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Fußball Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Mario Middendorf betreut seit 2001 Fußballteams und hat in seinem Trainerleben viel erlebt. Ein Bericht über Höhen und Tiefen.

Von Christian Meyer 15.04.2016, 01:01

Barleben l Nach neun Jahren im Nachwuchsbereich des 1. FC Magdeburg steht der damals 32-Jährige im März 2011 kurz davor, Cheftrainer bei seinem Herzensclub zu werden. Doch es kommt anders. Die Wochen und Monate Anfang 2011 wird der aus Burg stammende Blondschopf nie vergessen. Nach nur einem Sieg aus acht Spielen muss Ruud Kaiser nach einem 0:2 gegen Plauen gehen. „Am Montag danach haben sich Präsident, Vizepräsident, Wolfgang Sandhowe und ich getroffen“, blickt Middendorf zurück. Er war seit Beginn der Saison Kaisers Co-Trainer gewesen, Sandhowe Trainer der Zweiten in der Oberliga. „Sie wollten, dass ich die Mannschaft übernehme, aber mir fehlte die Lizenz. Deshalb wurde Sandhowe offiziell Cheftrainer. Allerdings sollten wir Hand in Hand arbeiten“, gibt Middendorf Einblick. Doch daraus wurde nichts. „Schon bei den ersten Einzelgesprächen hat er mich rausgeschoben und deutlich gemacht, dass er keinen Co-Trainer braucht.“

Doch Sandhowes Maßnahmen greifen nicht, Mitte Mai steht der Club vor dem sportlichen Sterbebett in der Regionalliga. Gegen die Reserve von Eintracht Braunschweig benötigt der FCM dringend einen Sieg, liegt nach 74 Minuten mit 1:2 hinten. „Sandhowe wusste nicht mehr, was er machen sollte“, gibt Barlebens heutiger Trainer ehrlich zu. Middendorf wies die Wechsel an und die Magdeburger gewannen die Partie am Ende in doppelter Überzahl noch. Bei der Auswertung vor der Mannschaft ließ sich Sandhowe feiern und Middendorf links liegen. Erst unter vier Augen bedankte er sich. „Da habe ich für mich gemerkt, dass dieses Geschäft nicht meins ist. Ich bin nicht so, ich bin Mannschaftssportler“, fasste Middendorf den Entschluss, nicht mit letzter Konsequenz den Weg zum Profitrainer zu gehen. Rückblickend sagt er: „Es war nicht die beste Entscheidung meines Lebens, Co-Trainer im damaligen Chaos bei der Ersten zu werden.“ Dabei war diese Wahl damals der nächste logische Schritt.

Nachdem er in seiner Jugendzeit immer auf eine Fußballerkarriere hingearbeitet hatte, kehrte mit 16 Jahren die große Ernüchterung ein. „Bei der sportärztlichen Untersuchung hat der Arzt nur gelacht.“ Sein Knie und der Rücken ließen Leistungssport unmöglich werden. Middendorf, der auf der rechten Außenbahn seine Stärken eher in der Offensive hatte, musste seine Träume begraben. „Das hat mich geprägt. Wenn du darauf hinarbeitest, knüppelst und bist gut, und kannst dann nicht. Das war schon bitter.“

Im Jahr 2001 lernt Middendorf im Rahmen seines Studiums Günter Braun kennen, der ihn überredet, eine E-Jugend zu übernehmen. „Aus dem einen geplanten Jahr ist dann der Weg geworden“, erklärt der heute 37-Jährige mit einem Augenzwinkern. Middendorf durchläuft im Nachwuchs mehrere Positionen, ist Co-Trainer der C1 als Marcel Schmelzer noch das blau-weiße Trikot trägt, ist Torwarttrainer der B2 als Matthias Tischer aufgrund seiner Größe nur dritter Keeper ist. Von jedem Coach guckt sich Middendorf was ab, lernt Stück für Stück dazu. Als Co-Trainer von Andrzej Wojcik steigt er 2008/2009 mit der Reserve aus der Oberliga ab, wird in der kommenden Saison Cheftrainer der Zweiten.

