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WolfsschutzEmma und Teddy in heikler Mission

Angesichts zunehmender Wolfsangriffe kommen immer häufiger Herdenschutzhunde zum Einsatz. Doch die Tiere sind umstritten.

Von Alexander Walter 21.02.2017, 00:01

Salzwedel l Emma und Teddy lassen keine Zweifel aufkommen: Der Raum zwischen ihnen und den Schafen ist tabu. Menschliche Begleiter von Schäfer Jens-Olaf Schawe werden freundlich geduldet. Aus den Augen lassen sie die Eindringlinge aber nie.

Die beiden schneeweißen Tiere sind Herdenschutzhunde. Seit vier Wochen teilen sie sich bei Salzwedel ein paar tausend Quadratmeter eingezäunter Weide mit 180 Schafen. Die ungleiche Gemeinschaft dient einem höheren Ziel: Emma und Teddy sollen die Grasfresser vor Wolfsangriffen schützen.

Das Zeug dazu hat jeder von ihnen. Mit 40 Kilogramm Gewicht und 70 Zentimetern Schulterhöhe sind sie ihren Widersachern mindestens ebenbürtig. Zu Kämpfen soll es allerdings gar nicht erst kommen: „Emma und Teddy sind wie Türsteher in der Disco. Sie sollen die Wölfe durch ihre schiere Präsenz abschrecken“, sagt Jens-Olaf Schawe.

Die uralte Methode wird in Sachsen-Anhalt gerade erst wiederentdeckt. Von rund 150 Hirten im Land nutzt laut Schafzuchtverband nur eine Minderheit die Tiere. Schwerpunkt ist mit gut 35 Herdenschutzhunden die wolfsreiche Altmark, im Süden dagegen gibt es sie bislang kaum.

Dass zusätzlicher Schutz notwendig ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen. So töteten Wölfe noch 2014 insgesamt 40 Nutztiere im Land. Im vergangenen Jahr waren es bereits 135. Bevorzugte Beute waren mit 85 Tieren Schafe.

Dabei sind die Herden schon jetzt in der Regel durch bis zu 1,40 Meter hohe Elektrozäune geschützt. Doch Wölfe sind bei der Futtersuche experimentierfreudig und ausdauernd. Vielerorts haben sie gelernt, die Barriere einfach zu überspringen.

Das weiß auch die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. Der Verein strebt ein friedliches Nebeneinander von Mensch und Raubtier an. Als ein Halter 2016 bei einer Attacke 30 Schafe verlor, schenkten die Mitglieder ihm zwei Herdenschutzhunde. „Seitdem hat es dort keinen einzigen Zwischenfall mehr gegeben“, sagt der zweite Vorsitzende Peter Schmiedtchen. Inzwischen hat der Verein für ähnliche Projekte im Land fast 15.000 Euro ausgegeben.

Das Umweltministerium hat nachgezogen. Ab März erhalten Schäfer für den Kauf von Herdenschutzhunden eine achtzigprozentige Förderung. Das Land orientiert sich damit an Sachsen, Niedersachsen und Brandenburg. Dort gibt es die Zuschüsse teils seit Jahren.

Im Gegensatz zu Hütehunden sind Herdenschutzhunde unter Schäfern aber höchst umstritten. „Viele haben da eine Schranke im Kopf“, sagt Jens-Olaf Schawe. Dass große Hunde unbeaufsichtigt, rund um die Uhr zwischen den Schafen liegen, sei für sie undenkbar.

Dem Altmärker ging es noch vor fünf Wochen ähnlich. Weil ein Kollege ablehnte, bot die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ihm zwei Hunde an. „Da musste ich erstmal schlucken“, erinnert sich Schawe. „Ich dachte, hoffentlich geht das gut.“

Doch nicht nur der Schäfer misstraute den Hunden, die Schafe hielten sie für potenzielle Feinde. „Als ich Emma und Teddy das erste Mal auf die Weide gelassen habe, ging ein Schock durch die Truppe“, erzählt Schawe. Die Tiere rannten wild durcheinander und bildeten schützende Wagenburgen.

