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23-jähriger Magdeburger ist auf der großen Fußballbühne zu Hause Gestatten: Schmelzer, Marcel, deutscher Meister

Von Marco Papritz 14.05.2011, 06:27

Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund bekommt heute Nachmittag zum siebten Mal die Schale zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft überreicht. Das Team von Trainer Jürgen Klopp ist die Überraschungsmannschaft – und mittendrin Marcel Schmelzer aus Magdeburg. Vor sechs Jahren verließ er seine Heimat. Ein Schritt, den der 23-Jährige nicht bereut hat. Sowohl sportlich als auch privat.

Dortmund/Magdeburg. "Ich habe immer und überall Fußball gespielt mit meinem Bruder, wo es nur ging: Draußen im Hof, auf der Straße, im Garten und drinnen in der Wohnung", erinnert sich Marcel Schmelzer. Für den 23-Jährigen ist in den vergangenen Monaten das Realität geworden, wovon viele nur träumen: ein Stammplatz in einer Bundesligamannschaft, eine Spitzenposition in der Liga und die Berufung zum Nationalspieler. Die Erfüllung des Fußballtraums ist weniger eine Überraschung als vielmehr das Ergebnis harter Arbeit und der Glaube an sich selbst – 400 Kilometer von der Heimat entfernt.

Rückblende: "Mit Schmelzer geht ein weiteres Talent", heißt es im Sommer 2005 in der Volksstimme. Der damals 17-jährige Marcel, aufgewachsen in Magdeburg-Alte Neustadt, wechselt zu Borussia Dortmund, nachdem er vier Jahre die Nachwuchsmannschaften des 1. FC Magdeburg durchlaufen und das Sportgymnasium besucht hat. 1997 war Marcel Schmelzer das erste Mal beim Training des SV Fortuna am Magdeburger Nixenweg. Nun also der große Schritt ins weit entfernte Jugendhaus des Bundesligisten aus dem Ruhrpott. "Ich hatte es mir schwerer vorgestellt. Dort habe ich mit acht anderen Schülern gewohnt, die auch von weiter weg kamen. Sie haben mich super aufgenommen. Daher hatte ich nicht all zu schlimmes Heimweh." Und wenn doch, "gab es ja mein Handy", so Marcel Schmelzer mit einem Schmunzeln. Er hatte auch andere Angebote von Vereinen, die näher an Magdeburg lagen, "aber für mich stand fest, dass ich nach Dortmund gehe, weil die Borussia schon in meiner Kindheit mein Traumverein war."

Im Ruhrpott angekommen, bestimmen neben den Trainingseinheiten das Leben im Internat und das Lernen für das Fachabitur mit Schwerpunkt Betriebswirtschaftslehre den Tagesablauf. "Ich musste immer hart arbeiten. Ich habe in der A-Jugend gespielt, bei den Amateuren, dann eine Zeit lang gar nicht und war auch nicht im Kader. Von daher wusste ich, dass Fußball eben so sein kann. Für mich stand schon immer fest, dass ich einen Schulabschluss mache, um etwas zu haben, sollte es mit dem Fußball nicht klappen." Das Risiko zu scheitern, ist zu diesem Zeitpunkt allgegenwärtig. Um so konzentrierter ist Marcel Schmelzer beim Training. Schlechte Trainingsleistungen oder eine schwerwiegende Verletzung und der Traum von einer Profikarriere droht zu platzen. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Dortmund steigt er von der A-Jugend in die zweite Mannschaft auf, absolviert 26 Spiele in der Regionalliga-Nord. Babelsberg und Verl heißen die Gegner. Und auch 1. FC Magdeburg. Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, besuchen die Eltern Carmen und Andreas sowie Bruder Martin und Freundin Anika den Exil-Magdeburger und bestärken ihn, seinen Weg in der Ferne weiterzugehen.

"Mittlerweile kann ich sagen, dass Dortmund so etwas wie meine zweite Heimat geworden und mir sehr ans Herz gewachsen ist", resümiert Marcel Schmelzer. Auch, weil ihm das Glück hold ist. Zur Saison 2008/09 verpflichtet der Traditionsverein Trainer Jürgen Klopp. Ein Mann, der beim chronisch klammen BVB auf die Jugend setzt. Fortan erlebt die Borussia einen Aufschwung. Und mit ihr Marcel Schmelzer. "Bevor der Trainer kam, hat er mich durch Mainz schon beobachten lassen. Daher kannte er mich schon etwas." Neu im Amt, holt Fußballlehrer Jürgen Klopp den bis dato noch unbekannten Nachwuchsspieler in den Profikader.

