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Große Mengen Flusswasser sind in den Erdboden verpresst / Bürger schreiben Brief an Merkel und bitten um Hilfe Warnung: Eine neue Flut rollt unterirdisch an

Von Ulrich Meinhard 24.06.2013, 03:33

Schönebeck. Die Menschen in Schönbeck, Barby und Gnadau werden es nicht gerne hören wollen: Der Region droht schon die nächste Flut. Die hat mit der jüngsten zu tun und rollt unterirdisch an. Langsam aber stetig. Durch das Hochwasser in Elbe und Saale sind große Mengen Flusswasser in den Untergrund gedrückt worden. Die kommen irgendwann zu Tage, wahrscheinlich im Herbst oder Winter.

Die Flut ist nicht vorbei. Denn dem Hochwasser von Elbe und Saale folgt ein verheerender Grundwasseranstieg. Mit dieser deutlichen Warnung haben sich jetzt Bürger aus Schönebeck, Barby und Gnadau in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU) und Salzland-Landrat Ulrich Gerstner (SPD) gewandt. Die Rede ist in den Briefzeilen von einer "nächsten akut drohenden Katastrophe". Die Unterzeichner, darunter die beiden Stadträte Annemarie Stange und Werner Grundmann (beide SPD-Fraktion), verweisen darauf, dass eine enge Wechselbeziehung zwischen Hoch- und Grundwasser bestehe.

Nicht nur Keller, sondern ganze Stadtflächen können volllaufen

Die Fluten in den Flüssen seien großteils abgeflossen, jedoch sei eine enorme Wassermenge aus den Hochwasser führenden Flüssen in den Untergrund gepresst worden. Wörtlich heißt es: "Dort, wo geologisch bedingt überwiegend kiesig-sandige Böden oder Schichten mit einer sehr hohen Wasserdurchlässigkeit verbreitet sind, kann jeder Quadratmeter Fläche innerhalb von etwa zehn Tagen von diesen Flutmengen einen Kubikmeter Wasser zusätzlich in den Grundwasserleiter abgeben."

Die Folgen liegen auf der Hand: Aus dem mit Grundwasser voll gesättigten Boden können große Mengen Wasser an die Oberfläche drücken und selbst zu großflächigen Überschwemmungen auf Feldern und Stadtflächen führen. In der Region Schönebeck-Barby-Calbe würden nicht nur Keller volllaufen, sondern auch Wohn- und Arbeitsbereiche überflutet werden. Das gelte auch für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Feuerwehrdepots und andere Einrichtungen.

Was hier vorhergesagt wird, ist andernorts bereits eingetreten, nämlich in Calbe und besonders in Barby, wo bereits ganze Straßenzüge durch Grundwasser überschwemmt waren oder noch sind. Ein natürlicher Ablauf des Grundwassers dauere unter Umständen Jahre, denn: "Dessen Fließgeschwindigkeit beträgt durchschnittlich lediglich fünf Meter pro Tag", wird in dem offenen Brief angegeben, der der Volksstimme vorliegt.

An die Empfänger wird appelliert: "Wir möchten Sie herzlich bitten, unverzüglich Sofortmaßnahmen zur Schadensabwehr im öffentlichen Interesse einzuleiten, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken." Konkret bedeute dies: "Für unsere Region ist es erforderlich, ein ständiges Abpumpen aller vorhandenen Entwässerungsgräben, Baggerseen, Teiche und so weiter sowie eine Einleitung in Elbe und Saale zur großräumigen Grundwasserabsenkung vorzunehmen."

Sofort und zwar ohne jegliches weitere Zaudern müssten der geplante Abfanggraben entlang der B 246a inklusive zweier Wehre und eines Schöpfwerkes sowie eines weiteren Schöpfwerkes am Solgraben bei Frohse realisiert werden.

Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören auch der Vorsitzende des Verbundes der Bürgerinitiativen der Stadt Schönebeck, Karsten Doll, sowie der Diplom-Geologe Dr. Manfred Sichting.

