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Handball:  Wiegert: „Gut bis sehr gut“

Bennet Wiegert, Trainer des Handball-Bundesligisten SC Magdeburg, zieht im Volksstimme-Interview Bilanz zur Saison 2016/17.

Von Janette Beck 19.06.2017, 01:01

Volksstimme: Zum Schuljahresende gibt es immer Zeugnisse. Welche Gesamtnote würden Sie Ihrer Mannschaft für die Saison 2016/17 geben?

Bennet Wiegert: Unterm Strich gib es ein gut bis sehr gut.

Und wer war Klassenbester, Ihr „Spieler der Saison“?

Da verweigere ich die Antwort. Aus meiner Sicht haben viele Gesichter die Saison geprägt, nicht nur eines.

Welche denn zum Beispiel?

Hmmm, wo fange ich da an ...? Christian O‘Sullivan zum Beispiel. Er hat sich als Neuzugang, nachdem seine Verletzung ausgestanden war, sehr positiv entwickelt und unserem Tempospiel unheimlich gutgetan. Oder Jannick Green. Seine Torhüterleistung ist sehr konstant geworden. Früher hatte er Probleme, nach einer schlechten Anfangsphase ins Spiel zu kommen, das hat er super in den Griff gekriegt. Marko Bezjak ist auch so ein Spieler, der immer noch unterschätzt wird. Er hat konstant gute Spiele gezeigt. Auch Mads Christiansen fällt mir da ein, der uns eher unauffällig, wie es seine Art ist, mit seinen Toren geholfen hat. Von unseren Außenspielern ganz zu schweigen, die bekanntlich eine Schlüsselrolle in unserem Spiel einnehmen und ihr Ding machen – auch vom Siebenmeterpunkt. Zeljko Musa hat einen Riesenschritt nach vorn gemacht, vor allem als Führungsspieler. Finn Lemke nicht zu vergessen. Wie er in der Abwehr gerackert hat, war einfach fantastisch. Nicht umsonst hätten wir sehr gerne mit ihm verlängert. Über die Qualitäten im Angriff eines Michael Damgaard muss ich nichts mehr erzählen. Und ... ...

Stopp, stopp – bevor jetzt alle anderen genannt werden ...

Wie gesagt: Die Mannschaft ist bei mir der Star. Jeder einzelne Spieler war ein wichtiger Bestandteil des Teams und hat seinen Anteil beigetragen.

Es hat nach dem Spiel in Erlangen in der Kabine noch einmal von Ihnen eine Ansprache an die Mannschaft gegeben. Was haben Sie ihren Spielern zum Abschied mit auf den Weg gegeben?

Ich muss sagen, ich war da wirklich sehr sentimental und emotional. Einfach auch, weil wir das letzte Mal in dieser Konstellation zusammen waren. Da stand eine Mannschaft vor mir, die viel geschafft hat, auf das sie stolz sein kann. Mir war einfach wichtig, dass es auch bei den Jungs rüberkommt, dass sie eine gute Saison gespielt haben. Dass alle ein positives Gefühl mitnehmen – auch wenn wir dem Ganzen nicht wie erhofft oder erwartet die Krone aufsetzen konnten.

Aber seien wir mal ehrlich: Nachdem wir so schlecht gestartet sind, es nach gut einem Viertel der Saison erst die Niederlage in Minden und etwas später das krasse Heimdebakel gegen Hannover gab und alles infrage gestellt wurde – wer hätte denn da gedacht, dass wir noch eine solche Serie hinlegen und drei Spieltage vor dem Ende sogar die Chance auf einen Champions-League-Platz haben? Keiner!

Ähnlich frappierend ist, dass trotz der Super-Serie von 19 Liga-Spielen ohne Niederlage am Ende nur – in Anführungszeichen – Platz fünf herausgesprungen ist, oder?

Stimmt, das ist schon irgendwie krank, dass man mit 51 Punkten auf dem Konto – was wohl das zweitbeste Ergebnis des SCM in seiner Bundesliga-Historie überhaupt ist – nur Fünfter wird. Genauso krass ist es, dass wir seit Mitte Dezember in der Liga ungeschlagen und am Ende doch nur einen einzigen Platz nach oben gerutscht sind. Aber das zeigt, wie ausgeglichen die Liga ist und wie die Spitzenteams durchweg punkten.

Trauern Sie mit Blick auf die Abschlusstabelle nicht vor allem dem verlorenen Punkt in Berlin hinterher?

Natürlich war es ärgerlich, dass wir nicht in der Lage waren, einen Drei-Tore-Vorsprung in den letzten zweieinhalb Minuten über die Runden zu bringen. Genauso könnten wir aber das Remis in Leipzig nehmen, oder uns ausmalen, was passiert wäre, wenn Kiel in Balingen verloren hätte ... Auf der anderen Seite haben wir aber gegen Melsungen, Göppingen oder Kiel in letzter Sekunde mit einem Tor zu Hause gewonnen. Ich denke, am Ende hält sich das alles in einer Saison doch irgendwie die Waage. Um die Saison realistisch einzuschätzen, hat mir auch das Gespräch mit Marc Schmedt geholfen. Seine Sichtweise als Geschäftsführer Finanzen ist noch einmal eine ganz andere.

Nämlich?

