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Wer in Sachsen-Anhalt seinen Schulbezirk wechseln will, hat bei Behörden schlechte Karten. Grenzfall: Junge Fußballerin erkämpft sich vor Gericht Zugang zu ihrer Wunsch-Schule

Von Winfried Borchert 26.10.2011, 04:24

Die Grenzen von Schulbezirken sind in Sachsen-Anhalt fast unüberwindlich. Im Harzkreis zog eine Mutter für ihre Tochter vor Gericht und bekam Recht. Weil die Kleine ein Fußballtalent ist.

Halberstadt/Pabstorf l Tief steht die Sonne über den Rasenplätzen am Halberstädter Friedensstadion. Ines Braunsberger aus Pabstorf, eine Frau in den Vierzigern mit Kurzhaarschnitt und Dünnrandbrille, wartet mit anderen Eltern am Spielfeldrand, während ihre Tochter Margareta (11) mit den Jungs Fußball spielt. Die Mutter klopft auf den Aktenordner mit den Gerichtsakten und lächelt.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel habe sie jener Brief aus Halle getroffen, sagt Ines Braunsberger. Im April war das. Seitdem drehte sich in der Familie alles nur noch um dieses eine Thema. Der Bürgermeister wurde um Rat gefragt, ebenso Freunde und Fußballtrainer. Schließlich ein Anwalt beauftragt.

In dem Brief hatte die Behörde der Mutter mitgeteilt, dass der Ausnahmeantrag ihrer Tochter Margareta zum Besuch einer Schule außerhalb ihres Schulbezirkes abgelehnt sei. Begründung: Die Mutter habe keine Gründe für ihren Ausnahmeantrag angegeben. Da sei in ihr das erste Mal so etwas wie Wut aufgestiegen, sagt Ines Braunsberger. "Schließlich hatten wir im Februar pünktlich unseren Antrag eingereicht, auf einem dafür vorgesehenen Formular. Darauf war allerdings gar nicht nach Gründen gefragt worden." Die reichte sie schnell nach.

"Margareta gehört zu den Leistungsträgern"

Detlef Rutzen, Fußballverband Harz

Pabstorf gehört zum Einzugsbereich der 20 Kilometer entfernten Sekundarschule Schwanebeck. Diese sollte Margareta nach dem Willen der Behörden besuchen. Mit dem Schulbus mindestens eine halbe Stunde Fahrt hin, eine halbe Stunde zurück. Tausende Kinder in Sachsen-Anhalt sind jeden Tag länger unterwegs.

Margareta und ihre Mutter hatten sich eine Schule in Halberstadt ausgeguckt. Ihnen ging es nicht um den Schulweg, der ist sogar drei Kilometer länger. Die Behördenentscheidung hätte für das Mädchen aber schwerwiegendere Folgen gehabt als ein paar Kilometer Weg mehr: Das Ende ihrer sportlichen Karriere.

Margareta ist eine begabte Fußballerin, spielt seit ihrem fünften Lebensjahr im Verein ihres Heimatortes. Ihr Vorbild sind ihre große Schwester, die auch Fußball spielt, und Birgit Prinz.

"Margareta gehört zu den Leistungsträgern unserer Kreisauswahlmannschaft. Sie überzeugt durch ihr Talent, das mit sehr viel Zielstrebigkeit und Ausdauer verbunden ist", schwärmt Detlef Rutzen, Chef des Kreisfußballverbandes. Im Vorjahr fiel die Kleine mit den flinken Beinen Beobachtern des Deutschen Fußballbundes (DFB) auf. Kurz darauf folgte die Einladung in den regionalen DFB-Stützpunkt. Thomas Waldow, ihr Trainer, sieht Margaretas sportliche Zukunft vielversprechend. "Eine Einladung zum Sichtungstraining der U 15 in Magdeburg wird sicherlich nicht lange auf sich warten lassen", meint er.

"Wollte Recht auf ehrlichem Weg erreichen"

Ines Braunsberger, Margaretas Mutter

Zweimal in der Woche besucht Margareta das Training in Halberstadt. "Mit dem Wechsel an die Schwanebecker Schule wäre das nicht möglich gewesen", sagt Ines Braunsberger. Dem Landesverwaltungsamt habe sie das alles geschildert. Auch daran erinnert, dass die Behörde ja schon einmal eine Ausnahme für das Kind genehmigt habe. Wegen des Arbeitsweges der Mutter durfte Margareta in Halberstadt die Grundschule besuchen, obwohl sie eigentlich in die Schule des Nachbarortes hätte gehen müssen.

Kurz vor dem Ende des alten Schuljahres kam die Enttäuschung. Das Landesverwaltungsamt teilte mit, der Ausnahmeantrag sei abgelehnt. Margareta müsse nach Schwanebeck fahren.

