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Flüchtlinge Mit Frau und Kind durch acht Länder

In Afghanistan arbeitete Vahid Mahdian als IT-Spezialist. Dann musste er vor den Taliban fliehen.

07.08.2015, 21:56

Magdeburg l Freitagabend, 19 Uhr, Magdeburg, Stadtteil Neu-Olvenstedt: 200 Meter Luftlinie zum Flüchtlingsheim hat die Partei "Die Rechte" eine Versammlung angemeldet. 20 Rechtsextreme stehen umringt von Polizisten auf einem Grünstreifen und halten Schilder hoch auf denen Sprüche wie "Alle sagen Nein zu neuen Asylantenheimen" stehen.

Das Bündnis "Refugees welcome" und die Arbeiterwohlfahrt haben zwei Gegenveranstaltungen angemeldet. Etwa 70 Teilnehmer sind gekommen. Sie versammeln sich vor und neben der Flüchtlingsunterkunft. Überall ist Polizei und Ordnungsamt. Die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft sitzen auf ihrer Balkonen, stehen vor den Häusern.

Einer von ihnen ist Vahid Mahdian. Am liebsten sitzt er auf einer Bank hinter der Flüchtlingsunterkunft. Die kleine grüne Oase ist umringt von leerstehenden Plattenbauten. Die Sonne scheint Vahid ins Gesicht. "Hier sind wir in Sicherheit. Magdeburg ist eine schöne Stadt", sagt er in gutem Englisch und berichtet von seiner Flucht aus Afghanistan. Dem Land mit den schönsten Bergen und Flüssen der Welt, wie er sagt.

Als IT-Spezialist für Banken und Botschaften gearbeitet

"Jeden Tag denke ich an meine Heimat. Jeden Tag schauen wir uns Fotos an. Irgendwann gehen wir zurück - wenn es wieder sicher ist. Es tut weh, all diese Bilder zu sehen und zu wissen, dass man für sehr lange Zeit nicht zurückgehen kann", sagt Vahid. Wir, damit meint der 29-Jährige seine Frau Maria (26) und seinen Sohn Danial (1 Jahr, 7 Monate).

In Afghanistan gehörte der 29-Jährige IT-Spezialist zum Mittelstand. Jahrelang arbeitete er für das Unternehmen IO Global, das darauf spezialisiert ist, auch entlegene Gegenden mit Internet auszustatten. "Ich bin viel gereist", sagt er. Auf einem Laptop zeigt er Bilder von seiner Arbeit und seinem Leben in Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans. Auf vielen Fotos trägt Vahid Anzüge.

Die Aufnahmen zeigen ihn bei Empfängen im spanischen Konsulat, bei Treffen mit amerikanischem Botschaftspersonal und in Gesprächen mit Mitgliedern der ISAF-Schutztruppe. "Wir haben für Nichtregierungsorganisationen, Botschaften, die Nato, Banken und noch viele andere gearbeitet."

Taliban forderten Kooperation

Die Bezahlung sei gut gewesen. Da habe er auch die langen und gefährlichen Fahrten nach Farah, Nimrus, Badghis oder Ghor in Kauf genommen. Für ihn sei es so gut gelaufen, dass er den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. "Dieser Job war mein Leben", sagt er und sieht dabei sehr traurig aus. Seine Aufenthaltsgenehmigung läuft aktuell bis September. Der Asylantrag ist in Bearbeitung. Mit seiner elfjährigen Berufserfahrung ist Vahid zum Nichtstun verdammt. "Aber hier ist es sicher. Und wir sind am Leben", sagt er.

Unsicher in seinem Heimatland wurde es bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014. 27 Kandidaten wollten damals zur Wahl antreten, 11 wurden letztendlich zugelassen. Jeder Bewerber habe seine eigenen Unterstützer gehabt. Zwischen den einzelnen Lagern und Anhängern gab es erbitterte Auseinandersetzungen. Vahid kann sich noch genau an den Tag erinnern, als seine Welt schlagartig zusammenbrach.