Dass es rein wirtschaftlich gesehen phänomenal ist, dass wir mit unserem Etat, der weit entfernt ist von der Tabellenspitze und einigen anderen Liga-Rivalen, zwei Spieltage vor Saisonende sogar an einem Champions-League-Platz gekratzt haben. Man sieht aber auch, dass Finanzkraft nicht immer auch etwas mit sportlicher Leistungsfähigkeit zu tun hat.

Es war Ihre erste komplette Saison als Trainer mit dem SCM, was bleibt hängen?

Ich bin ein Typ, der extrem ehrgeizig ist und den Hang zum Negativen hat. Deswegen muss ich sagen, ich habe mich selten so leer gefühlt wie nach der Niederlage im Halbfinale des Final Four gegen Göppingen. Da habe ich mich schon gefragt: Was ist schiefgelaufen, dass wir unsere Leistung nicht abrufen konnten? Vielleicht habe ich da ja zu viel Druck aufgebaut, zu gezielt auf das eine Ereignis hingearbeitet. Um das herauszufinden habe ich viele Einzelgespräche mit den Spielern geführt.

Und wie war das Feedback?

Quintessenz war, dass die Jungs während der Serie von 22 Spielen ohne Niederlage die ganze Zeit über immer Spaß und Lust am Gewinnen hatten. Dass sie aber dann in Göppingen, wo es darauf ankam, auf einmal Angst hatten, zu verlieren. Doch – so traurig, wie das alles war, und so weh, wie das getan hat - mit Blick in die Zukunft war das Final Four für uns alle sehr, sehr lehrreich. Aus diesen Erfahrungen werden wir Brücken bauen, davon bin ich fest überzeugt. So wie die Niederlage gegen Hannover oder das verlorene Siebenmeterwerfen im Final Four in Hamburg 2015. Das hat uns im Jahr darauf zum Pokalsieg geführt.

Der Saisonverlauf, die Endplatzierung, die Luft nach oben, die Serien ... das alles schraubt ja auch die Erwartungen an die neue Saison hoch. Tendieren Sie eher dazu, den Ball flach zu halten, und spielen auf „Ergebnis sichern“ oder greifen Sie selbstbewusst die Spitze an?

Ich finde es normal, dass mit gestiegenen Leistungen auch die Ansprüche wachsen. Auch die an sich selbst. Klar ist, dass wir uns in der nächsten Saison nicht verschlechtern wollen. Trotzdem wäre es vermessen oder gar fahrlässig, zu sagen: Platz zwei oder drei muss es jetzt sein! Die anderen Vereine schlafen auch nicht auf Bäumen. Melsungen, Hannover, Göppingen, die werden kommen.

Zudem gibt es erneut personelle Veränderungen. Vor allem die Abwehr muss neu organisiert werden. Sehen Sie das als größeres Problem?

Nein, Fluktuation ist in unserem Geschäft normal. Aber es ist schon so, dass sich der Kader erst einmal verschlechtert, weil vier Spieler gehen, die schwer zu ersetzen sind. Und für zwei heißt es: Neues Land, neue Sprache, neue Liga. Die Eingewöhnung braucht Zeit. Ich denke jedoch, wir haben gut gescoutet, und hoffe, dass die Neuzugänge passen. Um oben mitzumischen, müssen wir uns aber schnell finden und von Verletzungen verschont bleiben. Deswegen bin ich froh, dass wir bei der Vorbereitung gleich alle an Bord haben. Dass ich den Aufbau so kontinuierlich durchziehen kann, wie ich es möchte, ist ein großer Vorteil gegenüber der Vorsaison.

Wenn es einen Wermutstropfen gibt, dann vielleicht, dass der Nachwuchs zu kurz gekommen ist. Kein Youngster schaffte den Sprung ins Aufgebot, in der Vorsaison waren es noch fünf. Ist das die Kröte, die geschluckt werden muss, weil die Mannschaft im Profigeschäft ergebnisorientiert aufgestellt werden muss?

Letztes betrifft ja nicht nur die Youngsters, sondern auch meine etatmäßigen Spieler, die weniger Einsätze bekommen haben. Hier ist auch eine Erkenntnis aus der Saison, dass, wenn ich eine gewisse Zufriedenheit im Kader habe, auch das Ergebnis stimmt. Dennoch wird es keinem gelingen, 15 individuelle Charaktere zu 100 Prozent zufriedenzustellen. Ich kann es nur noch einmal betonen: Wir befinden uns im Leistungssport, da sind Nationalität, Pass oder Alter egal. Da gibt es nur ein gut und weniger gut.

Und zum Thema Nachwuchs: Ich habe in der Saison auf ein eingespieltes und eingeschworenes Team gesetzt und wollte, nachdem die Serie gestartet wurde, nicht unnötige Unruhe oder Veränderungen reinbringen. Wobei ich sagen muss, dass ich im Team der Youngsters auch noch nicht die Qualität gesehen habe, die uns weitergeholfen hätte. Deswegen haben wir das recht früh getrennt: Ihr macht euer Ding, wir unser. Aber ich sage auch: Das kann nicht das Ziel für die Zukunft sein! Darum haben wir uns auch mit Erfolg bemüht, einige junge Talente langfristig an uns zu binden. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich nur mit Magdeburgern spielen. Aber das ist total unrealistisch. Unser Ziel muss es sein, dass alle drei Jahre ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs den Sprung nach oben schafft.