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Abitur Prüfling erstreitet Recht auf Versagen

Ein Bernburger Schüler fällt mit null Punkten in Religion durchs Abi, verklagt seine Schule - und bekommt recht.

Von Hagen Eichler 09.06.2016, 01:01

Bernburg/Magdeburg l Genau 22 Minuten dauert die Prüfung an jenem Junitag vor drei Jahren im Bernburger Gymnasium Carolinum. Das Ergebnis ist katastrophal: null Punkte für den damals 19-jährigen Gymnasiasten Patrick Höpfner. Thema im Prüfungsfach Religion war ein bekanntes Jesus-Zitat: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, aber gebt Gott, was Gott gehört.“

Was der Prüfling dazu vortrug, war laut Prüfungsprotokoll dürftig. „Nur punktuelles Erfassen, unbeholfene Fachsprache, äußerst lückenhafte Kenntnisse, unklare Zusammenhänge, große Lücken, ohne Verständnis, Zusammenhänge bleiben völlig unklar, vom Thema überfordert“ notieren die vier Prüfer – und damit ist die Mängelliste noch nicht am Ende.

Für den heute 22-Jährigen ist das Ergebnis noch immer unfassbar. „Ich finde, die Prüfung ist gar nicht so schlecht gelaufen. Was in der Bewertung passiert ist - ich kann mir das nicht erklären.“

Noch am Tag der Prüfung verfasst die Schulleitung einen Bescheid: Der Schüler ist durchgefallen, Abitur verweigert. Dass Höpfner in Religion zuvor durchweg ordentliche Noten erreicht hatte, spielt keine Rolle. Denn die Oberstufenverordnung von Sachsen-Anhalt schreibt vor: Wer auch nur in einer einzigen Prüfung mit null Punkten („ungenügend“) abschneidet, ist raus. Egal, wie gut die anderen Prüfungsergebnisse ausfallen.

Drei Jahre nach der verhauenen Prüfung hat Höpfner nun jedoch einen juristischen Erfolg errungen: Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat den Bescheid der Schule über das Nichtbestehen aufgehoben. Die in Sachsen-Anhalt geltende Null-Punkte-Regel sei „unverhältnismäßig“ und verstoße gegen die Berufsfreiheit, heißt es in dem rechtskräftigen Urteil.

Die Richter verweisen auf die Diskrepanz zwischen den guten bis befriedigenden Noten in den letzten zwei Schuljahren und dem Prüfungsergebnis. „Ein einmaliges vollständiges Versagen in einer mündlichen Abiturprüfung von 22 Minuten Dauer ist damit kein hinreichendes Indiz für fehlende Hochschulreife.“

Es ist nicht das erste Mal, dass das Kultusministerium juristischen Schiffbruch erleidet. Schon 2008 hatte das dasselbe Gericht einer Schülerin Recht gegeben, die in der mündlichen Geographie-Prüfung gescheitert war. Auch damals rügten die Richter die Unverhältnsmäßigkeit der Entscheidung. Dennoch: Die damaligen Abitur-Regeln sind im Kern noch immer in Kraft.

Der neue Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hingegen will das Höpfner-Urteil umsetzen und die Oberstufenverordnung entschärfen. Sachsen-Anhalt müsse beim Abitur „die Vergleichbarkeit mit anderen Ländern stärker in den Blick nehmen“, hatte er kurz nach seiner Wahl im Volksstimme-Interview angekündigt.

Dass Schüler gegen Zeugnisnoten oder Prüfungsergebnisse klagen, kommt höchst selten vor. „Ich habe so etwas zuvor noch nie erlebt“, sagt Karola Reiter, Schulleiterin des beklagten Bernburger Gymnasiums. Zum Urteil selbst will sie sich nicht äußern – das Landesschulamt müsse nun festlegen, wie es weitergehen soll.

Denn auch wenn das damalige Durchfallenlassen rechtswidrig war: Das ersehnte Zeugnis hat Höpfner damit noch nicht in der Tasche. Das Landesschulamt werde ihm im Fach Religion eine Nachprüfung anbieten, heißt es aus dem Bildungsministerium. Auf einen Termin will sich das Ministerium nicht festlegen.

Ob Höpfner tatsächlich noch einmal zur Reli-Prüfung in seine alte Schule zurückkehrt, hat er noch nicht entschieden. In Niedersachsen hat er mittlerweile die Fachhochschulreife erworben. Ein Studium an der dortigen Polizeiakademie wird er im kommenden Jahr beenden.