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Die Medienserie der Volksstimme ( Teil 8 ) : Der Gläserne Mensch Der Datendieb – ein neuer Berufsstand

Von Dana Micke 10.04.2010, 04:49

Beim Surfen im Internet hinterlassen wir Spuren. Bei jedem Klick. Das Internet vergisst nie. Und so landet jeder im Körbchen der Datensammler. Selbst bei Staat und Wirtschaft scheint die Sammelwut ausgebrochen zu sein. Privatsphäre ade.

Magdeburg. Na, heute Morgen schon die Volksstimme aufgeschlagen, die Anzeigen durchgeschaut ? Und folgenden Text gefunden ? " Lieber Jan, heute ist der 10. April 2010. Alles Gute zum Geburtstag ! Du wirst 25. Du erlaubst mir doch, dass ich Du sage ? Du kennst mich nicht, aber ich Dich umso besser ... "

Oh, Schreck. Nun folgt die Auflistung intimster Details aus Jans Privatleben. Seine letzte Urlaubsbekanntschaft. Pikante Bilder von einer aufgetakelten Blondine mit rotem Kussmund. Dann ein abschätziges Urteil des vorletzten Arbeitgebers. Chat-Zitate über sexuelle Vorlieben. Peinliche Bilder von einer Junggesellenparty. Die Privatadresse steht da auch noch. Und die Handynummer. Alles stimmt. Alles drin in der Volksstimme. Für alle Leser. Das kann nicht wahr sein !

Doch. Keine Angst, nicht in der Volksstimme. Aber im französischen Magazin " Le Tigre ", zumindest so ähnlich. Da wurde Marc L. aufs Korn genommen. Dank Google, YouTube, Facebook und Flickr. Ein Psychogramm des mitteilsamen Netz-Bürgers. Jede einzelne Information erscheint nicht besonders brisant, aber das Zusammenfügen und Vernetzen der Daten macht’s.

Dabei könnte der Spuk noch weitergehen. Über Google Earth schaut man sich die Gegend an, wo Herr X lebt. Dann Zoom aufs Haus, daneben steht das Auto. Sogar das Nummernschild ist erkennbar. Au Backe, der TÜV ist abgelaufen. Im Garten bellt der Hund. Zoom, zoom aufs Tier. Nein, sowas ! Ungültige Steuermarke. Bei Amazon im Internet : Oh, der Typ kauft Bücher über Hanfanbau. Und nun zur digitalen Gesundheitskarte. Mal sehen, was für Rezepte da aufgelistet werden. Nein, er kriegt Psychopharmaka.

Ein Horrorszenario. Nur mal angedeutet. Der ganze Wahnsinn ist ja gar nicht mehr überschaubar. Im digitalen Zeitalter erdrückt uns eine Informationsflut. Von allen Seiten. Ständig neu. Wer im Internet surft, muss sich Unternehmen und Staaten, allgemeinen Geschäftsbedingungen und Gesetzen unterordnen. Raue Sitten herrschen. Bürger und Unternehmer müssen aufpassen, dass sie nicht Opfer von Wirtschaftsspionage und Datenklau werden. Und so mahnt Bundeskanzlerin Angela Merkel : " Gehen Sie vorsichtig mit persönlichen Daten im Internet um !" Aha.

Und die Politik ? Der Staat ? Weil der Versuch der früheren Familienministerin von der Leyen, Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen, technisch so unzulänglich war und ihre Nachfolgerin das Thema nicht weiterverfolgt, präsentierte jüngst ein entnervter niedersächsischer Innenminister einen Gegenentwurf. Unterdessen wettert Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner in Berlin gegen Google Street View, ein digitales Fotoarchiv aller Straßen und Häuser in Deutschland, ohne sich mit den gesetzlichen Grundlagen zu befassen, die eben dieses Angebot bis jetzt möglich machen.

Da fühlt man sich doch als Otto Normalverbraucher irgendwie ohnmächtig. Was kann man noch selbst tun ? Nehmen wir das Handy ! Einfach abschalten, dann ist eine Handy-Ortung nämlich nicht mehr drin. Ja, und unsere EC-Karten ? Girokonten sind offene Haushaltsbücher für die Banken. So lassen sich unsere Einkaufsprofile vortrefflich bestimmen. Da ist es doch besser, wie in alten Zeiten bar zu zahlen. Oder ? Aber auch die Kundenkarten geben Einblicke in unsere Konsum- und Kaufgewohnheiten. Und dann kennen Sie doch sicher auch das ewige Abfragen bei Bestellungen – Alter, Geschlecht ? Wieder Datenspeicherung.

