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Wütende Schäfer Karwath: "Der Wolf ist nicht mein Freund"

In Sachsen-Anhalt gibt es inzwischen sieben Wolfsrudel mit knapp 70 Tieren. Die Schäfer sehen seine Ausbreitung als Bedrohung an.

Von Silke Janko 11.03.2016, 00:01

Magdeburg l Auf einem Feld bei Hohenziatz bei Möckern im Jerichower Land: Rund 1400 Schafe stehen eingepfercht mit einem 90 Zentimeter hohen Elektrozaun auf einem Feld. Die fünf Hunde von Schäfer Andreas Karwath laufen wachsam umher. Es ist die Zeit, in der die Lämmer geboren werden. In diesem Jahr, so berichtet der 56-Jährige, „verlammen“ mehr als sonst. Das heißt, es gibt viele Totgeburten. Ein finanzieller Verlust für den Schäfer. Karwath schiebt das auf den Stress, dem die Tiere ausgesetzt waren. Wegen des Wolfes. Er hatte seine Herde seit vergangenem Jahr insgesamt siebenmal angegriffen. Karwath dürfte damit vermutlich zu den am stärksten betroffenen Nutztierhaltern in Sachsen-Anhalt gehören. Zu der von Naturschützern und Politikern ausgerufenen Willkommenskultur für canis lupus, der unter strengem Schutz in Deutschland steht, hat er eine klare Meinung: „Der Wolf ist nicht mein Freund.“

33 Schafe, Lämmer und Muttertiere, hat der Schäfer bei den sieben Angriffen verloren. Ein finanzieller Verlust, den ihm das Land zum Teil entschädigt hat. Für den letzten Angriff am ersten Februar-Sonntag hat er noch keinen Antrag gestellt. Da kam Meister Isegrim am helllichten Tag, gegen 14.30 Uhr. Offenbar hat der Grauhund gar keine Scheu mehr, denn Karwaths angestellter Schäfer war an diesem Tag bei der Herde. Ein Schaf erlitt den charakteristischen Kehlkopfbiss und musste vom Tierarzt eingeschläfert werden. Nur drei Wochen zuvor hatte der Wolf einen Jährling und ein Lamm gerissen. Karwath: „Ich schlafe unruhig und habe Angst um meine Tiere. Eigentlich müsste ich Tag und Nacht bei meinen Tieren bleiben.“ Und er erzählt, dass er sich von der Politik allein gelassen fühlt. Der „Verein für den Schutz freilebender Wölfe“ hat Karwath 16 Netze für den Weidezaun gesponsert. Karwath hat das Geschenk der Wolfsschützer dankbar angenommen. Er weiß aber auch, für den Wolf ist der Zaun kein Hindernis. Er muss ihn nicht einmal überwinden, nähert er sich dem Pferch, geraten die Schafe derart in Panik, dass sie den Zaun einrennen – der Wolf hat dann leichtes Spiel.

Die Stimmung unter den Schäfern ist nicht die beste. Rainer Frischbier aus Pakendorf (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) sieht sich nicht nur als derjenige, der den Wolfshunger finanzieren soll, sondern auch als Opfer der Bürokratie. Viermal wurde seine 900 Mutterschafe umfassende Herde angegriffen. Von zwei Anträgen auf Entschädigung lehnte das Landesverwaltungsamt einen ab, beim anderen zahlte es nur etwa die Hälfte. Für den Angriff vom 16. Januar 2014, bei dem drei Mutterschafe getötet wurden und eines eingeschläfert werden musste, hatte er beim Landesverwaltungsamt 2500 Euro Entschädigung beantragt. Erhalten hatte er 1330 Euro – die Kosten für die Bergung der Tiere und den Tierarzt wurden gestrichen. „Das ist eine Lachnummer“, meint Frischbier.

Der Landesschafzuchtverband beobachtet den Trend, dass die Verwaltung akribisch nach Mängeln sucht, um nicht zahlen zu müssen. Mal ist der Zaun nicht hoch genug, die Tiere zu eng gepfercht oder es wird ein Loch im Netz gefunden. „Wir haben die Nase voll“, sagte Geschäftsführer Hans-Jörg Rösler und spricht „von einem unhaltbaren Zustand“. Die Schäfer beobachteten zunehmend, dass die Wölfe immer dreister werden, nachdem sie sich bei den Herden erfolgreich „bedient“ hatten. „Wir haben Angst. Wie soll es weitergehen?“

Die Klagen der Schäfer über die eher restriktive Entschädigungspolitik des Landes belegen auch die vom Umweltministerium herausgegebenen Zahlen: Knapp 4000 Euro hatte das Land 2015 den Tierhaltern an Entschädigung gezahlt. Sieben Anträge lagen vor, 22 Wolfsangriffe gab es im Land insgesamt, wie das Umweltministerium gegenüber der Volksstimme erklärte. 75 Nutztiere (3 Kälber, 66 Schafe, 6 Damwild) wurden getötet. Klar ist, den realen Schaden dürfte das Land damit nicht beglichen haben. Das Land, das einen 90 Zentimeter hohen Schutzzaun finanziert, denkt inzwischen über die Förderung von Herdenschutzhunden, Eseln und Maßnahmen für Mutterkuhhalter nach, hieß es aus dem Ministerium.

Nach dem Monitoringbericht des Landesumweltamtes gibt es in Sachsen-Anhalt inzwischen sieben Wolfsrudel mit rund 60 Tieren, die in zehn Territorien etabliert sind. Die reale Population des Beutegreifers dürfte höher liegen, weil sich die Zahlen nur auf eindeutige Nachweise beziehen. Unstrittig ist dabei, dass die Population weiter zunehmen dürfte. Intern hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) schon von einer Obergrenze für den Wolf gesprochen, mit der er den in Deutschland in Frage kommenden Lebensraum voll ausschöpft. Die Zahl könnte laut BfN bei 440 Rudeln liegen, das wären bei sechs bis acht Tieren pro Rudel mindestens 2000 Wölfe in Deutschland. Mit der steigenden Ausbreitung des Wolfes dürften auf die Gesellschaft weitere Fragen hinzukommen: Nicht nur die, ab wann der Mensch dezimierend eingreifen soll, sondern auch, ob sie eine Tierart unter strengsten Schutz stellt und dafür die drastische Dezimierung anderer Tierarten – Reh- und Muffelwild – in Kauf nehmen will.

Was den Konflikt mit Nutztierhaltern betrifft, hängt die Akzeptanz am Geld, meinte die Geschäftsführerin des Nabu Sachsen-Anhalt, Annette Leipelt. Der Nabu, der den Wolf ausdrücklich begrüßt, meint: „Wenn man mehr Wolfsrudel hat, gibt es mehr Probleme. Umso wichtiger ist es, die Schäden unbürokratisch und zeitnah zu lösen.“