„Wir hätten damals nicht absteigen müssen, doch wir haben den direkten Wiederaufstieg geschafft. Wir hatten eine bärenstarke Mannschaft, viel Unterstützung von oben“, erinnert sich Middendorf an seinen ersten Landesmeistertitel 2010. Es folgte die turbulente Saison 2010/2011 als Co-Trainer der Ersten, an deren Ende er wieder in den Kreis der U23 zurückkehrt. Eine Rückkehr in die Oberliga, die Zweite war als Tabellenletzter erneut abgestiegen, gelingt aber nicht mehr. Middendorf fühlt sich trotzdem pudelwohl, lehnt deshalb und wegen des Aufbaus seiner Firma aktiVaria im Laufe der Zeit Angebote aus Stendal und Dessau ab. In der Winterpause 2013/2014 trifft der 1. FC Magdeburg dann die Entscheidung, seine zweite Mannschaft von der Landesebene zurückzuziehen. „Ich habe das begrüßt. Der Weg, den junge Spieler heute gehen, ist ein anderer als früher. Wenn sie gut sind, kommen sie aus der A-Jugend gleich in die erste Mannschaft.“ 

Doch der „eingeschworene Haufen" (Middendorf) bleibt zusammen. Viele Spieler und Betreuer folgen dem Trainer nach Barleben, machen aus dem Aufsteiger gleich ein Schwergewicht in der Verbandsliga. Nach ruckeligem Start marschiert der FSV, zu dem Middendorf auch seine alten Bekannten Peter Otte und Christopher Kalkutschke lotst, zur Landesmeisterschaft. Der schnelle Erfolg ist Balsam für die Seele. „Es war eine riesen Umstellung, auch für das Selbstwertgefühl“, beschreibt Middendorf sein Empfinden beim Wechsel vom größten Klub der Region nach Barleben. „Aber auf dem Trainingsplatz war alles gleich.“

Den Grundgedanken des „gallischen Dorfes“ implementiert Middendorf auch bei seinen neuen Spielern, das Zusammengehörigkeitsgefühl im Kader ist ihm ungemein wichtig. Genauso oft betont er, viel Wert auf professionelles Arbeiten zu legen. Doch manchmal klaffen Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Als der Trainer nach dem guten Start in die Oberliga das System ändern will, geht der Plan nicht auf. Seine Mannschaft kann ihm nicht folgen. Sein Wunsch nach mehr Variabilität wird nicht erfüllt. Doch Middendorf steckt zurück, befördert sein Team zurück in die taktische Wohlfühlzone und der Erfolg kehrt zurück. „Ich habe gelernt, mich selber ein Stück zurück zu nehmen“, gibt Middendorf zu. Er selbst sei ohnehin „sein größter Kritiker“. 

Andere, wie sein Kapitän und langjähriger Spieler Marwin Potyka, beschreiben ihn als „Perfektionisten“. Und als solchen stört es Middendorf, wenn die äußeren Bedingung nicht optimal sind. Der schnelle sportliche Aufstieg des FSV Barleben vom Kreisligisten zum Oberligisten verlief in einem solch rasanten Tempo, dass das Umfeld nicht mithalten konnte. So stehen die Kabine unter der Gaststätte, die Bedingungen auf dem Trainingsplatz in Meitzendorf und die fehlenden Räume für Physiotherapie nicht für leistungsorientierten Fußball.

„Wir müssen uns langsam in diese Richtung hinbewegen. Ich will nicht zwingend weg, aber ich werde immer mahnend den Finger heben. Ich will das noch drei, fünf oder sieben Jahre in Barleben machen und wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um auch dann noch attraktiv für junge Spieler und konkurrenzfähig zu sein“, schiebt Middendorf die Entwicklung an.

Am 27. April steht Mario Middendorf vor seinem vielleicht emotionalsten Spiel. Im Landespokal trifft er auf seine alte Liebe 1. FC Magdeburg. Zu vielen Spielern hat er heute noch Kontakt, man kennt und schätzt sich. Ob er ein guter Trainer ist? „Ich weiß nicht, ob ich ein guter Trainer bin. Das sollen andere beurteilen. Ich würde mich schämen, so etwas über mich selbst zu sagen. Ich hatte immer gute Mannschaften.“ Vielleicht sorgt seine jetzige für einen unvergessenen Tag im April 2016.