Die sind nirgendwo sicher. Können auch geklaut werden. Denken Sie an die Schlagzeilen im Herbst 2008, den Telekom-Skandal ! Nahezu jeder zweite Kunde von T-Mobile war dabei : Ein Datendieb hatte bei der Telekom-Tochter 17 Millionen Handynummern und zugehörige Anschriften gestohlen. Über zwei Jahre hielt die Telekom den Fall geheim, obwohl auch gefährdete Personen betroffen waren. Im Februar musste der Konzern bei der Vorstellung einer internen Studie einräumen, dass es in den vergangenen Jahren neben der Spitzelaffäre 84 weitere bedenkliche Datenverstöße gegeben hat. Vor allem Mitarbeiter und Geschäftspartner seien ausgeforscht worden.

Wieviel Euro ist

unser Rechtsstaat wert ?

Der Datendiebstahl hat inzwischen Konjunktur. Selbst von Staats wegen. Uns droht jetzt ein neuer Berufsstand : der Datendieb. Er findet Abnehmer, die kaum Bedenken zeigen, diese Art von Spionage für sich zu nutzen. Ankauf von Steuersünderdaten – ja oder nein ? Die Volksseele kocht. Wie viel Euro ist unser Rechtsstaat wert ?

Der Coup des Datendiebes – was ist, wenn er Nachahmer findet ? Seit findige Hacker bis in die Eingeweide des Pentagons vorgedrungen sind, ahnen wir, was denkbar sein kann. Es braucht nicht viel Fantasie, sich weitere Geschäftsfelder und Märkte vorzustellen. So vermag ein tüchtiger Privatspion gewisse Staaten gegeneinander auszuspielen, um einen höheren Preis zu erzielen. Er könnte sogar versuchen, was nun wirklich pikant wäre, die gefälschten Staatsbilanzen eines finanzschwachen EU-Landes nach Brüssel zu verschachern – wo dann was eigentlich beschlossen würde ? Genau. Ein Rettungspaket.

Unsere Welt ist so kompliziert wie vielschichtig. Das Europaparlament hat im Februar das Bankdatenabkommen mit den USA gekippt und beim Swift-Abkommen die Notbremse gezogen. Der CIA wird so verwehrt, die Auslandskontenbewegungen von mehr als 8000 Geldinstituten in über 200 Ländern mitzulesen.

Und in der Bundesrepublik ist inzwischen die größte Verfassungsbeschwerde erfolgreich gewesen. Das Verfassungsgericht entschied, dass das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in seiner jetzigen Form gegen das Grundgesetz verstoße. Die Bundesregierung muss nachbessern. Die bislang gespeicherten Daten müssen gelöscht werden.

Je öfter die Parteien stümperhaft und bar technischer Kenntnisse Gesetze auf den Weg bringen, deren Folgen auf freie und unbefangene Kommunikation sie nicht abschätzen können oder wollen, desto mehr laufen sie Gefahr, die wachsende Generation netzaffiner Menschen zu verprellen, die sich ihnen ohnehin zunehmend abwendet. Die Piratenpartei hat ihren Aufstieg auch dieser Inkompetenz der Etablierten zu verdanken.

Apropos Internet. Wer bin ich, was weiß das Netz über mich ? Wenn man nicht gerade einen Allerweltsnamen wie " Heinz Meier " oder " Sabine Müller " hat, dann muss man sich nicht mehr die Mühe machen und im Web alle Informationen zusammensuchen. Das erledigen Metasuchmaschinen wie " yasni. de " und " 123 people. de " einfacher und schneller.

Übrigens : Ein erster Schritt in die Anonymität ist die Einrichtung einer Wegwerf-Mailadresse, so für die Anmeldung zu Foren. Also den richtigen Namen nicht nennen. Und : Mittlerweile gibt es professionelle Anbieter, die versuchen, Spuren im Netz ins rechte Licht zu rücken. Im besten Fall sogar zu verwischen. Zum Beispiel mit Hilfe von " myON-ID " und " Reputation Defender ".