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Medizinischer Sonntag zu Allergien Manchmal braucht auch das Immunsystem Nachhilfe

Von Uwe Seidenfaden 29.03.2010, 06:52

So mancher Mensch reagiert überempfindlich auf seine Umwelt. Oftmals, aber nicht immer, steckt eine Allergie dahinter. Genauere Auskünfte erteilten gestern zwei Fachärzte des Magdeburger Universitätsklinikums auf dem Medizinischen Sonntag – einer Gemeinschaftsveranstaltung des Uniklinikums, der Magdebuger Urania und der Volksstimme.

Magdeburg ( rgm ). Nachdem Schnee und Eis endlich dahingeschmolzen sind, bringen Bäume und Blumen langsam wieder mehr Farbe in die Welt. Schon seit Ewigkeiten hat das Frühlingserwachen Menschen erfreut. Das ändert sich neuerdings. Die Zahl der Menschen, die mit tränenden Augen und laufenden Nasen auf die Veränderungen in der Natur reagieren, nimmt zu. Überempfindlichkeitsreaktionen gibt es nicht nur an den Nasenschleimhäuten und Augen, sondern auch auf der Haut, in den Gefäßen und sogar im Darm. Allzu leichtfertig wird dann in der Öffentlichkeit von einer Allergie gesprochen.

Diesen Begriff hat vor über 100 Jahren der Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet geprägt. Damals fasste man noch Überempfindlichkeit und Immunität zusammen. Angesichts neuer medizinischer Forschungsergebnisse hat sich das inzwischen verändert. " Wir verstehen heute unter einer Allergie eine spezifische Änderung der Immunitätslage im Sinne einer krankmachenden Überempfindlichkeitsreaktion ", so Professor Harald Gollnick, Direktor der Universitätshautklinik in Magdeburg. Das hat Konsequenzen für die Behandlungsmöglichkeiten einer Vielzahl von Erkrankungen.

Zu den Allergien zählen u. a. der Heuschnupfen, die Insektengiftallergie, das allergische Asthma bronchiale, die Neurodermitis oder Kontaktallergien ( z. B. auf Nickel oder Chrom ). Sie sind Folge einer unheilvollen Wechselwirkung körpereigener Eiweißstoffe, den sogenannten Immunglobulinen vom Typ E ( IgE-Antikörper ), mit bestimmten Zellen des Immunsystems, den sogenannten Mastzellen. Beim Kontakt mit einem Allergen entstehen besonders viele IgE-Antikörper, die Mastzellen letzlich dazu bringen, Histamin in großen Mengen auszuschütten. Das Histamin löst dann Symptome wie Hautekzeme, Jucken, Atemprobleme, tränende Augen, triefende Nasen usw. aus.

Diesen Symptomen kann man mit einer Hyposensibilisierung entgegenwirken. Der Patient erhält über mehrere Jahre hinweg Impfungen, die das Abwehrsystem darauf programmieren, die Allergene zu ignorieren. Die Hyposensibilisierung ist eine Art Nachhilfeunterricht für das körpereigene Abwehrsystem. " Prinzipiell wirkt das sehr gut bei Insektengift-Allergien ", so Dr. Robert Vetter, Oberarzt an der Magdeburger Unihautklinik. " Über 90 Prozent der Insektengift-Allergiker sprechen auf die Hyposensibilisierung an. " Gut wirkt die Hyposensibilisierung auch bei Pollen-Allergikern. Weniger gut hilft sie bei Tierhaar-Allergien.

Alternativ zur Hyposensibilisierung mit der Spritze gibt es neuerdings auch Tabletten. Sie müssen allerdings täglich " gelutscht " werden und führen oftmals zu Nebenwirkungen im Mundraum. Außerdem sei die Wirksamkeit der sogenannten sublingualen Immuntherapie bei einem allergischen Asthma noch nicht belegt, schränkt Dr. Vetter ein.

All jenen Menschen, denen eine Hyposensibilisierung nicht oder bestenfalls begrenzt hilft, bleibt die Vermeidung der Allergene und die symptomatische Therapie, z. B. mit abschwellenden Nasentropfen, Anti-Histaminika und Kortison-Präparaten. Wirkt auch das nicht, gibt es neuerdings eine Therapie mit Anti-IgE-Antikörpern. Allerdings ist diese neue Therapie nicht für jeden Patienten geeignet. Manche Überempfindlichkeitsreaktionen ist nämlich keine Allergie im aktuellen medizinischen Sinn. Zu den pseudoallergischen Krankheitsbildern zählen u. a. Reaktionen auf Betäubungs- oder Röntgen-Kontrastmittel.

Erschwert wird die Allergie-Diagnostik dadurch, dass manchmal allergische Reaktionen erst viele Stunden nach dem Kontakt mit einem Umweltstoff auftreten – selbst dann, wenn keine IgE-Antikörper nachzuweisen sind.

" Um im Einzelfall die richtige Therapie zu finden, ist ein ausführliches Gespräch des Arztes mit dem Patienten wichtig ", bekräftigte Professsor Gollnick. Das Interview kann wertvolle Hinweise darauf liefern, was die Ursache einer Überempfindlichkeitsreaktion ist und wie diese künftig vermieden werden kann. Leider wird das medizinische Gespräch im deutschen Gesundheitssystem nicht genügend anerkannt, kritisiert der Magdeburger Hautarzt. Dadurch muss die Gesellschaft für eigentlich vermeidbare Krankschreibungen zusätzliche Kosten schultern – von den unnötigen Leiden der Betroffenen ganz zu schweigen.

Mit zahlreichen Beispielen bereicherte Oberarzt Dr. Vetter seinen Vortrag über die allergologische Diagnostik und die Therapiemöglichkeiten

Wer keine Gelegenheit hatte, beim Medizinischen Sonntag dabei zu sein, oder wer die Vorträge der Referenten noch einmal ansehen möchte, der hat in den nächsten Wochen noch die Möglichkeit, sich die Referate im Internet genauer anzuschauen.

www. med. uni-magdeburg.

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