Emma und Teddy ließen sich davon nicht beeindrucken. Nach zwei Jahren Ausbildung bei einem Schäfer in Hessen verhielten sich die Maremmano-Schäferhunde wie Profis. Die Schafe betrachteteten sie als ihre Familie. Dass sie die ersten Tage getrennt von ihnen verbringen mussten, nahmen sie stoisch zur Kenntnis.

Nach einer Woche schwand das Misstrauen beim Schäfer. Schawe wagte es, ließ die Hunde über Nacht allein bei der Herde. „Ich habe kein Auge zugetan“, erzählt er mit einem Lachen. „Am Morgen um sieben habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin mit klopfendem Herzen rausgefahren.“

Emma und Teddy dösten friedlich zwischen den Schafen, ganz so, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Seit diesem Tag leben sie allein mit der Herde. Jens-Olaf Schawe ist glücklich, sie zu haben: „Ich hatte es mir viel komplizierter vorgestellt“, sagt er.

Schawe räumt ein: „Ich hatte Glück.“ Längst nicht überall läuft es so ideal. Er habe von Kollegen gehört, die massive Probleme bekamen. In einem Fall hätten die Hunde den Schäfer nach einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr an die Herde gelassen. Erst kürzlich biss ein Herdenschutzhund in der Börde dem Wolfsbeauftragten in den Arm.

Verpflichtende Zertifizierungen für Herdenschutzhunde sollen in anderen Bundesländern helfen, solche Vorfälle zu vermeiden. „Sie sind zudem wichtig für den Versicherungs- und Rechtsschutz“, sagt Helmut Lenz, Schäfer und zweiter Vorsitzender beim Verein arbeitender Herdenschutzhunde. Seit Jahren nimmt er die Hunde-Prüfungen in anderen Bundesländern ab.

Anders als etwa in Brandenburg gebe es die Pflicht zum Zertifikat in Sachsen-Anhalt bislang aber nicht. Lenz hält das für nicht zeitgemäß: „Das Land hat die Entwicklung verpennt“, sagt er.

Kritisch bewertet Lenz auch, dass das Umweltministerium nur die Anschaffung der Rassen Maremmano-Abruzzese und Pyrenäen-Berghund fördern will. Das geht an den Realitäten vorbei, sagt er. Viele Halter hätten mit Kaukasiern oder dem ungarischen Kuvasz längst andere Rassen.

Jens-Olaf Schawe sieht das ähnlich: „Jeder Schäfer muss sich den für ihn passenden Hund aussuchen können“, findet er. Bei Emma und Teddy etwa passe einfach die Chemie. Und das, obwohl Emma anders als Teddy eine Mischlingshündin aus Maremmano und türkischem Akbash sei.

Peter Schmiedtchen von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe hält die Förderung der Anschaffungskosten auch insgesamt für verfehlt. Durch die staatlichen Subventionen schössen die Preise für die Hunde in die Höhe. Durch ähnliche Zuschüsse in anderen Bundesländern seien schon jetzt 5000 bis 6000 Euro für ausgebildete Tier keine Seltenheit.

Sinnvoller wären nach Ansicht Schmiedtchens Zuschüsse für Futterkosten. Damit blieben die Preise für Hunde stabil. Bei Futterkosten von fast 2 Euro pro Tag und Hund würden die Schäfer zudem erheblich entlastet.

Langfristig will der Wolfsschützer den steigenden Preisen für Hunde mit einer eigenen Zucht im Land begegnen. Zwei Tiere dafür hat er sich bereits ausgeguckt. Emma und Teddy würden prima passen, findet Schmiedtchen. Jens-Olaf Schawe ist nicht abgeneigt. „Die Schäfer im Land werden künftig selbst Hunde züchten müssen“, sagt er. Zudem träumt Schawe von einem dritten Hund, mit einer Zucht vor der Haustür wäre das kein Problem. Emma und Teddy wissen noch nichts von ihrem Glück. Vorerst halten sie nur die Wölfe fern. Doch die beiden verstehen sich super, sagt Jens-Olaf Schawe. Viel Platz gibt‘s obendrauf. Beste Bedingungen also für eine Familie.