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Hallenser Wissenschaftler untersuchen, wie Pädagogen mit neuem Kinderschutzgesetz umgehen Hungrig, ungewaschen oder missbraucht? Erzieher sollen Kinder noch mehr schützen

Von Andreas Stein 03.05.2012, 05:26

Seit Jahresbeginn ist das neue Kinderschutzgesetz des Bundes in Kraft. Kita-Erzieher sollen nun noch mehr auf das Wohl ihrer Schützlinge achten. Forscher der Uni Halle untersuchen, wie das den Umgang mit Kindern und Eltern verändert.

Halle/Magdeburg l Der fünfjährige Philipp kommt öfter mal mit blauen Flecken am Rücken in den Kindergarten. "Er hat wohl wieder herumgetobt", zucken die Eltern mit den Schultern, als sie von der Erzieherin darauf angesprochen werden. Philipp mag nichts dazu sagen und fragt stattdessen, wann es Mittagessen gibt - seine Mutter hat wieder vergessen, ihm etwas fürs Frühstück einzupacken.

Ist Philipp ein Fall fürs Jugendamt? Mit dem Start des neuen Bundeskinderschutzgesetzes zum Jahreswechsel sind seine Erzieher noch mehr als bisher gefordert, auf das Wohlergehen ihrer Kita-Kinder zu achten (siehe Infokasten). "Natürlich könnte man sagen, die Kitas haben diese Aufgabe schon immer gehabt. Aber nun ist sie expliziter geworden", sagt Ursula Rabe-Kleberg von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie erforscht im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Projekt "KidS" in den kommenden drei Jahren, wie Erzieher mit den neuen Bestimmungen des Kinderschutzes umgehen, auf welche Widersprüche und Konflikte sie stoßen, wie sie diese bewältigen und lösen.

Im Mittelpunkt der Analyse stehen dabei die sogenannten Kinderschutzfachkräfte. Das sind Erzieher mit einer entsprechenden Zusatzausbildung, die ihren Kolleginnen und Kollegen in Fällen wie denen des kleinen Philipp mit Rat und Tat zur Seite stehen. Durch das neue Gesetz könnte sich ihre Praxis und grundsätzliche Haltung Kindern wie Eltern gegenüber verändert haben. Erzieher haben mit dem neuen Kinderschutzgesetz bei kommunalen wie privaten Trägern einen Anspruch auf Beratung durch wenigstens eine solche Fachkraft - doch die Qualifikation ist umstritten und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt, was Länge und vor allem Inhalte angeht. In Sachsen-Anhalt hält sich das Dilemma noch in Grenzen, weil das Landesjugendamt die Fortbildung zentral steuert.

In diese Grauzone stoßen Ursula Rabe-Kleberg und ihr Team vor - und ahnen, dass sie ein frühpädagogisches Minenfeld betreten haben. Die Erziehungswissenschaftler wollen in knapp drei Jahren in vier Bundesländern 40 große Interviews mit Erziehern führen. Die Studie soll nicht repräsentativ sein, sondern ein möglichst breites Spektrum abdecken. Deshalb werden auch Träger, Kita-Leiter und - ganz wichtig - Elternvertreter angesprochen. "Das wird sehr kompliziert, weil da eine professionell-fachliche Ebene nicht möglich ist. Bestimmte Sachgebiete machen Angst", sagt Rabe-Kleberg. Ein Beispiel: Der Umgang von Erziehern und Eltern mit der Entwicklung kindlicher Sexualität ist völlig unerforscht. Wie reagieren Erzieher auf "Doktorspiele"? Was ist normal, was nicht? Neuland ist auch der Umgang mit Kindern aus anderen Kulturkreisen.

"Wir haben in den vergangenen zehn Jahren daran gearbeitet, die Kita zu einem Ort der Bildung zu machen", sagt Ursula Rabe-Kleberg. Nun stehe wieder der Fürsorgeaspekt im Mittelpunkt. "Es muss auch klar diskutiert werden, was man den Erziehern noch alles nebenbei aufbürden kann", sagt sie und spricht von der Kita als "Gemischtwarenladen".

Rabe-Kleberg hofft, nach Ende des "KidS"-Projektes vielleicht eine Art Handreichung für den Kinderschutz vorstellen zu können. Die Fort- und Weiterbildung sei noch wichtiger als Erstausbildung junger Erzieher, ist sie überzeugt.