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Gerhard Schröder Die Polizeiakte des Kanzler-Vaters

Als Bundeskanzler sieht Gerhard Schröder zum ersten Mal ein Foto seines Vaters. Jetzt tauchen neue Details auf.

Von Hagen Eichler 30.09.2015, 01:01

Magdeburg l Seit Jahrzehnten schlummern diese Fotos der Magdeburger Kriminalpolizei im Archiv. Sie zeigen einen Einbrecher mit kantigem Kinn und markanter Nase, die Personenbeschreibung ergänzt die Augenfarbe: blau. All das kommt einem seltsam bekannt vor. Kein Wunder: Es sind die Züge von Altkanzler Gerhard Schröder. Der Mann auf den Polizeifotos ist sein Vater Fritz.

Ausgegraben hat die alten Bilder der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen. In seiner neuen Biographie des Altkanzlers beleuchtet Schöllgen am Rande auch Schröders Vorfahren. Und nicht nur einmal führen wichtige Spuren nach Sachsen-Anhalt.

Die Verhaftung des Gelegenheitsarbeiters Fritz Schröder im Herbst 1938 zählt zweifellos zu den Tiefpunkten der Familiengeschichte. Am 8. Oktober 1938 bricht der in der Magdeburger Obdachlosenunterkunft Trommelsberg gemeldete junge Mann gemeinsam mit einem Kumpan in die Bodenkammer eines Fleischermeisters ein und stiehlt „mehrere Bekleidungsstücke“. Es ist kein großer Coup, die Tat geschieht wahrscheinlich aus Not. Die Justiz reagiert dennoch hart: Am 20. März 1939 wird Schröder zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Nur die Magdeburger Polizei- und Justizakten ermöglichen überhaupt einen kleinen Einblick in das Leben des Kanzler-Vaters. Auf dem rechten Unterarm trägt dieser als Tätowierung eine „Frauenbüste mit Blumenzweig“, als Beruf gibt er Landarbeiter an. Seine spätere Frau berichtete dem Biographen von Gelegenheitsarbeiten als Kutscher oder Knecht, aber auch als Hilfskraft auf dem Rummelplatz.

Von all dem ahnt Gerhard Schröder bis ins Alter nichts. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. 1940 wurde Fritz Schröder zur Wehrmacht eingezogen, am 4. Oktober 1944 fiel er in Rumänien.

Dessen fataler Magdeburger Einbruch ist indes nicht der einzige Bezug zum heutigen Land Sachsen-Anhalt. Auch Schröders Mutter Erika Lauterbach ist mit der Region verbunden: Geboren wurde sie 1913 in Burgstall in der Colbitz-Letzlinger Heide. Als uneheliches Kind wächst sie auf, mit 14 Jahren wird sie als Haushaltshilfe auf einem Gut verdingt. In Schöllgens Buch ist von „Gut Urslehn“ die Rede – gemeint sein dürfte Uhrsleben.

Als Magd auf einem Bauernhof lernt sie 1936 Fritz Schröder kennen. 1939 bringt sie in Magdeburg die uneheliche Tochter Gunhild zur Welt – die große Schwester des späteren Bundeskanzlers. Im gleichen Jahr zieht sie mit dem Baby ins Lipperland, wo später auch Gerhard Schröder geboren wird und aufwächst.

Entscheidend für dessen politische Karriere war Niedersachsen, wo er es drei Mal zum Ministerpräsidenten brachte. Das hinderte ihn nicht, 2002 im TV-Duell mit Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber halbernst auch die bayerische Staatsangehörigkeit einzufordern – erworben durch die Heirat mit seiner aus dem Freistaat stammenden Ehefrau. Die Zugehörigkeit zu Sachsen-Anhalt könnte Schröder allerdings mit deutlich mehr Recht betonen, denn nicht nur seine Mutter stammt von dort, sondern auch die ältesten bekannten Vorfahren der Familie Schröder.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Geschichtsprofessor Schöllgen die Ahnen zurückverfolgt. Gelandet ist er in Naumburg (Burgenlandkreis). Dort lebte August Schröder, Ur-Urgroßvater des Kanzlers, als angestellter Winzer im Weinberg des Bankiers August Ramdohr. Der Naumburger Heimatforscher Eberhard Kaufmann hat die mitteldeutsche Ahnenreihe des damaligen Kanzlers bereits 2002 beschrieben.

Dass ein ferner Nachfahre des Unstrut-Winzers einmal Deutschland regieren würde, konnte keiner ahnen. Einen prominenten Arbeitsplatz hatte allerdings schon August Schröder: Die Reben, die er pflegte, wuchsen auf dem Präsidentenberg.