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Beraterverträge Wulf Gallert: "Das ist ein Skandal"

Der Landtagsvizepräsident von Sachsen- Anhalt über Verträge, Maulkörbe und Entmachtung des Parlaments.

Von Jens Schmidt 17.09.2016, 01:01

Magdeburg l Bereits vor zehn Jahren wurde das Land von einer Berater-Affäre überschattet. Damals leitete Wulf Gallert (Linke) den Untersuchungsausschuss, heute ist er Vizepräsident des Landtags. Jetzt äußert er sich im Volksstimme-Gespräch.

Das Land wird wieder von einer Vertragsaffäre erschüttert – obwohl der Landtag die Regeln verschärft hat. Sind Politiker nicht lernfähig?

Wulf Gallert: Ich glaube schon, dass Politik lernfähig ist. Nur - die Lage hat sich verschärft: Durch den Personalabbau ist den Ministerien viel Expertise verloren gegangen, so dass ihnen oft nichts anderes übrig bleibt, externe Firmen zu beauftragen. Wir wissen aber: Beraterfirmen schaffen Abhängigkeiten, verfolgen vor allem eigene Ziele und nicht die Interessen des Landes. Daher hatte der Landtag vor zehn Jahren die Regeln verschärft: Verträge ab 20 000 Euro müssen in den Finanzausschuss des Landtags – damit der Haushaltsgesetzgeber entscheidet, wer uns berät und damit die Öffentlichkeit weiß, wer unser politisches Handeln beeinflusst.

Dennoch wird dagegen verstoßen. Was läuft da schief?

Zuständig für den ordnungsgemäßen, transparenten Ablauf ist der Chef der Staatskanzlei Rainer Robra. Er ist der dafür Verantwortliche in der Regierung. Unser Eindruck ist, dass der Minister dies sehr nachlässig organisiert hat. Er legte offenbar keinen besonderen Wert darauf, nachzuhaken. Dabei war doch von Anfang an ersichtlich, dass das Finanzministerium die Investitionsbank einschaltet, damit diese letztlich das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung beauftragt. Das ganze Konstrukt war offenbar nur darauf angelegt, Aufträge und Geld ans ISW fließen zu lassen. Formalrechtlich mag das möglich sein – aber den Landtag zu umgehen, das geht gar nicht. Die Begründung, die Minister Felgner und Staatssekretär Klang heute angeben, klingt windig. Mein Eindruck ist: Das war Absicht. Andere Verträge und Gutachten wurden uns im Landtag ja vorgelegt. Da ging es. Da gab es aber auch intensive Debatten und Nachfragen dazu. Doch diese Debatte wollte der damalige Finanzminister Bullerjahn im Falle des Vertrags mit der Investitionsbank offenbar nicht. Im Gegenteil: Er hat eine Menge Energie reingesteckt, das Parlament zu umgehen. Und Staatskanzleichef Robra hat dabei offenbar zugesehen. Das ist schon fatal.

Welche Konsequenzen muss der Landtag ziehen?

Wir brauchen eine intensivere Kontrollinstanz. Der Landtag hatte die Hoffnung, dass die Landesregierung nach den Erfahrungen von vor zehn Jahren selbst in der Lage ist, intransparente Vorgänge zu stoppen. Doch das ist offensichtlich falsch. Ich halte den ganzen Vorgang um Finanzministerium, Investitionsbank und ISW für einen Skandal. Der zweite Skandal ist aber die Ansage von Staatskanzleichef Robra an die Ministerien, jetzt sämtliche Nachforschungen einzustellen. Bekanntlich hat das Wirtschaftsministerium gerade begonnen, frühere Verträge und Vorgänge zu durchleuchten. Wirtschaftsminister war bis 2011 der heutige Ministerpräsident Reiner Haseloff. Nun heißt es: Jetzt darf aber nichts mehr rauskommen. Die Regierung versucht nun, Fehler zu vertuschen. Das ist ein Skandal, der die gleiche Dimension hat wie der erste. Wer den Rücktritt von Minister Felgner fordert, muss konsequenterweise auch den Rücktritt von Staatskanzleichef Robra fordern.

Müssen sie zurücktreten?

Rücktritte bringen uns nicht viel weiter. Der Landtag stellt fest: Wir können uns auf die regierungsinterne Kontrolle nicht verlassen. Ich denke, wir müssen den Landesrechnungshof noch stärker einbinden.

Hat nicht auch die Kontrolle durch den Landtag versagt?

Die Opposition hat durchaus nachgehakt. Eine Anfrage der Linken brachte schon 2014 den 6,3 Millionen Euro teuren Vertrag zwischen Finanzministerium, Investitionsbank und ISW zutage. Nur: Damals nahm die Öffentlichkeit keine Notiz davon. Aber grundsätzlich ist es richtig: Auch wir Parlamentarier brauchen mehr Skepsis. Wir müssen genauer hinschauen, man könnte auch sagen: Wir brauchen mehr Trüffelschweine. Aber ich denke, wir müssen auch den Landesrechnungshof stärker einbinden, wenn politische Entscheidungen ausgelagert werden sollen. Nur seine Fachleute sind in der Lage, intensiv Verträge und Vorgänge zu durchleuchten.

Seit Jahren wird Verwaltungsarbeit, die früher Ministerien und Behörden erledigten, an Private ausgelagert. Wird das Parlament dadurch entmachtet?

Es ist eine schleichende Selbstentmachtung von Politik. Und das alles unter der Überschrift: Schlanker Staat. Doch der Preis dafür ist hoch. Entscheidungen treffen nicht mehr gewählte Politiker, sondern Firmen. Behörden verlieren Kompetenz. Und Politiker fliehen vor der eigenen Verantwortung. Billiger wird es dabei oft nicht. Fachleute in der Investitionsbank sind teurer als etwa Fachleute im Landesverwaltungsamt. Es läuft oft nach Devise: Ausgaben sparen – koste es, was es wolle. Wir als Landtag haben ein elementares Interesse daran, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen.

Private sind oft schneller als es Behörden sein können. Gäbe es einen Mittelweg: Externe einbeziehen ohne die politische Kontrolle zu verlieren?

Denkbar wäre es, etwa ein Institut wie das ISW institutionell zu fördern – also aus öffentlichen Mitteln pauschal zu bezahlen. Es wäre eine Art Ratgeber für die Politik – ähnlich wie das etwa beim Institut für Wirtschaftsforschung IWH oder der Leopoldina auch ist, wo der Bund mitfinanziert. Dann hätten wir die Kontrolle und das Institut hätte Existenzsicherheit. Aber so, wie es jetzt läuft, sind das krumme Touren, die auch die Arbeit des ISW entwerten: Wer entwickelt noch kritische Positionen, wenn er am langen Arm eines Ministers hängt?