Marcel Schmelzer unterscheidet sich nicht von seinen Altersgenossen: Er verfolgt im Fernsehen Serien wie King Of Queens, sieht gern Filme mit Schauspieler Will Smith und nennt Basketballer Michael Jordan sein Vorbild – ausgiebige Diskonächte oder einfach mal "blaumachen", wie es in seinem Alter schon einmal vorkommen kann, darf er sich nicht erlauben. Er macht den nächsten Sprung in seiner Entwicklung.

In der Startelf vor 80720 Zuschauern

Am ersten Spieltag am 16. August sitzt der damals 20-Jährige beim Gastspiel in Leverkusen auf der Reservebank. Dann die 72. Minute: Der angeschlagene Linksverteidiger Dedé wird ausgewechselt. Auf der Anzeigetafel erscheint die Nummer 29 und der Name Marcel Schmelzer. "Seitdem ich mich warmgemacht hatte, war ich nur noch in Trance und dachte ,was ist, wenn das wirklich passiert?‘" Es passiert. Seine Gefühlswelt steht Kopf. Eine Steigerung soll er schon eine Woche nach seinen ersten Bundesligaminuten im heimischen Westfalenstadion erleben. Sonnabendnachmittag, 80720 Zuschauer, ausverkauft. Der Gegner: FC Bayern München. Beim 1:1 absolviert der Junge aus Magdeburg sein erstes Ligaspiel von Beginn an. "Das war der Wahnsinn, als ich wusste, dass ich spiele. Und dann noch gegen die beste Mannschaft aus Deutschland in dem besten Stadion Deutschlands. Da wusste ich gar nicht, woran ich zuerst denken soll." Das Trikot von damals hat er seinen Eltern geschenkt.

Nach zwölf Spielen endet dann seine Einsatzzeit vorläufig mit der Wiedergenesung von Stammspieler Dedé. Zweitligist Greuther Fürth bekundet 2009 Interesse an Marcel Schmelzer. Soll er seine Zelte in Dortmund abbrechen und seinen Traumverein verlassen? "Ich hatte ein ziemlich gutes Gespräch mit dem Trainer. Jürgen Klopp meinte, dass er mich gern in Dortmund weiterentwickeln möchte. Dafür war ich ihm sehr dankbar, dass er mit mir so ehrlich umgegangen ist. Er hat einen riesen Anteil daran, dass es bei mir so gut läuft. Er hat mir die Chance gegeben, und ich habe sie genutzt", so Marcel Schmelzer. Im Sommer 2009 gehört er zum Team, welches in Schweden den U-21-Europameistertitel gewinnt. Im Finale gegen England wird Marcel Schmelzer eingewechselt.

Anruf von Bundestrainer Löw

Ein Jahr später im November soll er in Göteborg wieder die Nationalhymne singen – als A-Nationalspieler. "Natürlich merkt man das in der Presse, dass das Thema Nationalmannschaft heißer werden könnte. Ich glaube, dass der Trainer im Verein das vorher schon immer weiß, ob man berufen wird. Er spricht aber nicht drüber." Schon lange wird zu diesem Zeitpunkt der Name Marcel Schmelzer in einem Zuge mit dem erfolgreichen Spiel der Dortmunder Borussia in dieser Saison genannt.

Ein Anruf von Bundestrainer Joachim Löw persönlich bringt schließlich die Auflösung. "Er hat uns als Mannschaft gelobt, dass wir sehr gut Fußball spielen und dass er sich sehr gern Spiele von uns ansieht." Viel wichtiger noch ist die Ankündigung, dass Marcel Schmelzer zum Kader des anstehenden Freundschaftsspiels gehört. Am 17. November steht er sogar in der Startelf und gibt vor einem Millionen-Publikum beim torlosen Unentschieden sein Debüt.

