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Verbraucherschutz Die Suche nach dem Pferd in der Lasagne

Wer im Landesamt für Verbraucherschutz arbeitet und zum Teil unappetitliche Lebensmittel untersucht, sollte nicht zimperlich sein.

Von Jörn Wegner 04.11.2016, 00:01

Halle l Am Arbeitsplatz von Marc Wirth sammeln sich die leeren Flaschen: Edle Rote, Apfelwein, billiger Fusel, Hochprozentiges und mehr. Halb gefüllte Flaschen stehen auf Wirths Tisch in einer Reihe. Deren Inhalt köchelt in kleinen Fläschchen.

Marc Wirth ist Laborant im Landesamt für Verbraucherschutz in Halle. Dort untersucht er gerade Weine auf deren Sulfitgehalt. Sulfite können allergische Reaktionen auslösen, daher sind Höchstmengen und Kennzeichnung gesetzlich vorgeschrieben. Gibt es in Wirths Labor etwas zu beanstanden, dann meistens eine „Irreführung“: Allergene Stoffe sind nicht angegeben, der Alkoholgehalt stimmt nicht, es fehlt an versprochenen Zutaten.

Untersuchungen, wie sie Marc Wirth vornimmt, finden im Landesamt für Verbraucherschutz täglich hundertfach statt. Wenn die Gesundheitsbehörden der Landkreise Lebensmittel in der Gastronomie und im Einzelhandel einsammeln, landen sie wenig später als Proben in den Halleschen Laboren. Darüber hinaus werden Lebensmittel verdachtsunabhängig untersucht, so wie Marc Wirths Weine.

Besucher können sich am Sonnabend ein Bild von der Arbeit der Behörde machen, Bakterienkulturen beobachten, an verdorbenem Fisch riechen oder sich über Allergene informieren. Das Programm reicht von vorgeführten Laboruntersuchungen bis zu Vorträgen. Ab 10 Uhr werden die Labortüren für alle geöffnet. Zuletzt war dies 2004 der Fall. Landesamtssprecher Holger Paech nennt den Tag „Wiederaufnahme einer Tradition“.

Einen regelrechten Großeinsatz musste das Amt 2012 bewältigen. Damals erkrankten tausende Schüler in Ostdeutschland an Brechdurchfall. Die Hallenser hatten die Ursache entdeckt: Noroviren im Erdbeerkompott einer Großküche. „Wir mussten herausfinden, wo die Beeren herkommen und wer der Händler ist. Wenn es gut läuft, kann man das bis auf das Feld zurückverfolgen“, erklärt Amal Wicke. Die Tierärztin ist stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Lebensmittelsicherheit.

Solche Fälle sind die Ausnahme. Die meisten Lebensmittelproben passieren die Labore ohne Beanstandungen. Alltagsmängel sind falsch deklarierte, manchmal belastete Waren.

Jüngst traf es eine abgepackte Salami eines großen Herstellers. Salmonellen hatten die Laboranten entdeckt. Dann reagiert das Landesamt und veröffentlicht eine Sofortwarnung. Zudem informieren die Hallenser die zuständige Behörde am Ort des Herstellers.

Der Anteil beanstandeter Proben variiert stark zwischen den Warengruppen. Recht überraschend: Bei Speisepilzen hatten die Lebensmittelprüfer im vergangenen Jahr nichts auszusetzen. Bier hingegen hält mit 37 Prozent Beanstandungen den Negativrekord. Neben verunreinigten Bieren zählen vor allem fehlende Informationen zu Allergenen durch Kneipenwirte und in einem Fall eine Verbrauchertäuschung dazu: Ein Wirt versprach regional produziertes frisch Gezapftes. Im Fass fanden die Kontrolleure aber von weit hergeholtes Billigbier.

Doch was ist das am häufigsten beanstandete Lebensmittel? „Eindeutig Schlagsahne“, sagt Amal Wicke. 70 Prozent der Probleme aller Milcherzeugnisse macht sie aus. Dabei geht es vor allem um Schlagsahne aus der Gastronomie. 43 Prozent der Proben mussten beanstandet werden, und sogar 77 Prozent waren mikrobiologisch auffällig. Schuld sind die schwierig zu reinigenden Geräte zur Schlagsahneherstellung, sagt Wicke.