"Die Leute müssen wissen, es wird ernst" - Dr. Manfred Sichting

Auf Bitte der Volksstimme taucht Sichting fachlich noch tiefer in die Materie ein. "Die Leute müssen wissen, es wird ernst", sagt er am Anfang des Gespräches. Dann rechnet er vor: Bei einem Pegelstand von 7,50 Meter in der Elbe - abzüglich des Normalwasserstandes von zwei Metern - drückt ein Gewicht von 5,5 Tonnen, also 5,50 Meter über normal, auf jeden Quadratmeter grundwasserführender Schichten. Man müsse sich das so vorstellen, als ob ein Keil in den Untergrund getrieben wird. Ein Keil aus Wasser. Sichting gebraucht auch das Wort Grundwasserberg - ein unterirdisches Ungetüm.

Kiesige Sande hätten einen Porenraum von 20 Prozent, sagt er, das heißt im Klartext: Das Erdreich kann je Kubikmeter maximal 20 Prozent des hereingefluteten Wassers aufnehmen, der Rest, stolze 80 Prozent, erhöht den Grundwasserstand und drückt gegebenfalls früher oder später an die Erdoberfläche.

Der für die Stadt Schönebeck ohnehin geplante Abfanggraben würde mit einer Leistung von 0,6 Kubikmeter pro Sekunde abgeführten Wassers einen erheblichen Beitrag zur Entspannung der Situation beitragen. Das wären hochgerechnet pro Jahr bis zu 15 bis 16 Millionen Kubikmeter Wasser: Wasser, das über die Gräben von Calbe (Saalewasser) und Großmühlingen (Oberflächenwasser) auf das südliche Schönebeck und Gnadau zufließt. So könnte dieses in die Elbe abgeleitet werden, ohne jemals Schönbecker Wohngebiet zu erreichen.

Schönebeck ist wie ein Flaschenhals - alle ungünstigen Effekte überlagern sich

Überhaupt sei die Pflege des Grabensystems in und um Schönebeck ein bedeutender Teil der Lösung. Ein Abpumpen am Solgraben in Frohse (auch prophylaktisch) würde nicht nur das Gewerbegebiet Stremsgraben entlasten, sondern das Grabensystem über Schönebeck hinaus. "Wir brauchen vorerst keine Triefendrainage oder Zwangsanschlüsse an die Regenwasserkanalisation, aber wir brauchen ein funktionierendes Grabensystem und den neuen Abfanggraben. Jetzt", betont der Experte. Er ergänzt zusammenfassend: "Schönebeck ist hinsichtlich der Wassereinzugsgebiete für Grund- und Oberflächenwasser der Flaschenhals. Hier überlagern sich alle ungünstigen Effekte aus Grabenwasser, Drängwasser der Elbe, Grundwasser aus der Saale und niederschlagsgespeisten Grundwasserstrom aus der Börde und Baumaßnahmen zu höchsten Grundwasserständen. Da geht kein schneller Sandsackverbau, da hilft nur rechtzeitige Vorsorge."

Sichting verweist im Gespräch auf Untersuchungen im Auftrag der Bundesanstalt für Gewässerkunde, erstellt durch die Firma Geomer GmbH im Jahr 2006. Sie würden unter anderem detailliert darlegen, mit welchem Szenario bei Hochwassersituationen hier zu rechnen ist. Eine Planung, die informiert, wie hoch Überflutungen bei bestimmten Pegelständen möglich sind. Kartenmäßig sind hier die gefährdeten Bereiche für das Stadtgebiet gemäß des Hochwasser 2002 exakt ausgewiesen.

Diese Ausarbeitungen seien allen Kommunen entlang des Elbeverlaufs angeboten worden. Und hat Schönebeck zugegriffen? "Das weiß ich nicht", sagt Sichting. Die Verwaltung hätte demnach vorbereitet sein können selbst auf diese jüngste - und seit Januar 1920 mit diesem Durchfluss an Wassermassen nicht dagewesene - Flut? "Vermutlich ja."

Um die Bürger zu informieren, plant der Verbund der Bürgerinitiativen im Juli eine Veranstaltung. "Wer sich uns anschließen, wer bei uns mitarbeiten will, ist selbstverständlich herzlich willkommen", sagt Karsten Doll. Er fügt hinzu: "Das Problem betrifft neben Schönebeck auch Barby, Gnadau, Calbe und weitere Gemeinden. Es ist nur in der gesamten Region und nicht für einzelne Orte zu lösen."

Weitere Unterzeichner des Briefes sind: Christian Bartels (Gnadau), Diplom-Geologe Holger Miethe (Barby), Heike Lorenz (Schönebeck), Christian Schönfeld (Schönebeck), Sieglinde Breuer (Schönebeck), Hartmut Doll (Schönebeck).