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AfD Poggenburgs Polit-Einsteiger

Nach ihrem überraschend hohen Wahlsieg treffen sich am Sonnabend in Magdeburg zum ersten Mal die neugewählten AfD-Abgeordneten.

Von Hagen Eichler 19.03.2016, 00:01

Magdeburg l Jung ist sie, die größte Oppositionspartei im Landtag. Mit Willi Mittelstädt stellt sie zwar den ältesten Abgeordneten – dennoch ist jeder zweite AfD-Parlamentarier nicht einmal 45 Jahre alt. Extrem ist die männliche Dominanz, unter 22 Männern sitzen lediglich zwei Frauen. Parlamentarische Erfahrung hat keiner von ihnen. Es ist ein Umbruch für den Landtag, eine neue politische Kraft tritt an. Fünf Köpfe, fünf Lebensläufe:

Robert Farle hat mit vollem Einsatz gekämpft. Neun Bürgerversammlungen hat der AfD-Mann aus Seeburg im Mansfelder Land organisiert, dazu eine Kundgebung in Teutschenthal, stets warnte er vor der Überfremdung Deutschlands und der Fremdsteuerung durch die USA. Mit vollem Einsatz hat er auch schon früher Politik gemacht – damals allerdings als Kommunist, allzeit fest an der Seite von Moskau und Ostberlin. An der Ruhr-Universität Bochum schrieb er Anfang der 70er Jahre klassenkämpferische Flugblätter, später saß er für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) im Stadtrat von Gladbeck.

Die DKP wurde heimlich von der DDR finanziert, bei Bundestagswahlen bekam sie nie mehr als 0,3 Prozent der Stimmen. Mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus brach für Farle eine Welt zusammen. Der studierte Ökonom konzentrierte sich aufs Geschäft: In Halle gründete er 1990 eine Wirtschafts- und Steuerberatungskanzlei, studierte später Jura und ist heute nach eigenen Angaben Chef von 30 Angestellten. Nach seinen früheren Maßstäben: ein Kapitalist.

Vom Sozialismus will er nichts mehr wissen. „Mit ideologischen Scheuklappen darf man nicht durchs Leben laufen“, sagt er, als er im September 2015 für einen Posten im AfD-Landesvorstand kandidiert. Seine Treue zur Sowjet­union stuft er heute als Fehler ein. Moskau unterstützt er indes nach wie vor. Im Ukraine-Konflikt hält er die USA für die wahren Kriegstreiber.

Als neues Thema hat er die Zuwanderung entdeckt, die er als Bedrohung empfindet. „Deutschland muss Deutschland bleiben“, sagt er im September 2015. „Ich will nicht in 30 Jahren von den Amerikanern oder einer islamischen Regierung gesteuert werden.“

In seiner Fraktion wird er der Einzige sein, an dessen Abgeordnetenbüro ein Doktortitel steht: Hans-Thomas Tillschneider ist Islamwissenschaftler, an der Uni Bayreuth arbeitet er an seiner Habilitation. Die intellektuelle Distanz zu seinen Parteifreunden demonstriert er bisweilen, auf einem Parteitag korrigiert er schon mal einen Kollegen, der ein arabisches Wort falsch ausspricht. „Ideenarbeit ist mein Metier“, sagt er. Am Wahl-abend, als frischgewählter Abgeordneter, gibt er sich dann betont demütig: Nein, ein Amt im Vorstand der Fraktion strebe er nicht an, versichert er.

Tillschneider ist selbst Migrant, als Deutscher wurde er im rumänischen Banat geboren. Vielleicht deshalb steht bei ihm der Erhalt des „deutschen Wesens“, der deutschen Kultur ganz oben. Tillschneider ist Sprecher der rechten Patriotischen Plattform, er gibt rechten Zeitschriften Interviews, er fordert die Zusammenarbeit zwischen AfD und der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung, er kämpft gegen Moscheebauten in Deutschland. Aber er selbst rechts? Das weist er zurück.

Beim Aufstieg in Fraktionsämter hat Tillschneider ein Handycap: Er gilt als Karrierist. Kurzzeitig war er einmal Mitglied der FDP. In der AfD bemühte er sich von seinem früheren Wohnort Leipzig aus bereits um ein Bundestagsmandat, einen Sitz im Stadtrat und einen Sitz im Europaparlament – alles vergebens. 2015 verlegte er seinen Wohnsitz nach Bad Dürrenberg, rechtzeitig vor der Kandidatennominierung für den Landtag.

