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Ausspäh-Affäre Der Putsch der Lokalfürsten

Polit-Thriller in der Verbandsgemeinde Saale-Wipper (Salzlandkreis): Politiker werfen sich gegenseitig vor, Daten ausgespäht zu haben.

09.03.2016, 23:01

Güsten l Der Frust sitzt tief. Immer noch. Seit sechs Jahren gibt es die Verbandsgemeinde Saale-Wipper nun schon. Doch in den kleinen Mitgliedsorten Alsleben, Güsten, Ilberstedt, Giersleben und Plötzkau wäre man gern immer noch selbständig. Viele der Kommunalpolitiker fühlen sich entmachtet, zwangseingemeindet. Auch Helmut Zander (SPD) und Peter Rietsch (Freie Wähler) haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die neue Struktur ablehnen. Warum auch? In ihren Heimatorten sind Zander (Güsten) und Rietsch (Giersleben) anerkannte Bürgermeister. Doch so viel Macht und Einfluss, wie die Lokalfürsten gern hätten, haben sie nicht mehr. Sie sind nun Teil eines großen Ganzen.

Mit dem übergeordneten Verbandsgemeindebürgermeister Steffen Globig (SPD) sind sie nie richtig warm geworden. In dessen Büro wollte Helmut Zander gern selbst Platz nehmen – doch die Wahl hat er Ende 2009 verloren. Drei Jahre später startet er mit Peter Rietsch ein Manöver, um Globig loszuwerden.

Es ist ein kühler Montagabend im August 2012. Im Verbandsgemeinderat erheben Rietsch und Zander schwere Vorwürfe gegen den krankheitsbedingt fehlenden Verwaltungschef Globig: Dieser soll Benno Rietsch, den Bruder von Peter Rietsch, ausgespäht haben. Benno Rietsch ist damals noch Bürgermeister von Giersleben. Peter Rietsch behauptet, dass die Verwaltung Daten des privaten Telefonanschlusses seines Bruders sammle. Er fordert, dass alle E-Mail-Konten der Verwaltung zu sichern sind, um die Sache aufzuklären. Der Gemeinderat glaubt ihm und fasst einen Beschluss.

Draußen ist alles vorbereitet: Computerfirma und Rechtsanwalt warten schon vor dem Rathaus. Noch in derselben Nacht kopieren sie die Daten auf eine externe Festplatte und nehmen sie mit – ohne Durchsuchungsbeschluss von Polizei oder Staatsanwaltschaft. In den Daten enthalten sind Führungszeugnisse, Bürgeranfragen, Personalentscheidungen, Abmahnungen. Globig erteilen den Räten Hausverbot. Das Schloss zu seinem Büro wird ausgetauscht.

Am nächsten Tag tritt Benno Rietsch als Bürgermeister von Giersleben zurück. Sein Bruder Peter, der ihm später im Amt folgt, verliest die Rücktrittserklärung. Globig führe eine „schwarze Akte über unbequeme Bürgermeister“, behauptet er. Diese sei „schwerer als Stasi-Akten“. Er wirft Globig fachliche Ignoranz und Selbstdarstellung vor, die Verwaltung arbeite offene Anträge nicht ab, erklärt er.

Verbandsgemeindebürgermeister Steffen Globig weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Er weist die Vorwürfe vehement zurück. „Ich schwöre, dass ich nie ein Telefon abgehört habe“, sagt er und erreicht am Oberverwaltungsgericht, dass sein Hausverbot aufgehoben wird.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach Anzeige gegen Globig, stellt das Verfahren jedoch später ein. Es stellt sich heraus, dass die Verwaltung die Abrechnung für Benno Rietschs Diensthandy umstellen wollte. Dabei kommt es zu einer Verwechslung: Der Mobilfunkanbieter machte versehentlich Angaben zum Privathandy Rietschs – und entschuldigte sich noch vor der Gemeinderatssitzung, in der Peter Rietsch und Helmut Zander die Ausspäh-Vorwürfe erhoben, für den Fehler. Die Telefon-Affäre war nur ein Konstrukt. Steffen Globig erstattet Anzeige gegen Peter Rietsch, Helmut Zander und den Vorsitzenden des Verbandsgemeinderates, Harald Lütkemeier – wegen Verleumdung und Ausspähung von Daten der Verwaltung. Im Herbst 2012 sind die Fronten in der Verbandsgemeinde verhärtet. Zander und Rietsch versuchen, Disziplinarverfahren und Abwahlverfahren gegen Globig anzustrengen.