Auf einer ganzen Etage des Amtsgebäudes riecht es auffallend unangenehm. „Wir merken das schon gar nicht mehr“, sagt Amal Wicke. Auf einem Labortisch liegen fünf verschiedene Fleischproben. Einige könnten frisch vom Fleischer sein, andere sehen deutlich zweifelhafter aus. Dietrich Mäde, Fachtierarzt für Lebensmittelhygiene, nimmt den Deckel von einer Petrischale mit einem sehr dunklen Stück Fleisch darin ab, der unangenehme Geruch verstärkt sich und verbreitet sich im Raum. Wer sich dem Stück mit der Nase nähert, zuckt instinktiv zurück. „Das ist verdorben“, sagt Mäde. So eindeutig, wie in diesem Fall ist die sensorische Prüfung nicht immer, erklärt Amal Wicke. „Der Übergang ist oft fließend, was ist frisch, was ist gereift, was ist verdorben.“ Bei Dry-Aged-Beef zum Beispiel, besonders lang gereiftes und teures Rindfleisch, ist alles andere als frisch, trotzdem meist von höchster Qualität.

In Mädes Labor wird nicht nur geprüft, ob eingesandtes Fleisch verdorben ist. Es geht auch darum, mit welcher Fleischsorte es der Käufer zu tun hat. Gerade bei Fertiggerichten bleiben die Inhaltsstoffe oft unklar. „Pferdefleisch kostet einen Euro pro Kilo, Rind vier bis fünf“, sagt Mäde und erinnert an den Lasagnenskandal. „Wer Pferd einsetzt, hat einen wirtschaftlichen Vorteil.“

Geschulte Nasen sind die ersten, die versuchen, das Fleisch einzuordnen. Wenn Huhn und Lamm zur Wahl stehen, ist das relativ einfach. Bei Rind und Pferd versagen Nase und Augen aber oft. Beide Fleischarten sind sich sehr ähnlich. Die Laboranten analysieren dann die Proteine. Bei bereits durchgegarten Gerichten wird es noch schwieriger, denn bei 70 Grad werden Proteine zerstört. Hier untersuchen Mäde und seine Kollegen die DNA des Fleisches. Ein Alleinstellungsmerkmal der Labore in Halle, sagt der Veterinär.

Bei Elke Brandt muss die Nase nichts befürchten. Die Laborantin prüft den Glutengehalt. Nur sehr wenige Menschen vertragen kein Gluten, erklärt Dezernatsleiter Rainer Imming. „Gluten ist ein natürlicher Inhaltsstoff von Getreide. Man stellt fest, dass es die Leute nicht vertragen, wenn sie wissen, dass es drin ist.“ Trotzdem, für tatsächliche Gluten-Allergiker muss Elke Brandt überprüfen, ob als glutenfrei gekennzeichnete Waren halten was sie versprechen.

Laborant Marc Wirth wird sich in wenigen Wochen wieder mit Weinen beschäftigen. Dann stehen Glühwein-Proben von Weihnachtsmärkten auf dem Laborplan – ein kompliziertes Getränk für die Prüfer. Glühwein darf sich nur nennen, was ausschließlich aus Wein und bestimmten Gewürzen besteht. Und dann gibt es ein weiteres Problem: „Gegen Abend ist der Glühwein ziemlich totgekocht“, sagt Rainer Imming. Durch die andauernde Erhitzung kaum noch oder gar kein Alkohol mehr im Glühwein ist. Bei knapp 80 Grad wird der Stoff gasförmig und entschwindet aus dem Glühweinkessel. Übrig bleibt ein alkoholfreies Getränk, das nicht mehr als Glühwein verkauft werden darf. Auch wenn das alkoholfreie Wintergetränk gesünder sein mag, die Hallenser müssen trotzdem einschreiten. Schließlich liegt dann eine Verbrauchertäuschung vor.