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Mit Manfred Püchel verlässt einer der profiliertesten Politiker die Landesbühne / Er sagt: "Ich bin ein Wendegewinner, aber kein Wendegewinnler"

Von Michael Bock 25.01.2011, 05:26

Der frühere Innenminister Manfred Püchel (SPD) ist einer der profiliertesten Politiker in Sachsen-Anhalt. Für den nächsten Landtag (am 20. März wird gewählt) tritt der 59-Jährige nicht mehr an.

Etgersleben. Püchel krabbelt in die Tiefen seines Schuppens in Etgersleben (Salzlandkreis). Er wühlt sich einige Minuten durch den Raum. Dann hält er sie in der Hand. Die Kettensäge, Marke "Black & Decker". Sie ist verstaubt, funktioniert aber immer noch. Püchel sagt: "Die ist legendär." Die Kettensäge erinnert an den Beinahe-Rücktritt des damaligen Innenministers.

Ein Blick zurück in den Februar 2000. Püchel will das Polizeigesetz verschärfen. Er plant, die Möglichkeiten der Polizei bei Straßenkontrollen, Platzverweisen und Videoüberwachungen auszuweiten. Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) will das mit dem damaligen Tolerierungspartner PDS klären. Doch Höppner beißt auf Granit. Püchel erinnert sich noch gut an dessen Worte: "Manfred, das wird nichts. Die PDS macht nicht mit."

Püchel ist stocksauer. Zumal auch die SPD schwankt. Am 14. Februar formuliert Püchel auf einem schmucklosen DIN-A 4-Blatt in einem knappen Satz seinen Rücktritt als Innenminister (Faksimile). An jenem Montag, so sagt er jetzt, "habe ich schon angefangen, meinen Schreibtisch im Ministerium auszuräumen". Gegen 15 Uhr legt er Höppner sein Rücktrittsgesuch vor. Der beschwört ihn, im Amt zu bleiben. Püchel: "Er hatte Angst, dass sonst die Regierung kippt."

Canossa-Gang nach Etgersleben

Püchel nimmt das Blatt wieder mit, will sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen. Am Tag danach schwänzt er die Kabinettssitzung und lässt seinen Frust im eigenen Garten ab. Er wütet mit der Kettensäge, stutzt Bäume, schreddert Äste. Zwei Tage später folgt Höppners Canossa-Gang. Er kommt nach Etgersleben und redet drei Stunden auf Püchel ein. Letztlich zieht die SPD mit, Püchel bleibt im Amt, und das Polizeigesetz wird in seinem Sinne mit den Stimmen der CDU beschlossen.

Püchel wird in den Tagen der friedlichen Revolution 1989 in die Politik gespült. Der damalige Laborleiter des Bahrendorfer Krankenhauses gründet in Etgersleben den SDP-Ortsverein (später SPD). Ihm hätte der ehrenamtliche Bürgermeisterposten gereicht. Doch dann wird er auf Platz 23 der ersten Landesliste gesetzt. Das ist die Eintrittskarte in die Landespolitik und der Grundstein für den steilen Aufstieg des Berufspolitikers Püchel. Heute sagt er: "Ich bin ein Wendegewinner, aber kein Wendegewinnler."

Er wird Mitglied des Landtags. Aus dem Diplomchemiker wird schnell ein profilierter Innenpolitiker. Das hat ihm nicht jeder zugetraut. Püchel, bodenständig und schlitzohrig, ist dankbar für die Chance: "Früher kannte ich Innenpolitik nur aus dem ,Tatort’", sagt er und lächelt verschmitzt.

1994 wird Höppner Ministerpräsident einer rot-grünen, von der damaligen PDS tolerierten Minderheitsregierung. Er macht Püchel zum Innenminister. "Eigentlich wollte er mich nicht haben", sagt Püchel. Doch der heute 59-Jährige ist inzwischen vom lokalen Nobody zu einem der beliebtesten Landespolitiker aufgestiegen. Höppner kann es sich nicht leisten, im Kabinett auf eines der wichtigsten SPD-Zugpferde zu verzichten.

Warum aber tritt Püchel überhaupt in die Höppner-Regierung ein? Bei ihm sträubt sich alles gegen eine Zusammenarbeit mit den SED-Nachfolgern, der PDS. Der Schwiegervater saß im berüchtigten Stasi-Knast in Bautzen. Püchel: "Ich war immer einer der größten Gegner der PDS, gleichzeitig habe ich mitgemacht." Irgendwie erliegt er dann doch dem Reiz eines Ministeramtes. Püchel erklärt die Sache so: "Ich habe auf wechselnde Mehrheiten gesetzt, mal mit der PDS, mal mit der CDU. Ich habe es über die Jahre durchgehalten, dass ich nicht von der PDS abhängig war." Püchel rechnet vor: Von 1994 bis 1998 seien 32 Gesetze in seiner Zuständigkeit beschlossen worden, "davon 16 einstimmig, acht mit der CDU und acht mit der PDS".

In der zweiten Amtszeit der Minderheitsregierung (1998 bis 2002) drängen ihn immer mehr Leute, auch aus der CDU, den zunehmend glücklos agierenden Höppner abzulösen. Püchel überstrahlt den Regierungschef an Popularität. Er ist fachkundig, unprätentiös, ihm werden preußische Tugenden nachgesagt. Einer, der ihn gut kennt, sagt: "Er kann sich auch mal selber durch den Kakao ziehen. Er verkörpert nicht diese vielen Politikern eigene Superwichtigkeit und wahnwitzige Eitelkeit." Püchel ist, so sagen Freunde, "im positiven Sinne ein Menschenfischer".