Die Kommunalaufsicht des Salzlandkreises handelt zurückhaltend und „beanstandet rechtswidrige Beschlüsse“ mehrfach. Einen Grund, disziplinarrechtlich gegen Zander und Rietsch vorzugehen, sieht die Aufsichtsbehörde nicht – obwohl sich schon zu dieser Zeit der Datenschutzbeauftragte des Landes einschaltet und die Behörde warnt, dass die Einsicht der Gemeinderäte ein „gravierender datenschutzrechtlicher Verstoß“ wäre. Aktuell befragt, widerspricht sich die Kommunalaufsicht. Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen seien in Bernburg nicht bekannt, heißt es in einer Mitteilung. „Demzufolge ist hier auch nicht bekannt, auf welchen Wege die Bürgermeister Zander und Rietsch an die Daten gekommen sind.“ Dass sie es sind, scheint also unbestritten. Nur kann oder will man sich nicht mit den Verursachern auseinandersetzen. Denn weil die Justiz ermittele, sind aktuell „Ausführungen zu disziplinarrechtlichen Zuständigkeiten und disziplinarrechtlichen Möglichkeiten nicht angezeigt“.

Dass etwas falsch läuft, weiß die Kommunalaufsicht. Nicht umsonst bestellt der Landkreis im Oktober 2013 den Verwaltungsexperten Ingo Kleinwächter. Er soll sich für Steffen Globig zum einen um die Belange in Giersleben kümmern. Und er soll zum anderen alles aufarbeiten: die Rechtsberatung des Verbandsgemeinderates durch Anwaltskanzleien, die durchgeführte Datensicherung und die dazu gefassten Beschlüsse.

Doch für geordnete Verhältnisse sorgt das nicht. Einige Wochen später kommt es zum nächsten Eklat: Helmut Zander verteilt – so das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen – 173 Seiten aus den „gesicherten“ Dateien an mehrere Mitglieder des Verbandsgemeinderates. Peter Rietsch sorgte zuvor für die Vervielfältigung. In einem der Volksstimme vorliegenden Schreiben von Rietsch und Zander an die Ratsmitglieder heißt es: „Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die ‚Kurzsichtung‘ zur Kenntnis“ an den Gemeinderat zu geben.

Im Mai 2014 ordnet die Staatsanwaltschaft die Sicherung des Materials an: In mehreren Orten der Verbandsgemeinde werden Büro- und Privaträume durchsucht. Reaktion der Kommunalaufsicht gegen Zander und Rietsch: Wieder Fehlanzeige.

Im April 2015 steht die Anklage. Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Zander und Rietsch hatten die Absicht, den Verbandsgemeindebürgermeister durch die Veröffentlichung des ausgespähten dienstlichen und privaten E-Mail-Verkehrs beruflich zu schädigen.

Doch unerklärlich ist, was dann folgt: Es kommt zu keiner öffentlichen Hauptverhandlung. Das Verfahren wird im Juli 2015 gegen die Zahlung eines Geldbetrages eingestellt. Zander, Rietsch und der damalige Verbandsgemeinderatsvorsitzende Lütkemeier sind mit je 1000 Euro an die Staatskasse aus dem Schneider. Die Staatsanwaltschaft stimmt der Einstellung zu.

Warum, wenn sie doch von der Schuld der Angeklagten überzeugt ist? Auf Nachfrage der Volksstimme weicht die Behörde aus. Weil die Akte zu dem Verfahren derzeit beim Zivilgericht liege, könne man „keine detaillierten Auskünfte“ erteilen, so Presse-Staatsanwalt Frank Baumgarten.

Steffen Globig, der seinen Ruf durch die Ausspäh-Affäre massiv geschädigt sieht, ist fassungslos: Erst werden die Daten gestohlen und veröffentlicht – doch strafrechtlich werden die Täter nicht belangt, auch die Kommunalaufsicht schaut zu. Mehrfach wendet sich der Verbandsgemeindebürgermeister an das Haus von Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) und bittet um Hilfe – doch auch das Innenministerium greift nicht ein.

