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Einfach olympisch Nationalhymnen - der Soundtrack zum Sieg

In wenigen Tagen beginnen die Olympia 2016. Doch was ist olympisch? Musikwissenschaftler Tomi Mäkelä spricht über Nationalhymnen.

Von Jörn Wegner 03.08.2016, 01:01

Herr Mäkelä, woher stammt eigentlich die Idee eines musikalischen Nationalsymbols?

Tomi Mäkelä: Dass man Musik mit dem König verbindet, ist schon eine sehr alte Tradition. Aber die Nationalhymne ist erst im 19. Jahrhundert so richtig populär geworden. Viele der heutigen Hymnen stammen daher aus dieser Zeit. Der moderne Nationalismus hat nicht nur neue Staaten, sondern auch Musik hervorgebracht. Man hat sich damals Gedenken über die Volksseele und Ähnliches gemacht.

Wie funktionieren Nationalhymnen?

Musik versteht man überall ohne Übersetzung. Nationalhymnen sind oft fanfarenhaft, sie wirken als Signal, sehr direkt und allumfassend. Das wirkt nicht nur im Ohr. Im Sportstadion zum Beispiel vibriert dann alles, als Zuschauer kann man dem nicht entgehen.

Gibt es ein Grundmuster für Nationalhymnen?

Nein, Hymnen können sehr verchieden sein. Es gibt nicht nur Märsche, sondern auch Tanzcharaktere zum Beispiel. Was die Nationalhymnen prägt, ist der allgemeine Stil des 18. und 19. Jahrhunderts, eine Zeit, in der einfach viele von ihnen entstanden sind. Das gilt übrigens auch für arabische Länder. Die Hymnen dort dienen vor allem der Außenrepräsentation. Da wird dann nichts Arabisches gespielt, sondern ebenfalls abendländische Musik.

Existiert ein nationaler Klang?

Das glaube ich schon. Man hätte in Deutschland sicherlich keinen 7/8-Takt, eine komplizierte Melodie oder etwas mit einem wechselnden Takt als Hymne genommen. Die Unruhe der Marseillaise zum Beispiel widerspiegelt ja nicht nur die Revolutionszeit, sondern auch die französische Mentalität. Dieses feurige Temperament findet man in Frankreich sicher häufiger als in Deutschland. Ein nationales Temperament hat bestimmt eine Rolle gespielt, als man für Deutschland eine eher ruhige, feste und getragene Melodie gewählt hat.

Was ist der Unterschied zwischen Deutschland und zum Beispiel Frankreich?

Es kann sein, dass die Marseillaise einfach nicht zu Deutschland passt, weil man im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Reichseinigung, das Bedürfnis nach etwas Festem hatte. Es gab den Drang, die Einheit herzustellen, während Frankreich sie schon lange hatte. Dort ging es eher um Kraft und Aufbruch.

Wie entstehen Nationalhymnen?

Nationalhymnen hatten immer eine gewisse Probezeit, sie mussten sich in ihren Ländern erst durchsetzen. Dass eine Hymne von oben bestimmt wird, ist eher die Ausnahme gewesen und auf autokratische Systeme beschränkt, zum Beispiel die DDR oder die Sowjetunion. Die finnische Hymne zum Beispiel ist ein Studentenlied, das erst als Nationalhymne erkannt werden musste. Sie ist eher eine polnische Mazurka, ein schwungvoller 3/4-Tanz, und passt gar nicht zum Nationalcharakter der Finnen. Aber die Konvention ist so stark, dass sich andere Stücke nicht durchsetzen konnten. Die Diskussion, ob die Finnen lieber ein Werk von Jean Sibelius nehmen, ist ein Dauerbrenner.

Nationalhymnen müssen sich also durchsetzen?

Ja. Es ist interessant, dass es eine österreichische Kaiserhymne in die deutsche Republik geschafft hat. Oder die Marseillaise. Sie ist als royalistische Melodie komponiert und wurde dann zur Revolutionshymne. Da hatte es die Eisler-Hymne in der DDR übrigens sehr leicht gehabt, sie musste diese Wege nicht gehen.

In der Wendezeit gab es die Diskussion, eine neue Hymne zu etablieren. Wäre das sinnvoll gewesen?

Ich finde die Eisler-Hymne toll. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass sie ein Referendum gewonnen hätte. Es wäre allerdings eine saubere Sache, heute eine Nationalhymne eines etwas verkannten Künstlers wie Eisler zu haben. Eine gute Idee wäre ein Text von Biermann mit der Musik von Eisler. Das hätte Charme gehabt.

Man sagt, Eisler habe sich in seiner Hymne großzügig bei der Beethoven-Bagatelle Opus 119 Nr. 11 bedient. Glauben Sie das auch?

Ich denke, er hat das durchaus bewusst gemacht. Beethoven galt schon in den 20er-Jahren als revolutionärer Komponist. Auch Eisler hat sich damit beschäftigt.

Wäre heute eine neue Hymne noch sinnvoll?

Es wäre unheimlich schwer, etwas Neues zu finden, das nicht durch eine Konvention schon gefestigt ist. Das geht nur über den langen Weg von Probezeit, Konventionsbildung und Etablierung. Erst dann wird eine Hymne als selbstverständlich wahrgenommen. Das ist der übliche Weg. Ich bin aber der Meinung, man sollte mal über einen neuen Text nachdenken. Die Haydn-Melodie ist klassisch und großzügigerweise von Österreich überlassen. Aber mit dem Text gibt es ein Problem.

Kann also eine Hymne auch etwas Negatives haben?

Klar. Das Hervorheben der nationalen Identität ist immer schwierig. Heute ist vieles anders, wir haben Staaten und nicht mehr Nationen im klassischen Sinn.

Hieße das nicht, dass das Konzept Nationalhymne überholt ist?

Natürlich. Es ist ein Spielzeug. Es ist heute etwas Harmloses, solange man nüchtern bleibt. Identität ist eine Sache, die nicht automatisch gefährlich ist. Es ist sogar gesund, manchmal über sich selbst nachzudenken. Man sieht dann nämlich auch, dass man sich gegenseitig braucht. Aber ich glaube nicht, dass wegen Nationalhymnen schon mal ein Krieg geführt wurde.

Haben Sie eine Lieblingshymne?

Ja, das ist die Marseillaise. In der Schule mussten wir eine Hymne vortragen. Je nach Schwierigkeitsgrad gab es dann die Zensur. Mit der Marseillaise konnte man die 1 erreichen, sie gehört zu den schwierigsten. Die Marseillaise hat einige komplizierte Wendungen, sie ohne Begleitung zu singen, ist schwer. Bei der finnnischen Hymne war es schwierig, die Höchstpunktzahl zu bekommen. Sie galt als zu leicht. Und auch die deutsche war eher im unteren Feld. Und ich bin ja Profimusiker, ich musste als Schüler natürlich das Schwierigste versuchen. Ich würde nicht die schwedische und nicht die russische wählen. Dazu bin ich zu sehr Finne.