"Als ich eines Tages zur Arbeit fahren wollte, lag ein Zettel in meinem Auto", sagt er. Auf dem Papier stand sinngemäß: "Wir wissen, dass du für die arbeitest. Arbeite doch für uns." Der Brief trug das Siegel einer örtlichen Taliban-Unterstützergruppe. Es blieb nicht bei dem Brief. Einige Tage später klingelte das Telefon.

Über die Balkan-Route

Ein unbekannter Mann erkundigte sich, ob Vahid den Zettel bekommen habe und wie seine Entscheidung aussähe. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht für sie arbeiten werde." Die Taliban fordern von dem IT-Spezialisten, dass er Informationen von seinen Auftraggebern beschafft - schließlich hat er exklusiven Zugang zu ausländischen Firmen und Botschaften. "Ich bin Moslem. Ich arbeite mit den Taliban nicht zusammen. Die haben unser Land ruiniert", sagt er.

Auf einer seiner Dienstreisen wurde er überfallen. Ein Mann rammte ihm einen Gewehrkolben ins Gesicht. Ein riesiger Bluterguss und eine gebrochene Nase waren die Folge. Irgendwann kam auch der letzte Anruf. "Sie haben mir gesagt, dass sie mich immer finden werden und ich hier nicht mehr sicher sei", sagt Vahid. Nach diesem Anruf besorgte er in Kabul drei Visa für den Iran. "Wir mussten so schnell wie möglich das Land verlassen", sagt er. Die drei Visa kosteten 3000 Dollar. "Wir haben alles hinter uns gelassen. Haus, Auto, Freunde", sagt Vahid. Um die lange Flucht zu finanzieren, sammelten sie alles Ersparte zusammen und verkauften den Schmuck der Frau.

Ursprünglich sei der Plan gewesen, im Iran zu bleiben. Auch weil eine Schwester seiner Frau in der islamischen Republik lebt. Das habe aber nicht funktioniert, weil er keine Arbeit fand und die Visa begrenzt waren. Die junge Familie entschied sich, weiterzuziehen. Ein Schleuser brachte sie zu Fuß für 2500 Dollar über die Grenze in die Türkei.

"Dort haben wir zwei Monate in Izmir und Istanbul gelebt", sagt Vahid. Für zehntausend Dollar habe er dann einen Schleuser gefunden, der die Familie mit dem Boot nach Griechenland brachte. Fünf Monate habe er mit Frau und Kind in einem Haus in Athen in einem Keller gelebt - bis die drei sich schließlich auf den Weg nach Mitteleuropa machten. Ein Truckerfahrer nahm ihn und andere für 14 000 Dollar mit nach Deutschland. "Drei Tage haben wir im Hänger zwischen Kisten ausgeharrt", sagt Vahid. Erwischt wurden sie nicht.

In Passau habe der Truckerfahrer sie dann schließlich rausgelassen. In der Donaustadt kommen in der Flüchtlingsauffangsstation derzeit täglich mehr als 300 Flüchtlinge an. Die meisten reisen über die Balkanroute nach Europa ein. Vahid und Familie durchquerten so im Truck fünf weitere Länder.

Viele Magdeburger helfen

Nach der Registrierung ging es für die Familie nach Halberstadt und dann schließlich nach Magdeburg. "Jetzt sind wir hier", sagt Vahid Mahdian. Nach einer Flucht, die mehrere Monate dauerte, über zahlreiche Länder führte und Tausende Dollar kostete. "Aber wir haben unser Leben gerettet. Das ist viel wichtiger als alles andere", sagt Vahid.

Über die ausländerfeindlichen Proteste möchte er nicht reden. "Schreib doch lieber darüber, wie viele Leute uns hier unterstützen. Bei denen möchte ich mich bedanken", sagt er. Er berichtet von Magdeburgern, die freiwillig Deutschkurse geben, Spielsachen vorbeibringen oder Bewohner zum Essen eingeladen haben. "Ich kann es verstehen, wenn Leute wegen uns verunsichert sind. Aber Hass ist schlecht. Hass macht uns krank", sagt er. Das sehe man an seinem eigenen Land. Da habe der Hass gesiegt.