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Dieselbetrug Etikettenschwindel am Tankwagen

Weil sie Treibstoff als steuerfreies Schmieröl deklarierten, sollen zwei Banden in Burg 90 Millionen Euro am Fiskus vorbeiverdient haben.

08.02.2017, 23:01

Burg l Das abgesperrte Gelände liegt am Ende einer Sackgasse im Industriegelände der Kleinstadt Burg (Jerichower Land). Hohe Zäune und schwere Tore schützen eine große Betriebshalle und mehrere Tankanlagen vor allzu neugierigen Besuchern. „Rauchen verboten“ steht auf einem Schild. Auf dem Briefkasten ist in Druckbuchstaben ein neuer Firmenname geschrieben worden. An einigen Stellen des Gebäudes ist die Farbe abgeplatzt.

Jahrelang hat das Mauerwerk kriminelle Machenschaften verborgen: Zwischen 2010 und 2014 soll das Gelände Schauplatz für den größten jemals in Sachsen-Anhalt aufgedeckten Steuerbetrug gewesen sein. Das vermutet die Staatsanwaltschaft Stendal. Zwei Banden stehen derzeit in Magdeburg vor Gericht. Die Gauner gaben gegenüber den Behörden vor, steuerbefreite Schmieröle – wie etwa Imprägniermittel oder Schalöle – für die Industrie herzustellen. Tatsächlich sollen die Angeklagten herkömmlichen Diesel und Heizöl in den Tanks gemischt und verkauft haben. Rund 90 Millionen Euro sollen die Banden mit dieser Masche am Fiskus vorbeiverdient haben.

Die Geschichte beginnt vor sieben Jahren, als die Polin Johanna S. nach Sachsen-Anhalt kommt. Ihr Cousin hatte die 42 Jahre alte Frau gebeten, eine Zweigstelle seiner Firma in Burg zu eröffnen. S. machte im Januar 2010 kurzerhand ihr privates Konto zum Geschäftskonto der Firma AS Gold, richtete das Büro ein und stellte erste Mitarbeiter ein. Die wichtigen Entscheidungen seien aber nicht von ihr getroffen worden, berichtet S. an einem der ersten Prozesstage vor zwölf Monaten dem Gericht.

Dennoch ist es Johanna S., die in den Tagen im Januar 2010 den Grundstein legt für das Geschäftsmodell der Firma. Irgendwann in diesen Wochen geht die Geschäftsfrau in das Hauptzollamt der Landeshauptstadt Magdeburg. Dort beantragt S. die Erlaubnis zur Produktion von steuerbefreiten Schmierölen. Ein Beamter überreicht der Polin auch ein Sicherheitsblatt, das S. später wahrheitswidrig ausfüllt. „Von Anfang an ist geplant gewesen, die Bedingungen der Erlaubnis nicht einzuhalten, um auf diese Weise den nicht mit der Energiesteuer belasteten Dieselkraftstoff besonders gewinnbringend weiterverkaufen zu können“, wirft Chef-Ankläger Bernd Blasczyk der Frau vor.

Seit Ende 2015 wird der erste Prozess vor dem Landgericht in Magdeburg verhandelt. Die Anklageschrift, die Staatsanwalt Blasczyk zusammen mit seinen Kollegen verfasst hat, ist 173 Seiten dick. Die Firma von Johanna S. soll zwischen November 2010 und Juni 2010 mehr als 55 Millionen Liter Diesel- und Ölgemische hergestellt haben. Rund 13 Millionen Euro sollen die Täter verdient haben, weil sie die Produkte nicht als Treibstoff deklarierten und sich so die fällige Energiesteuer sparten.

Johanna S. soll der Kopf der Bande in Burg gewesen sein und alle wesentlichen Entscheidungen getroffen haben. Insgesamt 7500 Euro soll S. jeden Monat für ihre Geschäftsführer-Tätigkeiten eingestrichen haben. Das geht aus der Anklageschrift hervor. Ihre Machenschaften habe S. versucht, so gut es geht zu verschleiern.

Eine Buchhaltung sei praktisch nicht existent gewesen. Verträge und Frachtbriefe seien nachträglich umgeschrieben worden. Die Spediteure, die den Treibstoff aus dem Jerichower Land abtransportierten, soll S. stets bar bezahlt haben. Fast 160 Lieferungen haben die Ermittler gezählt. Vor allem nach Osteuropa soll der Diesel transportiert und dort über Tochterfirmen an Endkunden verkauft worden sein.

