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Seilbahn-ProjektDer Physiker im Wald

Im Streit um den geplanten Seilbahnbau bei Schierke im Harz will die Regierung Sachsen-Anhalts einen externen Gutachter einschalten.

11.05.2017, 19:33

Schierke l So mancher Wanderer staunt nicht schlecht, als sich am Donnerstagmittag ein knappes Dutzend Kleinbusse über Schotterwege von Schierke aus den Weg hinauf zum Winterberg bahnt. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) hatte beschlossen, sich die umstrittenen Wälder, durch die vielleicht mal eine Seilbahn gebaut werden soll, persönlich anzuschauen - gemeinsam mit seinen Kabinettskollegen, die er zu diesem Ausflug verdonnerte.

Das 26 Millionen Euro teure Projekt, um dessen Realisierung die Harzer seit Monaten bangen, kann nur genehmigt werden, wenn es keinen allzu schweren Eingriff in die naturgeschützte Landschaft darstellt. Während die Planer des Investors der Ansicht sind, das Projekt sei umweltverträglich, vertritt das von Grünen-Politikerin Claudia Dalbert geführte Umweltministerium die Ansicht, die Seilbahn würde Moorwälder am Winterberg zu stark tangieren. Doch wie groß sind die Moorwälder wirklich? Und wann ist ein Moor per gesetzlicher Definition ein schützenswertes Moor – und eben kein Schlammloch.

Mehr als 50 Regierungs- und Pressevertreter in Gummistiefeln oder mit Wanderschuhen stapfen an diesem sonnigen Tag nun mit Haseloff und seinen Ministern durch die Fichtenwälder – auch abseits der Wege, mitten durchs Dickicht, über Stöcke, Steine, Pfützen und alte Wassergräben.

Haseloff fragt bei den Fachleuten viel nach, besonders bei denen vom Landesamt für Umweltschutz. „Wie tief ist das Moor hier?“, fragt er. Die Fachleute wissen es nicht, gemessen haben sie die Moordichte in dem Bereich nicht. „Die Dicke des Moores ist auch nicht entscheidend, es kommt auf Pflanzenvorkommen wie Torfmoose an“, sagt einer. Haseloff lässt das jedoch nicht gelten. „Sie haben Pech, dass ich als Physiker immer einen klaren Messplan, klare Daten haben will“, sagt er und grinst.

Es ist genau der alles entscheidende Knackpunkt, der auch den Investor Gerhard Bürger umtreibt. Er fühlt sich von den Umwelt-Fachleuten ausgetrickst, denn die hatten gegenüber seinen Planern versichert, dass Moore erst dann als Moore eingestuft werden müssen, wenn sie dicker als 40 Zentimeter sind. Von den protokollarisch festgehaltenen Zusagen, die auch der Volksstimme vorliegen, wollen die Umwelt-Fachleute heute allerdings nichts mehr wissen.

Haseloff merkt hierbei noch an, dass ein Blick in andere Bundesländer helfen könnte. „Auch in anderen Ländern wurden 30- oder 40-Zentimeter-Grenzen definiert.“ Dann geht er weiter, tiefer in den Wald.

Wenige Meter dahinter folgt Umweltministerin Claudia Dalbert, ebenfalls umgeben von Fachleuten und Journalisten. Als sie einen alten Wassergraben aus DDR-Zeiten durchqueren will, bleibt sie plötzlich mit beiden Beinen im Schlamm stecken.

Fünf Männer und eine Frau packen an, um die Ministerin aus der Grube zu befreien, die Gummistiefel bleiben zunächst stecken, müssen einzeln nachgeholt werden. Regierungschef Haseloff bekommt von der Aufregung zunächst nichts mit, er ist mit Fachleuten 20 Meter vorausgeeilt, führt Fachgespräche.

Gut zwei Stunden dauert die Wanderung insgesamt. Vor Journalisten gibt sich Haseloff betont neutral, mehrfach lobt er trotz aller Streitigkeiten die Arbeit der Umweltfachleute. „Einen Freizeitpark werden wir hier natürlich nicht zulassen“, sagt er unter anderem. Investor Gerhard Bürger bleibt während der Wanderung gelassen: „Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, ich glaube, wir finden eine Kompromisslösung.“ Er rechne weiter fest damit, bis Januar nächsten Jahres eine Baugenehmigung zu haben.

Im Schierker Rathaus folgt eine nichtöffentliche Sitzung der Minister und Fachleute. Danach verkündet Haseloff das, was bereits erwartet wurde: Ein unabhängiges Büro soll „fehlende Daten“ zusammentragen, damit über die Umweltverträglichkeit des Seilbahnprojekts entschieden werden kann. Haseloff rechnet bis Juni mit einem Ergebnis. Claudia Dalbert lächelt gequält, spricht von einer „hochkomplexen Aufgabe“. Die da lautet: Wann ist ein Moor ein Moor?