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Behinderte Menschen Einheitliches Blindengeld vom Tisch

556 Euro Blindengeld in Bayern, 320 Euro in Sachsen-Anhalt, 270 Euro in Thüringen - die Unterschiede bleiben auch mit dem neuen Gesetz.

26.10.2015, 23:01

Magdeburg l Das Bundesteilhabegesetz gilt als das wichtigste Sozialgesetz dieser Legislaturperiode. 2016 will es der Bundestag verabschieden, rund 180 000 schwerbehinderte Menschen in Sachsen-Anhalt wären davon betroffen. In Wolmirstedt haben am Montag Experten aus Politik und Verbänden über einige Eckpunkte diskutiert:

Mehr Selbstbestimmung: Menschen mit Behinderung sollen ihr Leben genauso führen können wie Menschen ohne Behinderung. Es soll künftig für sie einfacher werden, eine reguläre Arbeitsstelle anzunehmen oder in eine eigene Wohnung zu ziehen. „Sie sollen Teil der Gesellschaft sein und nicht ausgegrenzt werden“, sagte die Wolmirstedter Bundestagsabgeordnete Waltraud Wolff (SPD), die das Bundesteilhabegesetz mit erarbeitet. „Klar ist: Das wird nicht haushaltsneutral gehen, wie das Finanzminister Wolfgang Schäuble will.“ Als Finanzrahmen ist derzeit rund eine Milliarde Euro im Gespräch.

Arbeitsmarkt: Wer behindert ist, hat es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sind zwar verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Doch immer noch zahlen viele Arbeitgeber lieber eine Ausgleichsabgabe, als Menschen mit Behinderungen einzustellen. „Die muss so hoch sein, dass es richtig weh tut – bis sie mehr einstellen“, sagte Wolff.

Die meisten Menschen mit Behinderung landen derzeit entweder in einem Berufsbildungswerk, einer Behindertenwerkstatt oder einer Tagesförderstätte. „Dort bleiben sie dann. Es gibt keine Durchlässigkeit“, kritisierte Horst Frehe vom Forum behinderter Juristen. „Das Ziel muss ein regulärer Arbeitsvertrag mit Mindestlohn sein.“ Es wird diskutiert, ob im neuen Gesetz ein „Budget für Arbeit mit Minderleistungsausgleich und Job-Coaching“ verankert werden soll – um solche Arbeitsverhältnisse für Arbeitgeber und Menschen mit Behinderung attraktiver zu machen.

Vermögensgrenzen: Wer in Deutschland Eingliederungshilfe (Sozialleistung, die Folgen der Behinderung mildern soll) erhält, darf maximal 2600 Euro ansparen. Alle Einkünfte darüber werden angerechnet. Das soll sich ändern – Menschen mit Behinderung sollen etwas ansparen dürfen, um sich so beispielsweise ein Auto finanzieren zu können. Der Allgemeine Behindertenverband fordert, dass die Grenze komplett wegfällt. „Wenn wir das nicht bekommen, muss der Freibetrag deutlich steigen“, sagte Jürgen Hildebrand, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Sachsen-Anhalt. Wolff hält eine Anhebung auf rund 5000 Euro für realistisch.

Nachteilsausgleich: Blinde Menschen sind im Alltag besonders benachteiligt. Die Bundesländer gewähren ihnen deshalb eine Blindenhilfe – daneben gibt es viele weitere Fachleistungen, die die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern.

In Sachsen-Anhalt wurde das Blindengeld zuletzt auf 320 Euro monatlich gekürzt, in Nordrhein-Westfalen gibt es doppelt so viel. Diese Unterschiede sollten mit dem Bundesteilhabegesetz ein Ende haben. „Wir brauchen bundeseinheitliche Sätze, diese Ungleichbehandlung muss aufhören“, hatte Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele in einem Volksstimme-Interview Anfang des Jahres gefordert.

Wie Waltraud Wolff der Volksstimme am Montag sagte, ist das in Berlin jedoch vom Tisch. Mit dem Gesetz sollen zwar erstmals einheitliche Standards, die in die Berechnung einfließen, festgelegt werden. „Aber der Bund wird das leider nicht übernehmen“, so Wolff. Die Folge: Die Höhe des Blindengeldes wird in den Ländern weiter variieren. „Das ist sehr enttäuschend und ärgerlich“, sagte Horst Frehe.

Das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt bewertet das ähnlich. „Wir hoffen sehr, dass da das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“, erklärte Sprecher Holger Paech auf Anfrage. „Der Bund sollte endlich einen Schlussstrich unter den Flickenteppich ziehen.“ Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) hatte bereits vor zwei Jahren gesagt: „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Regelung. Ich halte es für nicht begründbar, dass ein Blinder, der in Bayern lebt, mehr Blindengeld bekommt als derjenige in Sachsen-Anhalt.“