Von 1994 bis 2006 gewinnt er bei Landtagswahlen seinen Wahlkreis jedes Mal direkt. Eine CDU-Politikerin hat ihn mal den "Helden aller Volksfeste" genannt. Was spöttisch klingen sollte, empfindet Püchel als Lob.

Im Innenministerium ist er hoch geachtet. Ein politischer Wegbegleiter sagt: "Er war immer offen, auch für kritische Fragen. Wenn es brenzelig wurde, hat er seinen Kopf hingehalten. Das hat ihm im Beamtenapparat viel Respekt eingebracht." Andere wissen: "Bei ihm galt: ein Mann, ein Wort." Zu seinen Amtskollegen hat Püchel ein hervorragendes Verhältnis. Mit dem als schwierig geltenden damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kommt er prächtig aus, mit Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) auch.

In der SPD tobt in Höppners zweiter Amtszeit ein heftiger Konflikt zwischen dem linken Flügel und den Anhängern der sogenannten Neuen Mitte. Mal brodelt der Streit unter der Oberfläche, dann wieder entlädt er sich eruptiv wie ein Vulkan. Püchel gilt als Frontmann der Parteirechten. Doch die Rolle des Königsmörders liegt ihm nicht. "Ich war gegenüber Höppner bis zum Schluss loyal, das hat er nicht begriffen", sagt er. Nicht alle finden Püchels Verhalten gut. "Mir ist deshalb sogar Kadavergehorsam vorgeworfen worden", erinnert er sich. Sein heutiges Verhältnis zu Höppner beschreibt er so: "Wir sehen uns, sagen ,guten Tag und guten Weg’. Das war’s. Persönlich sind wir nie warmgeworden."

2002 wird Höppner abgewählt, und auch Innenminister Püchel muss gehen. Heute spricht er von "erfolgreichen Jahren", die allerdings auch ihren Preis hatten. Er hat alles der Politik untergeordnet. Aus dieser Zeit, so bekennt der ausgewiesene Familienmensch Püchel, "weiß ich nichts von meinen beiden Töchtern".

Püchel wirft das Handtuch

Nach dem Wahldebakel im Jahr 2002 (die SPD holt 20 Prozent) übernimmt Püchel den Parteivorsitz. Er soll die tiefen innerparteilichen Gräben zuschütten. Er behält Bullerjahn, seinerzeit Galionsfigur der Linken und einer der Architekten des Minderheitsmodells, als parlamentarischen Geschäftsführer. Dieser geschickte Zug hilft, Konflikte zu begrenzen. Doch schon nach zwei Jahren gibt Püchel völlig überraschend Fraktions- und Landesvorsitz ab. Eine Entscheidung (fast) im Alleingang. Nur die Familie weiß davon. Kurz zuvor hat die SPD bei der Kommunalwahl eine erneute Schlappe einstecken müssen – nur 19,8 Prozent. Püchel ist gefrustet. Selbst politische Freunde sprechen von einer "Kurzschluss-Reaktion". Doch Püchel ist gesundheitlich angeschlagen. Er hat zehn erfolglose Knieoperationen hinter sich. Er sagt: "Ich war verzweifelt, habe mich nachts hin- und hergewälzt, konnte nur noch eine Stunde schlafen. Das hat mich zermürbt." Rückblickend bekennt er aber: "Es war ein Fehler, beides abzugeben. Ich hätte den Parteivorsitz behalten sollen."

Plötzlich haben in der Partei andere das Sagen. Jens Bullerjahn, Holger Hövelmann, Rüdiger Erben, Klaas Hübner. Der "Börde-Napoleon" hat von einem auf den anderen Tag ausgedient. "Ich hätte nicht erwartet, dass ich so schnell weg sein würde", sagt er heute. Das sehen auch andere so: "Er hat gedacht, er könnte länger von seinen Lorbeeren leben." Püchel selbst antwortet kurz nach seinem Rücktritt als Landes- und Fraktionschef auf die Frage, ob ihn ein Ministeramt reizen würde: "Man sollte nie nie sagen." Doch die neue Generation hat ihn nicht mehr auf der Rechnung.

Bei der Landtagswahl 2006 meldet sich Püchel mit dem weitaus besten Ergebnis aller Direktkandidaten eindrucksvoll zurück. In den Plänen der jungen Garde spielt er, dem es gesundheitlich wieder besser geht, keine Rolle mehr. Er fühlt sich abserviert, igelt sich immer mehr ein. Im Landtag setzt er sich auf die hinterste Bank. Im März 2010 erklärt er, nicht mehr für den Landtag zu kandidieren. Er sagt: "Ich habe mir das alles in Ruhe überlegt. Die Entscheidung ist mir sehr schwergefallen."

Jetzt sitzt er in seinem Wohnzimmer und bekennt, dass er sich ab und zu fragt, ob der Entschluss wirklich richtig war. Ja, er gehört noch dem Kreistag an. Er ist auch im Verwaltungsrat der Sparkasse. Er liest viel, aktuell ein Buch, in dem das Steuersystem erklärt wird. Doch reicht das einem Vollblutpolitiker? So richtig "abtrainiert" wie ein Hochleistungssportler hat er nicht. Keine Zeit! Das ist jetzt anders. "Plötzlich", sagt er nachdenklich, "ist der Terminkalender leer." Sein langjähriger politischer Weggefährte, Magdeburgs Ex-Oberbürgermeister Willi Polte (SPD), bedauert: "Jetzt geht der Junge mit knapp 60 Jahren in Rente, das ist viel zu früh."