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NS-Raubgut Auf der Suche im Heimatmuseum

Nicht große Museen, sondern auch kleine Häuser überprüfen ihre Sammlungen auf NS-Raubkunst.

Von Grit Warnat 08.12.2016, 00:01

Magdeburg l Mathias Deinert ist Provenienzforscher, jemand der versucht, die Herkunft von Objekten zu klären. Der Potsdamer reist derzeit durch Sachsen-Anhalt und schaut in den Depots von fünf Museen, ob etwas zum Bestand gehören könnte, das in der Nazizeit den eigentlichen Besitzern unrechtmäßig entzogen worden war. Deinert suchte und recherchierte schon im Altmärkischen Museum in Stendal, im Salzwedeler Johann-Friedrich-Danneil-Museum und im Städtischen Museum in Aschersleben. Demnächst wird er mit seinem Laptop im Gleimhaus in Halberstadt und in der Zeitzer Moritzburg auf Spurensuche gehen. Der Museumsverband Sachsen-Anhalt hat ihn damit beauftragt. Das in Magdeburg ansässige Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das deutschlandweit die Provenienzforschung bündelt, finanziert seinen Blick in die Depots mit 15  000 Euro.

Dieser Blick ist in allen fünf Museen ein sogenannter Erstcheck, eine erste Suche nach möglichen Verdachtsfällen, wie es Deinert nennt. Er sucht nach Besitzverschiebungen in der NS-Zeit, nach Kulturgut insbesondere aus jüdischem Besitz. Kein leichtes Unterfangen. Acht Tage Zeit hat er für jedes Museum, weitere acht bis zehn Tage für seine Auswertungen.

Dass nicht nur die großen und mittleren Häuser zunehmend bereit sind, ihre Bestände zu erforschen, sondern auch Heimatmuseen sich an diese Aufarbeitung wagen, hatte sich zur Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste im Januar 2015 dessen Vorstand Uwe M. Schneede gewünscht. „Wichtig ist, dass auch die kleinen Museen an die Arbeit gehen“, hatte er gesagt.

„Es ist eine ethische Verantwortung. Der müssen wir uns klarwerden“, so Kristin Otto, Vorsitzende des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt. Als Chefin der Zeitzer Moritzburg weiß sie: Die Gesellschaft erwartet ein Aufarbeiten der Sammlungen. Aber die kleinen Museen haben kein Geld für Personal und Forschung. Und manchmal auch weniger Interesse, weil nicht selten dort die Meinung vertreten werde, so Mathias Deinert, dass gar keine Raubkunst gefunden werden könne, weil es spätestens mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges keine Sammlungstätigkeit mehr gegeben habe. „Das stellt sich häufig als falsch heraus“, sagt der Provenienzforscher. „Wenn man anfängt zu graben, sind einige erstaunt, dass man dann doch so einiges findet. In Salzwedel und Stendal trugen die Geschichtsvereine bis 1945 für ihr Museum Stücke zusammen.“

Deinert sucht seit 2011 intensiv nach NS-Raubkunst. Der Germanist hatte damals im Potsdamer Stadtmuseum dessen historische Büchersammlung durchforstet.

Was ihm seitdem begegnete, ist nicht spektakulär, es waren nicht solche Gemälde, die deutschlandweit für Aufsehen sorgen könnten. Aber auch in Stadtmuseen gebe es NS-Raubkunst, auch sie seien in der moralischen Verantwortung, sich über mögliches Raubgut in den eigenen Beständen klarzuwerden, sagt Deinert. In Potsdam sei ein Freimaurerbuch mit der kompletten Logen-Geschichte der „Teutonia“ zurückgegeben worden. Der Experte erinnert sich gern an diesen Moment. Das kleine, unscheinbare Buch spielte im Museum keine Rolle, aber für die örtliche Loge war es von besonderem ideelen Wert.

Aber wie findet man in einem Depot Raubkunst? „Man kann in acht Tagen nicht den Ozean an Bestand aufarbeiten“, sagt er. Er vertraut auf sein detektivisches Gespür. Deinert hat beim Erstcheck nur Zeit für Objektstichproben. Dafür sichtet er Inventarverzeichnisse, Korrespondenzen, Schriftverkehr, Karteikarten – all das, was überliefert ist, und geht der Frage nach, wie die Objekte ins Museum kamen. Stadtmuseen sind stolz auf Gemälde, die von Künstlern aus der Region stammen oder eine Ansicht des Ortes zeigen. „Es war für Museumschefs nur selten wichtig, welchen Weg das Gemälde genommen hat“, sagt Deinert.

Im Altmärkischen Museum Stendal stößt er auf Bücher, ein hölzernes Dreieck mit hebräischen Schriftzeichen, eine Judenlampe. Deinert nennt sie „auffällige Objekte“ – über 90 sind es und 112 fragliche Vorgänge.

Die Judenlampe hingegen entpuppt sich als alter Museumsbesitz, in einem Buch „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte“ findet er drei Besitzernamen, mal handschriftlich vermerkt, mal mit Stempel gedruckt, darunter möglicherweise einen jüdischen: J. Schlesinger. Solche Spuren sind lediglich Anhaltspunkte, mehr nicht. Die Fachleute im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste nennen das „unsicheren Sammlungsbestand“. Er kann auch aus einer Schenkung stammen.

Was auch nach längerfristiger Forschung nicht geklärt werden kann, wird in die Lost-Art-Datenbank eingestellt, auf die Suchende und Findende wie Erben, Erbengemeinschaften, Rechtsnachfolger, Forscher, Institutionen wie Museen kostenfrei Zugriff haben. Hier können Menschen nach ihren in der NS-Zeit entzogenen wertvollen Büchern, Gemälden, Skulpturen, Keramiken, Uhren suchen. Die Datenbank, die 2000 gemeinsam von Bund und Ländern online geschaltet wurde, enthält heute mehr als 166  000 (Stand Dezember 2016) detailliert beschriebene und mehrere Millionen summarisch erfasste Objekte als Such- und Fundmeldungen. So manche kam auch vom Potsdamer dazu.

Sein Erstcheck in Sachsen-Anhalt dauert von Oktober bis Februar. Kleine Heimatmuseen in Brandenburg waren Vorreiter des Projektes. Museumsverbände anderer Länder zeigten Interesse. Mecklenburg-Vorpommern, Südniedersachsen, jetzt auch Sachsen-Anhalt. Seine Arbeit sieht er als Anfang einer Aufarbeitung, die keineswegs damit enden muss, dass ein Museum ein Exponat verliert. Deinert: „Provenienzforscher kriegen bisher Unbekanntes heraus. Wir können Lücken in der Geschichte eines Stückes schließen.“