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Sachsen-Anhalt übernimmt ab kommendem Schuljahr Bewertungsmaßstäbe aus Sachsen / Kritik vom Philologenverband Gleiche Leistung, bessere Note - Ministerium lockert Maßstäbe

Von Winfried Borchert 15.05.2012, 03:27

Magdeburg l Sachsen-Anhalts CDU-SPD-Regierung will die Maßstäbe für Schulnoten lockern. Kultusstaatssekretär Jan Hofmann (SPD) kündigte gestern gegenüber der Volksstimme eine "Liberalisierung" der Bewertungsrichtlinien an. Ohnehin sei die Schulnote "nicht das heilige Mittel zur Bewertung von Leistungen der Schüler". Und: Hausaufgaben sollen künftig "grundsätzlich nicht mehr benotet" werden. Laut Hofmann sei der Erlass "Teil eines Prozesses hin zu kompetenzorientiertem Lernen". Der Staatssekretär widersprach Vorwürfen, die Normen würden aufgeweicht, um die Zahl der Schulabbrecher zu verringern. "Wir stimmen unsere Bewertungen lediglich mit den anderen mitteldeutschen Ländern ab."

Für das nächste Schuljahr setzt ein Erlass des Ministeriums die verbindlichen Leistungsbewertungsrichtlinien für Schüler der Klassenstufen 1 bis 10 neu fest. Danach soll die Note 1 bei schriftlichen Arbeiten künftig bereits erteilt werden, wenn ein Schüler 93 Prozent der Lösungen korrekt aufgeschrieben hat. Bisher werden dafür 95 Prozent der Lösungen verlangt. Zugleich werden die Anforderungen für das Erreichen der Noten 2, 3 und 5 um jeweils sechs Prozentpunkte gelockert (Übersicht). Noch deutlicher, um elf Punkte, soll die Hürde für das Erreichen der Note 4 gesenkt werden.

Jürgen Mannke, Vorsitzender des Philologenverbandes, kritisiert die geplante Änderung als "Frontalangriff auf die Leistungsgesellschaft". Die SPD und das von ihr geführte Ministerium "verfolgen auf Teufel komm raus das Ziel, die hohe Quote der Schulabbrecher zu senken". Die Studier- und Berufsfähigkeit von Sekundarschülern und Abiturienten werde durch einen solchen Schritt aber nicht erhöht.

Staatssekretär Hofmann verteidigt den Plan: "Wir gleichen unsere Hürden denen im Nachbarland Sachsen an. In Thüringen gelten noch weichere Maßstäbe. Es wäre doch ungerecht, wenn Schüler in Sachsen-Anhalt nur deshalb schlechtere Noten bekommen, weil die Anforderungen hier härter sind."

Mannke hielt dagegen, in Sachsen und Thüringen würden von den meisten Lehrern bei Arbeiten ohnehin höhere Anforderungen gestellt. Deshalb seien niedrigere Prozentwerte als in Sachsen-Anhalt für eine bessere Note gerechtfertigt.

Hofmann erläuterte, Schulen sollten künftig viel mehr Wert auf die Vermittlung von Kompetenzen als auf das Abfragen von Lernstoff legen. "Ein Lehrer muss dann nicht nur das Produkt des Lernens bewerten, sondern zugleich den individuellen Lernprozess und die Präsentation des Schülers." In den Sekundarschulen sei dies in den letzten Jahren bereits umgesetzt worden, in den meisten Gymnasien werde das wohl noch Jahre dauern.

Neu auch: Hausaufgaben sollen ab nächstem Schuljahr nur noch in begründeten Ausnahmefällen benotet werden; wenn eine besondere individuelle Leistung des Schülers erkennbar sei, zum Beispiel bei einer umfangreichen Hausarbeit oder einem Vortrag. "Wenn ein Schüler eine Hausaufgabe nicht erledigt hat, kann er in Zukunft jedenfalls keine 6 mehr erhalten", sagte Hofmann.

Unterstützung kam vom sonst eher kritischen Koalitionspartner CDU. Deren Bildungsexperte Hardy Peter Güssau sagte: "Salopp könnte man schon von einer Aufweichung sprechen. Aber es ist gut, wenn es in Deutschland vergleichbare Bewertungsmaßstäbe gibt, auch damit nicht ein Bundesland das andere bei Vergleichsstudien vorführt."

Die Linke begrüßte die Änderung. Bildungspolitikerin Birke Bull sagte aber zugleich: "Gute Bildung hängt nicht von den Noten ab, eher von der Qualität des Unterrichts." Nach wie vor gebe es zu viel Frontalunterricht an den Schulen, zu viel Stoffvermittlung und Abfragen und einen regelrechten "Notenfetischismus" auch unter Eltern. "Dagegen kommt das selbst organisierte Lernen zu kurz. Da treten wir seit Jahren auf der Stelle, weil es zu wenige und ineffektive Fortbildungsprogramme für Lehrer gibt", sagte Bull.

Dagegen sind allgemeine landesweite Noten-Maßstäbe in westdeutschen Bundesländern selten, auch bespielsweise in Bayern nicht. "Der Bewertungsschlüssel kann je nach Schulart oder Fach unterschiedlich gestaltet sein", sagte ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums auf Nachfrage. Die konkrete Gestaltung eines Bewertungsschlüssels liege im pädagogischen Ermessen des Lehrers. Lediglich in der gymnasialen Oberstufe gebe es fachspezifische Schlüssel, zum Beispiel bei den Fremdsprachen. Eine "Eins" werde zum Beispiel ab 85 Prozent der Lösungen erreicht, eine "Zwei" ab 70 Prozent. Seite 5