Globig geht nun deshalb zivilrechtlich gegen Zander und Rietsch vor. „Ich will einen Teil meines Schadens beglichen wissen“, sagt er. Am Donnerstag beginnt der Prozess am Landgericht Magdeburg. Globig fordert Schadenersatz in Höhe von knapp 7000 Euro und Schmerzensgeld von mindestens 8000 Euro wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Ehre.

Doch auch wenn er auf diesem Wege Erfolg haben sollte – die Konflikte in der Gemeinde wird der Prozess nicht auflösen. Noch immer ist unklar, wer die Kosten für die Datensicherung durch die IT-Firma und die Anwälte bezahlt. Insgesamt stehen 20 000 Euro zu Buche. An dieser Stelle pocht die Kommunalaufsicht darauf, dass die Verbandsgemeinde das trägt. Globig fühlt sich wie im falschen Film. „Ich bezahle doch nicht auch noch das Fluchtauto für die Diebe!“, sagt er.

Peter Rietsch und Helmut Zander wollen sich gegenüber der Volksstimme vor dem Zivilprozess nicht zu den Sachverhalten äußern. In einem früheren Gespräch hatte Peter Rietsch mit Blick auf die Zahlung der 1000 Euro gesagt, dies sei „kein Schuldeingeständnis“. Die Justiz habe erkannt, dass die Vorwürfe haltlos seien.

Das sieht der Verwaltungsrechtsexperte Ulrich Koehler anders. Die Bürgermeister hätten sich alles andere als korrekt verhalten, sagt er. „Der Verbandsgemeinderat muss sich an das Disziplinargesetz halten – das hat er hier nicht getan. Die Datensicherung ist eher nach Wildwest-Methoden abgelaufen“, so Koehler. Mit der Einstellung gegen eine Geldzahlung sei auch öffentlich dokumentiert, dass das Vorgehen nicht korrekt war.

Der Landtagsabgeordnete Gerald Grünert (Die Linke) bewertet das ähnlich. „Die Beschaffung der Daten geschah rechtswidrig – Herr Zander und Herr Rietsch haben gegen die Kommunalverfassung und gegen das Datenschutzgesetz verstoßen“, sagt er. „Wieso die Kommunalaufsicht das nicht disziplinarrechtlich geahndet hat, ist völlig unverständlich.“

Grünert hat sich im Petitionsausschuss des Landtages mehrfach mit der Verbandsgemeinde auseinandergesetzt. Sein Fazit: „Diese Gemeinde ist ein Tollhaus.“ Es sei „fadenscheinig“, dass die Staatsanwaltschaft der Einstellung des Verfahrens zugestimmt habe, sagt Grünert. „Wenn es an der Eröffnung eines solchen Verfahrens kein öffentliches Interesse gibt – an welchem denn dann?“

Inzwischen wächst auch in der Verbandsgemeinde die Betroffenheit über die Ausspäh-Affäre. Lothar Jänsch, Bürgermeister von Ilberstedt, sagt: „Aus heutiger Sicht ist damals viel schiefgelaufen.“ Bei der Datensicherung habe man den Anwälten vertraut. „Wir sind vom Ausspähen der Handydaten ausgegangen und haben das so geglaubt.“ Der Unmut über Globig sei groß gewesen. „Wir haben uns bei Entscheidungen der Verwaltung nicht mitgenommen und oft übergangen gefühlt – das war kein An-einem-Strang-Ziehen, sondern ein Tauziehen. Jeder wollte der Stärkste sein.“

Mit dem Wissen von heute hätte Jänsch die „Datensicherung“ nicht befürwortet, sagt er betroffen. „Ich bedauere, dass die Geschichte immer noch die Sacharbeit in der Verbandsgemeinde überschattet.“

Ende des Jahres wird ein neuer Verbandsgemeindebürgermeister gewählt. Eigentlich sei es egal, ob Globig sein Amt verteidigen könne oder nicht, heißt es im Rat bereits hinter vorgehaltener Hand. Der Bürgermeister werde es schwer haben, weil insgesamt eine gemeinsame Basis fehle. Einer sagt: „Das ist eine festgefahrene Sache.“