Um den wahren Inhalt der Tanklaster zu verschleiern, habe Johanna S. die Zertifikate gefälscht, die den Zollbeamten bei Kontrollen vorgelegt werden müssen. Auf allen Lieferscheinen prangte zudem der Stempel: „Darf nicht als Kraftstoff oder zu Heizzwecken verwendet werden.“ Erst kurz vor Lieferung an den Endkunden sollen die Gangster den Inhalt der Tanks korrekt deklariert haben.

Zollfahnder Thomas Schüre ist Menschen wie Johanna S. seit fast 30 Jahren auf der Spur. „Wirtschaftskriminalität ist geprägt von Leuten, die sehr pfiffig sind“, sagt der Ermittler vom Zollfahndungsamt Hannover. Doch für die Beamten sind die Geschäfte in Burg offenbar schwer nachzuverfolgen gewesen. Bereits während der Ermittlungen habe der Zoll darauf reagiert, sagt Ermittler Schüre. „Die Aufmerksamkeit ist seit den Fällen in Burg deutschlandweit größer“, so Schüre. Betriebe, die Schmieröle oder Kraftstoffe herstellen wollen, werden nun vor der Zulassung auf Herz und Nieren geprüft. Während der Produktion gibt es unangemeldete Kontrollen. Steuerbefreite Ölgemische sind seit Anfang 2016 zudem deutlicher zu erkennen. „Die Produkte müssen jetzt rot eingefärbt werden“, sagt Schüre.

Johanna S. kamen die Ermittler im Juni 2011 auf die Schliche. Dass die Frau nur Handlangerin eines größeren Netzwerkes gewesen sein muss, wird im September des vergangenen Jahres klar: Im Saal C24 des Magdeburger Landgerichts beginnt der Prozess gegen die andere Burger Bande. Sieben Männer und eine Frau sollen nahezu nahtlos an das Geschäft ihrer Vorgänger angeknüpft haben. Zwischen Januar 2012 und Oktober 2014 haben die Ermittler 5600 Straftaten gezählt. Rund 78 Millionen Euro Steuerschaden sollen entstanden sein.

Wie einträglich das Geschäft gewesen sein muss, rechnet ein Ermittler vor: Je nach Größe des Tanklastzuges lässt sich mit Diesel, der als steuerbefreites Schmieröl ausgewiesen ist, zwischen 20 000 und 30 000 Euro Extragewinn erzielen. Als das Geschäft der Gauner auf Hochtouren lief, müssen täglich mehr als zehn Lieferungen die Anlage in Burg verlassen haben, schätzen Angestellte benachbarter Unternehmen.

Seit August 2011 soll die in Berlin ansässige Firma Galbaoil den Hut in Burg aufgehabt haben. Das Betriebsgelände hatte das Unternehmen an den Mineralölhandel B&O verpachtet – für 61 000 Euro Monatsmiete. Das geht aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft hervor. Die neuen Besitzer lieferten nicht nur nach Osteuropa, auch Kunden auf Zypern und in Italien sollen auf der Abnehmerliste gestanden haben.

Die Geschäfte mit den Südeuropäern soll vor allem ein Italiener aus Burg angekurbelt haben. Spätestens ab Dezember 2013 habe der Pizzabäcker Giuseppe T. dabei geholfen, Kontakte zu neuen Kunden in Italien aufzubauen. T. soll auch Waren bestellt, Preise verhandelt und Bargeld sowie Frachtbriefe von Italien nach Burg gebracht haben. „Der Angeschuldigte T. war maßgeblich am Absatz der hergestellten Produkte beteiligt“, heißt es in der Anklageschrift. Giuseppe T. kann das alles nicht verstehen. Während eines Telefonats mit der Volksstimme spricht er von seriösen Geschäften, an denen er beteiligt gewesen ist. Wenig später beendet er das Gespräch.

Die Dieselbetrüger von Burg nehmen am Landgericht in Magdeburg derzeit erneut auf der Anklagebank Platz. Bis zum Sommer sind bereits Dutzende Verhandlungstermine angesetzt. Doch wann die Richter urteilen können, ist nicht abzusehen. Denn die Arbeit des Gerichts ist aufwendig. „Die Ermittler müssen jede Lieferung durch einen Zeugen nachweisen lassen“, sagt der Sprecher des Landgerichts Magdeburg, Christian Löffler. Den Angeklagten drohen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.