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Angriffe auf Politikerbüros Strukturwandel hinterlässt rechte Gewalt

Von Romina Kempt und Petra Buch, dpa 11.06.2015, 07:02

Bitterfeld-Wolfen (dpa) l Vor wenigen Wochen klaffte ein riesiges Loch in der Scheibe des Abgeordnetenbüros der Grünen in Bitterfeld-Wolfen. Überall lagen Splitter. Im Raum selbst blieben Scherben und ein Gullideckel zurück. Die Stelle, in die das schwere Geschoss einschlug, ist noch heute wie ein Mahnmal zu sehen. "Wir haben ein Problem mit Nazis", sagt Sachsen-Anhalts Grünen-Landtagsabgeordneter Sebastian Striegel, als er vor seinem Wahlkreisbüro steht. Die Stadtverwaltung kritisiert er heftig.

Seit Monaten spitzt sich die Lage in der kleinen Stadt im Südosten von Sachsen-Anhalt zu, häuft sich rechte Gewalt. Auch bei den Linken wurden wiederholt Abgeordnetenbüros attackiert. Wie durch ein Wunder blieben Anwesende jeweils unverletzt. Von den Tätern fehlt nach Angaben der Ermittler noch jede Spur.

Angriffe im Saalekreis und Burgenlandkreis

Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht gab es 2014 rund 1300 Rechtsextreme in Sachsen-Anhalt, 2013 noch etwa 1400. Neuerdings würden auch Kader von Parteien wie Die Rechte und Der Dritte Weg gezielt nach Bitterfeld-Wolfen ziehen, sagt Striegel. "Es gibt eine massive Mobilmachung der rechten Szene". Diese wolle vor den Landtagswahlen 2016 in Sachsen-Anhalt weiter an Boden gewinnen.

Die zerstörte Fensterscheibe im Bitterfelder Büro der Grünen wurde mittlerweile notdürftig durch eine Spanplatte ersetzt. Ein Graffitisprayer hat auf ihr einen Spruch der Solidarität hinterlassen. "Das Problem lässt sich nicht ignorieren", sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete.

Bitterfeld sei kein Einzelfall, erklärt der Politologe Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung der Universität Halle. Auch im Saalekreis oder im Burgenlandkreis gebe es ähnliche Aktivitäten. Rechtsextreme würden vor allem Orte auswählen, an denen linke Aktivisten leben und wo sie diffuse Ängste von Bürgern - etwa vor Zuwanderung - schüren können.

Auch linke Angriffe nicht tollerieren

Die Stadtverwaltung müsse endlich handeln, fordert Striegel. Sie habe lange tatenlos zugesehen, das Problem verharmlost. Das habe die Neonazis weiter gestärkt.

Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos) verteidigt sich gegen die massive öffentliche Kritik. Es sei offensichtlich, dass es in der Stadt ein Problem gebe. Jetzt sei es die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, dagegen zu halten. "Ich kann mich nicht allein hinstellen." Die Stadt habe 40.000 Einwohner. Sie sei zudem im Urlaub gewesen, dann krank. Sie habe immer betont: "Wir wollen in der Stadt kein Rechts und keine Gewalt." Von linker Seite habe es auch Vorfälle gegeben, allerdings Sachbeschädigungen. "Aber das kann man auch nicht tolerieren." Angriffe wie auf die Abgeordnetenbüros seien Attacken gegen die Demokratie und scharf zu verurteilen.

Anfang Juni gab es ein Treffen mit Vertretern von Kirche, Politik und Gewaltopfern, sagt Wust. Das Ziel sei ein gemeinsames Bündnis gegen Rechts - so schnell wie möglich.

Striegel zieht einen Vergleich zu Merseburg im Süden des Landes, seiner Heimat. Beide Städte seien etwa gleich groß, hätten einen Strukturwandel erfahren müssen. Auch Merseburg hatte Probleme mit Nazis, sagt er. Übergriffe auf Asylbewerber sorgten 2014 für Schlagzeilen. In der Stadt im Süden des Landes habe sich inzwischen ein breites Bündnis gegen Rechtsextremismus entwickelt. Es vereine Politiker, Hochschuleliten und Bürger, trete engagiert öffentlich auf und Rechtsextremen entgegen.