Zeit, die Erlebnisse zu verarbeiten, bleibt nicht. Auch nicht für eine ausgiebige Besichtigung der schwedischen Hauptstadt oder eine Shoppingtour. Wie so oft bei seinen Auslandsreisen mit dem Verein oder den Auswahlmannschaften. "Man darf sich das nicht als Urlaub vorstellen, das ist alles sehr durchorganisiert und vom Training bestimmt. Zeit, sich viel anzusehen oder das Land kennenzulernen, bleibt da nicht." Daher sichert sich der Magdeburger nach den Spielen die Leibchen seiner Gegner als persönliches Andenken. "Meist sind das Trikots der Spieler, die schon lange bei ihrem Verein sind, mit denen sich die Anhänger identifizieren, wie etwa Ilker Casillas von Real Madrid", kommt in Marcel Schmelzer der Fan durch. Dabei ist er selbst zu einer Persönlichkeit geworden, die mittlerweile auf der Straße erkannt wird. "Die meisten sind ganz schüchtern, trauen sich nicht, mich anzusprechen. Oft geht es um ein Autogramm oder ein Foto, was überhaupt kein Problem ist. Also einkaufen gehe ich schon noch alleine."

Wann immer es geht, nutzt die Familie von Marcel die Auswärtsspiele der Dortmunder in der Nähe der Heimat Magdeburg, etwa in Hannover und Wolfsburg, für ein Wiedersehen und Plausch nach dem Spiel. "Da kommen nicht nur meine Eltern, sondern die ganze Verwandtschaft. Das sind Momente, auf die ich mich besonders freue. Man sieht seine Familie sehr selten. Das ist das Schlimmste am Leben als Fußballspieler", so der 23-Jährige. Aufgrund des engen Fußballspielplans schafft es der Blondschopf "meist nur zweimal im Jahr nach Magdeburg, im Sommer und Winter, wenn der Fußball pausiert".

In Dortmund ist er allerdings nicht allein. Seit einem Jahr wohnt Freundin Anika mit ihm zusammen. "Wir haben uns in Magdeburg in der Schule kennengelernt und führten eine Fernbeziehung. Aber das ist zum Glück vorbei." Neben dem Training und den Auswärtsfahrten Freunde abseits des grünen Rasens zu finden, sei schwierig. "Oft ist man nach dem Training, dem Einzeltraining und Zusatzschichten oder den vielen Terminen einfach nur platt. Ich glaube, das ist ein Pluspunkt der Mannschaft, dass wir auch privat etwas gemeinsam unternehmen. Nuri Sahin, Mario Götze und Kevin Großkreutz sind die drei, mit denen ich dann viel zusammen bin", sagt der Magdeburger.

Auch abseits des Rasens eine Mannschaft

Über das aktuelle Geschehen bei seinem alten Verein, den 1. FC Magdeburg, hält ihn sein zwei Jahre jüngerer Bruder Martin auf dem Laufenden. In der Liga trifft er mit Maik Franz auf einen ehemaligen Akteur des FCM. Die Vergangenheit scheint zu verbinden, auch wenn beide unterschiedlichen Jahrgangs sind. "Das war sehr lustig bei meinem ersten Spiel gegen Frankfurt, als ich auf der Bank saß. Nach dem Spiel kam er kurz vorbei und sagte ¿Alle Magdeburger runter vom Platz‘, und dann haben wir uns unterhalten. Das werden wir sicherlich noch öfter machen."

Nach der Meisterfeier in Dortmund, die heute nach Abpfiff der letzten Bundesligapartie der Saison gegen Eintracht Frankfurt um 17.15 Uhr beginnen und zu der morgen 300000 Fans in der Stadt erwartet werden (WDR-Fernsehen überträgt ab 11.45 Uhr), wird Marcel Schmelzer endlich Zeit finden, all die Ereignisse der vergangenen Monate zu verarbeiten. Dann geht es für ihn bei der Nationalmannschaft schon wieder weiter. Am Donnerstag nominierte ihn der Bundestrainer für das Freundschaftsspiel in Hoffenheim gegen Uruguay am 29. Mai sowie für die EM-Qualifikationsspiele in Österreich, 3. Juni, und gegen Aserbaidschan, 7. Juni.

Was er im Sommer 2012 macht, wenn in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft stattfindet, daran verschwendet der 23-Jährige noch keinen Gedanken. "So weit denke ich nicht, bis dahin ist noch viel Zeit", betont Marcel Schmelzer, der deutsche Meister aus Magdeburg.