimentgestein wurde an etlichen Stellen das Salz in sogenannten Salzdomen nach oben gedrückt. Auf diese Weise entstand auch der Salzstock von Gorleben. Das Erkundungsbergwerk sollte ermitteln, ob sich die Steinsalzformation für eine Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen aus Kernkraftwerken eignet.

Eine Standortentscheidung für ein Endlager steht immer noch aus in Deutschland. Für die staatliche Aufgabe, diese Endlager einzurichten, ist das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zuständig. Im Juli 2013 trat das Standortauswahlgesetz für die Suche eines solchen Endlagers in Kraft. Von 1979 bis 2000 wurde der Salzstock Gorleben auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktive Abfälle untersucht. Als Folge des Atomausstiegs im Jahr 2000 wurden die Erkundungsarbeiten von Oktober 2000 bis September 2010 ausgesetzt - das sogenannte Gorleben-Moratorium.

Mit dem zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vereinbarten zehnjährigen Moratorium begann die Unterbrechung der untertägigen Erkundung in Gorleben. Dieser Zeitraum sollte genutzt werden, um sicherheitstechnische Fragen zur Endlagerung zu klären: Die Beherrschung der Gasbildung, die durch die Korrosion der Behälter und Zersetzung der Abfälle auftritt, und die Eignung von Salz als Wirtsgestein im Vergleich mit anderen Gesteinen wie Ton und Granit. Im November 2012 wurden die Erkundungsarbeiten im Salzstock Gorleben erneut gestoppt, um die parteiübergreifenden Konsensgespräche über ein Standortauswahlgesetz nicht zu gefährden.

Und schließlich wurden die bergmännischen Erkundungsarbeiten in Gorleben mit Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes am 27. Juli 2013 beendet. Nach wie vor wird aber der Salzstock Gorleben, wie jeder andere für ein Endlager in Betracht kommende Standort, in das Standortauswahlverfahren einbezogen. Das Bergwerk Gorleben ist demnach solange offen zu halten, wie der Standort Gorleben nicht im Standortauswahlverfahren ausgeschlossen wird. "Eine richtige Entscheidung", meint Geologe Islinger. Für ihn stellt die Endlagerung in Salz kein Problem dar. Im Gegenteil, meint er: "Jetzt werden erstmal Kriterien aufgestellt: Was ist eigentlich erkundungswürdig? An diesen Kriterien muss sich dann auch Gorleben messen lassen.

Und wenn Gorleben diese Kriterien erfüllt, wäre Gorleben weiter drin im Standorte-Pool." Nach Zeiträumen befragt, zuckt Islinger nur mit den Schultern. "Offiziell sollen wir bis 2031 einen Standort in Deutschland haben. Aber - ist das realistisch? Und wann haben wir dann ein Endlager? Meine private Meinung: Nicht mehr in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts!"

Islingers Fazit nach der bisherigen Erkundung fällt nüchtern aus. "Mir ganz persönlich wäre ein `schlechtes` Endlager lieber als ein `gutes` Zwischenlager. Denn wir gehen das Risiko ein, noch Jahrzehnte mit den Zwischenlagern leben zu müssen, nur um den `besten` Endlager-Standort zu finden, nicht nur einen `geeigneten`! Und wir werden nie `den besten` Standort bekommen."

Islinger, der dem Betriebsrat angehört, ist mit vielen Besuchern ins Bergwerk gefahren. Vor fast allen hat er über seine Arbeit und die seiner Kollegen referiert. "Die Öffentlichkeitsarbeit - da hängt mein Herzblut dran. Die Grünen haben mal kritisiert, unsere Arbeit wäre nicht neutral. Natürlich sind wir nicht neutral - aber wir sind sachlich. Nach 25 Jahren kann man nicht neutral sein. Ich wollte immer, dass die Leute verstehen, was hier passiert, dass sie ein Gefühl dafür bekommen."