Parteifreunde? Das sind sie auch, aber noch mehr: Daniel und Tobias Rausch aus Staßfurt sind Vater und Sohn. Derartige Familienbande gab es im Landtag bislang nur einmal, als 1998 mit dem Einzug der rechtsextremen DVU Rudi und Claudia Wiechmann auf Landtagssesseln Platz nahmen, Vater und Tochter.

Die Rauschs kommen aus Staßfurt. Der Senior, Jahrgang 1966, ist Vater von vier Kindern. Sein Geld verdient er bislang als Programmierer. In die AfD tritt er 2013 ein – ihn nervt, dass die etablierten Parteien ihre Politik als alternativlos darstellen. Rausch sorgt sich um das Überleben des Landes. „Hier wird sich entscheiden, ob unser Deutschsein in Europa untergeht“, sagt er im November 2015, als er sich um einen Listenplatz für die Landtagswahl bewirbt. Er lehnt es ab, Syrer, Iraker und Afghanen als Flüchtlinge zu bezeichnen. „Flüchtlinge gibt es nicht in Deutschland, es handelt sich meist um illegale Migranten. Flüchtlinge sind sie in Griechenland und in der Türkei.“ Rauschs Logik: Sollen sich doch die armen Nachbarländer mit dem Problem auseinandersetzen, Deutschland hat damit nichts zu schaffen.

Im Landtag möchte er sich für Familien einsetzen. Für die klassische Familie, betont er. Dass in Baden-Württembergs Schulbüchern eine Rechenaufgabe zum Familieneinkommen des Paares Klaus und Peter steht, stört ihn gewaltig. Grundschüler sollten nur „normale“ Familien kennenlernen, also Ehen aus Mann und Frau.

Sein Sohn Tobias, geboren im Einheitsjahr 1990, hatte es in der AfD 2014 kurzzeitig sogar zum kommissarischen Landesvorsitzenden gebracht, bis er den Platz für den heutigen Chef André Poggenburg räumte. Der Immobilienunternehmer bezeichnet sich als Vertreter christlicher Werte und verweist auf seine Mitgliedschaft im Gemeindekirchenrat.

Tatsächlich ist er im Kirchspiel Brumby stellvertretendes Mitglied. Allerdings: Brumbys Pfarrer Jürgen Kohtz hat ihn in dem Gremium noch nie gesehen. Zu christlicher Nächstenliebe passt auch nicht, dass Rausch junior im Oktober 2015 ein Video des rechten Compact-Magazins postet, in dem Asylbewerber als „Heimsuchung“ bezeichnet werden.

Zur Gleichstellung von Mann und Frau sagt das AfD-Wahlprogramm: nichts. Das Wort Frau kommt zweimal vor – in beiden Fällen geht es um das Gebären von Kindern. Die Kandidatenliste spiegelt das, auf den ersten 20 Plätzen fanden sich genau zwei Frauen. Beide gehören nun dem Landtag an. Während Lydia Funke als enge Vertraute von AfD-Chef Poggenburg gilt, ist Sarah Sauermann die Lebenspartnerin von Daniel Roi, jetzt ebenfalls Abgeordneter.

Sauermann hat in Bernburg studiert, sie ist Ingenieurin mit dem Schwerpunkt Architektur. Die 27-Jährige ist kommunalpolitisch aktiv, gehört dem Stadtrat Raguhn-Jeßnitz und dem Kreistag Anhalt-Bitterfeld an. Im Landtagswahlkampf fiel sie auf, weil sie dem einzigen öffentlichen Wahlforum fernblieb. Ihren Wählern war es egal. Sauermann nahm dem langgedienten CDU-Abgeordneten Jürgen Weigelt den Wahlkreis Bernburg ab und schickte ihn in den Ruhestand. „Die Wähler werden ihre Gründe gehabt haben“, sagt sie, „er war nicht sehr aktiv in seinem Wahlkreis.“

Warum hat die AfD so wenig Frauen nominiert? Schuld hätten die Medien, sagt sie, die hätten die Partei als frauenfeindlich dargestellt. „Das hat Frauen abgeschreckt, aber jetzt merke ich doch einiges an Interesse.“ Sauermann ist für Gleichberechtigung. Das bedeutet für sie indes nicht, dass Frauen die Hälfte aller Posten bekommen müssen. „Müssen Frauen unbedingt Karriere machen? Ist es schlimm, wenn eine Frau drei Jahre mit dem Kind zu Hause bleibt?“, fragt sie. Ihre Antwort lautet: zweimal Nein.