Ines Braunsberger hätte es sich einfach machen können, hätte den Weg gehen können, den viele Eltern in ähnlicher Lage wählen: Sie melden sich über Freunde, Bekannte oder Verwandte unter einer Briefkasten-Adresse im Einzugsbereich ihrer Wunsch-Schule an und tun so der Vorschrift Genüge. Selbst im Kultusministerium ist das kein Geheimnis.

"Ich wollte aber das Recht auf ehrlichem Weg erreichen", sagt Ines Braunsberger. Sie beauftragte den Magdeburger Verwaltungsrechtler Christian Rasch, der beim Verwaltungsgericht Magdeburg einen Eilantrag für Margaretas Schulbesuch in Halberstadt einreichte. Die Entscheidung kam gerade rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahres: Braunsbergers erhielten Recht, Margareta darf die Halberstädter Schule "Am Gröpertor" besuchen. "Erfreulicherweise hat das Gericht das Besondere des Falles gesehen. Anders als das Landesverwaltungsamt, das seine Schreiben mit stereotypen Textbausteinen verfasst hat", sagt Anwalt Rasch.

Mittlerweile liegt die schriftliche Begründung vor. Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts sah in der behördlichen Schulentscheidung einen Härtefall, weil die sportliche Karriere der jungen Fußballerin gefährdet worden wäre. Es sei hier nicht nur um die Mitgliedschaft in einem schulortnahen Sportverein gegangen, "sondern um die Möglichkeit, einer den lokalen Bereich überschreitenden und somit überregionalen Talentförderung". Der mit einem Schulbesuch in Schwanebeck verbundene Fahraufwand sei für die alleinerziehende Mutter nicht zu gewährleisten, was die Trainingsteilnahme und die Talentförderung gefährdet hätte. Dies hätte nach Ansicht des Gerichts für das Mädchen einen "schwerwiegenden Nachteil" bedeutet. Das Landesverwaltungsamt habe zudem nicht dargelegt, warum es die Ausnahmegründe, die es für Margaretas Grundschulbesuch anerkannt hatte, für die Sekundarschule nicht mehr gelten ließ (Az 7 B 159/11/ MD).

So viel Glück wie Margareta haben wenige. Zwar könnten die Kommunen ihre Schulbezirke für Grund- und Sekundarschulen aufheben (für Gymnasien gibt es sie ohnehin nicht), doch die meisten Städte, Gemeinden und Kreise halten an den Einzugsbereichen fest. Der Grund: Planungssicherheit. Eine Stadt, die viel Geld in ein Schulgebäude gesteckt hat, will nicht riskieren, dass die Schule mangels Zuspruchs nach wenigen Jahren leer steht.

"Wollen Schulstandorte in der Fläche erhalten"

Andreas Riethmüller, Landesverwaltungsamt

Das Landesverwaltungsamt ist auch deshalb mit Ausnahmen sehr zurückhaltend. Schätzungsweise 400 Ausnahmen seien für dieses Schuljahr beantragt worden, sagt Andreas Riethmüller, in der Behörde Abteilungsleiter für Schule und Kultur. "Maximal zehn Prozent davon haben wir genehmigt." Neben pädagogischen Aspekten zum Wohl des Kindes gehe es darum, "Schulstandorte in der Fläche zu erhalten", sagt Riethmüller. Ausnahmen genehmige man beispielsweise, wenn ein Kind sonderpädagogisch gefördert werden müsse, es an seiner Wohnortschule aber keine Lehrer dafür gebe. "Oder wenn ein Kind besondere gesundheitliche Probleme hat", sagt Riethmüller.

Das Zusammenspiel von Schulbezirken und Ablehnungspraxis führt mitunter zu kuriosen Situationen. In Magdeburg müssen manche Erstklässler an ihrer nächstgelegenen Grundschule vorbei noch einen Kilometer bis zur nächsten laufen, während der Freund aus dem Nachbarhaus der anderen Schule zugewiesen wird. Auch deshalb hat der Magdeburger Stadtrat jetzt die Aufhebung der Schulbezirke beschlossen.

Das Kultusministerium teilt unterdessen mit, an der gegenwärtigen Praxis festzuhalten. Änderungen seien "nicht geplant", sagt ein Sprecher.

Die Landtagsopposition sieht Handlungsbedarf. Grünen-Fraktionschefin Claudia Dalbert kritisiert: "Wer das Geld hat, seine Kinder auf eine private Schule zu schicken, ist an Grenzen nicht gebunden. Das stellt eine Benachteiligung der anderen Familien dar."

Birke Bull, bildungspolitische Sprecherin der Linken, spricht sich dafür aus, über Ausnahmen künftig die Kommunen entscheiden zu lassen.